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Die-Jahrhundertluege-V6

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Das Märchen von der Verfassung<br />

Auf die vorstehenden Tatsachen angesprochen, beeilen sich Behörden und Politiker mitzuteilen, dass ja<br />

alles in bester Ordnung ist. Und an besonderen Feiertagen können Sie Reden hören, in denen von einer<br />

freiheitlichen Grundordnung und ihrer Werte gesprochen wird, die in Deutschland die Rechte des<br />

Einzelnen schützt. Und immer wieder hört man, dass das „Grundgesetz“ die deutsche Verfassung ist.<br />

Auch ich muß mir eingestehen, dass ich diese Lüge eine lange Zeit geglaubt habe...<br />

<strong>Die</strong> Wahrheit ist, dass das „Grundgesetz“ keine Verfassung ist und die letzte, durch das Volk legitimierte<br />

Verfassung, die Weimarer Verfassung von 1918 (Stand 30.01.1933) ist.<br />

Doch beschäftigen wir uns zuerst einmal mit der Frage, was ein Grundgesetz überhaupt ist:<br />

Am 18. Oktober 1907 wurde durch die Staatengemeinschaft ein „Abkommen, betreffend die Gesetze<br />

und Gebräuche des Landkrieges“ (Haager Landkriegsordnung) geschlossen. Von deutscher Seite<br />

unterzeichnete der damalige deutsche Kaiser dieses Abkommen und auf deutschem Boden gilt es seit<br />

dem 26.01.1910. (RGBl. 1910 S. 107).<br />

<strong>Die</strong> Haager Landkriegsordnung wurde geschaffen um „die allgemeinen Gesetze und Gebräuche des<br />

Krieges einer Durchsicht zu unterziehen, sei es, um sie näher zu bestimmen, sei es, um ihnen gewisse<br />

Grenzen zu ziehen, damit sie soviel wie möglich von ihrer Schärfe verlieren“.<br />

Unter anderem ist dort in Art. 43 geregelt, dass, „nachdem die gesetzmäßige Gewalt tatsächlich in die<br />

Hände des Besetzenden übergegangen ist, dieser alle von ihm abhängenden Vorkehrungen zu treffen<br />

hat, um nach Möglichkeit die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wiederherzustellen und<br />

aufrechtzuerhalten, und zwar, soweit kein zwingendes Hindernis besteht, unter Beachtung der<br />

Landesgesetze“. <strong>Die</strong>s geschieht durch eine grundsätzliche Regelung – ein Grundgesetz.<br />

Somit ist, laut Definition, ein Grundgesetz ein „Provisorium zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung<br />

in einem militärisch besetzten Gebiet für eine bestimmte Zeit“.<br />

Und wenn Sie sich irgendwann einmal fragten, warum unsere angebliche Verfassung „Grundgesetz für<br />

die Bundesrepublik“ und nicht „Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland“ heißt, dann wissen Sie<br />

jetzt warum: <strong>Die</strong> Alliierten beauftragten seinerzeit den „Parlamentarischen Rat“, ein solches zu entwerfen<br />

und hatten dieses dann zu genehmigen (siehe Genehmigungsschreiben der drei westlichen<br />

Militärgouverneure vom 12. Mai 1949 zum Grundgesetz (siehe Bildnachweis )).<br />

Lassen wir an dieser Stelle einmal Staats- und Völkerrechtslehrer Prof. Dr. Carlo Schmid mit seiner<br />

Grundsatzrede vor dem Parlamentarischen Rat am 8. September 1948 zu Wort kommen (Auszüge):<br />

„Meine Damen und Herren!<br />

Worum handelt es sich denn eigentlich bei dem Geschäft, das wir hier zu bewältigen haben? Was<br />

heißt denn: "Parlamentarischer Rat" ? Was heißt denn: "Grundgesetz"? Wenn in einem souveränen<br />

Staat das Volk eine verfassunggebende Nationalversammlung einberuft, ist deren Aufgabe klar und<br />

braucht nicht weiter diskutiert zu werden: Sie hat eine Verfassung zu schaffen. Was heißt aber<br />

"Verfassung"? Eine Verfassung ist die Gesamtentscheidung eines freien Volkes über die Formen<br />

und die Inhalte seiner politischen Existenz.<br />

Eine solche Verfassung ist dann die Grundnorm des Staates. Sie bestimmt in letzter Instanz ohne auf<br />

einen Dritten zurückgeführt zu werden brauchen, die Abgrenzung der Hoheitsverhältnisse auf dem<br />

Gebiet und dazu bestimmt sie die Rechte der Individuen und die Grenzen der Staatsgewalt. Nichts<br />

steht über ihr, niemand kann sie außer Kraft setzen, niemand kann sie ignorieren.<br />

Eine Verfassung ist nichts anderes als die in Rechtsform gebrachte Selbstverwirklichung der Freiheit<br />

eines Volkes. Darin liegt ihr Pathos, und dafür sind die Völker auf die Barrikaden gegangen. Wenn wir<br />

in solchen Verhältnissen zu wirken hätten, dann brauchten wir die Frage: worum handelt es sich denn<br />

eigentlich? nicht zu stellen. <strong>Die</strong>ser Begriff einer Verfassung gilt in einer Welt, die demokratisch sein<br />

will, die also das Pathos der Demokratie als ihr Lebensgesetz anerkennen will, unabdingbar.<br />

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