Die-Jahrhundertluege-V6
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• In Deutschland entscheiden die Justizminister über Auswahl, Anstellung und Beförderung von<br />
Richtern zumeist allein, selten in einer für sie je nach Bundesland mehr oder weniger verbindlichen<br />
Zusammenarbeit mit Mitwirkungsgremien.<br />
• In Deutschland führen Minister die oberste <strong>Die</strong>nstaufsicht über die Richterinnen und Richter.<br />
• In Deutschland sind die Gerichtspräsidenten in ihrer Eigenschaft als Behördenleiter Beamte und<br />
damit dem Justizminister nachgeordnete Organe der Exekutive. Richter sind sie nur ausnahmsweise<br />
und nur dann, wenn sie auch tatsächlich richterlich tätig werden (z.B. Prozessakten bearbeiten oder<br />
Gerichtsverhandlungen leiten, gleichrangig den anderen Zivilrichtern, Strafrichtern,<br />
Verwaltungsrichtern, Sozialrichtern etc.). In der dem Justizminister weisungsunterworfenen<br />
Beamteneigenschaft sind die Gerichtspräsidenten Leitungsorgane der Justizverwaltung und die<br />
Vorgesetzten der an den Gerichten beschäftigten Beamten, Angestellten und Arbeiter. In ihrer<br />
Beamteneigenschaft führen sie aber auch die unmittelbare <strong>Die</strong>nstaufsicht über die Richter. Als<br />
beamtete Vorgesetzte schreiben sie die für den beruflichen Lebensweg der Richter entscheidenden<br />
<strong>Die</strong>nstzeugnisse. Allein wegen ihrer weisungsgebundenen Beamtentätigkeit führen die Präsidenten<br />
ihre besonderen Amtsbezeichnungen und werden (deutlich) höher besoldet.<br />
• In Deutschland unterstehen die Richter der Aufsicht von Regierungsbeamten. <strong>Die</strong> einst für den<br />
Obrigkeitsstaat geschaffene hierarchische Rangfolge ist im Wesentlichen bis heute unverändert. <strong>Die</strong><br />
Gewaltenfusion in der Person der Gerichtspräsidenten war stets ein geeignetes Mittel, die in Worten<br />
hochgehaltene Gewaltenteilung weitgehend leerlaufen zu lassen und dies zugleich zu vertuschen.<br />
Gerichtspräsidenten als weisungsgebundene, der Regierung zu Loyalität verpflichtete Beamte,<br />
repräsentieren die Gerichte nach außen, nicht die Richter.<br />
• In Deutschland erhalten Bürger, Journalisten, Politiker Informationen über die Gerichte von Organen<br />
der Exekutive, nicht von Richtern. Systembedingt setzt sich einseitig die Sichtweise der Regierung<br />
durch, die auch politisch motiviert und deshalb unsachlich sein kann. <strong>Die</strong>se Erkenntnis erreicht das<br />
Bewusstsein der Öffentlichkeit nur unzureichend, die in den Gerichtspräsidenten schon wegen der<br />
Titulierung zufördertst unabhängige Richter vermutet.<br />
• In Deutschland müssen Richter, die sich über die Zustände an ihren Gerichten in der Öffentlichkeit<br />
kritisch äußern, mit Disziplinarmaßnahmen rechnen. <strong>Die</strong> Exekutive (Justizverwaltung) rechtfertigt dies<br />
mit dem sogenannten "Mäßigungsgebot", das sie dem Beamtenrecht entlehnt. Der disziplinarische<br />
Verweis wird von dem Gerichtspräsidenten als dem dienstvorgesetzten Beamten erteilt. Er wird vorab<br />
ausgesprochen; die Richter können sich anschließend auf eigenes Kostenrisiko vor den<br />
Richterdienstgerichten um seine Aufhebung bemühen. Auf die Besetzung der Richterdienstgerichte<br />
nimmt die Justizverwaltung maßgeblichen Einfluss.<br />
• <strong>Die</strong> im Jahre 1877 (Reichsjustizgesetze) strukturell eingerichtete Vormundschaft der Exekutive über<br />
die in Angelegenheiten der Justiz sprachlos gehaltenen Richterinnen und Richter ist im heutigen<br />
(West- und Mittel-) Europa eine deutsche Besonderheit. Man hat ihr einen neuen Namen gegeben:<br />
"Gewaltenverschränkung". In Deutschland wurden aber keine drei Staatsgewalten miteinander<br />
"verschränkt"; es hätte sie erst einmal geben müssen. <strong>Die</strong> deutsche Justiz war im kaiserlichen<br />
Obrigkeitsstaat ein Teil des Geschäftsbereichs der Regierung und sie ist es geblieben. Nach 1918<br />
wie vor 1918. Nach 1945 wie vor 1945. Nach 1949 wie vor 1949. Bis zum heutigen Tage.<br />
• In Deutschland sind die Staatsanwälte den Weisungen der Justizminister unterworfen. Justizminister<br />
sind in der Regel Politiker einer Regierungspartei.<br />
• In Deutschland ist die Justiz fremdbestimmt. Sie wird von einer anderen Staatsgewalt - der Exekutive<br />
- gesteuert, an deren Spitze die Regierung steht. Deren Interesse ist primär auf Machterhalt<br />
gerichtet. <strong>Die</strong>ses sachfremde Interesse stellt eine Gefahr für die Unabhängigkeit der<br />
Rechtsprechung dar! Richter sind keine <strong>Die</strong>ner der Macht, sondern <strong>Die</strong>ner des Rechts. Deshalb<br />
müssen Richter von Machtinteressen frei organisiert sein. In Deutschland sind sie es nicht.<br />
In den stenografischen Protokollen des Parlamentarischen Rats ist wörtlich nachzulesen, dass die<br />
Verfasser des Grundgesetzes eine nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Gewaltenteilung,<br />
einen neuen Staatsaufbau im Sinne des oben dargestellten italienischen Staatsmodells wollten:<br />
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