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LEUCHTTURM<br />

Gute Bildung kostet<br />

ANDREA5<br />

SCHWARZ-<br />

KOPF<br />

Wer über die richtige<br />

Bezahlung für Lehrerinnen<br />

und Lehrer diskutiert, muss<br />

zunächst Ziele für die Bildung in<br />

Deutschland festsetzen. Daran ist<br />

die Politik bisher gescheitert.<br />

Es gibt die erwartbaren<br />

Reaktionen auf den Lehrerstreik.<br />

Gebt den Lehrerinnen und<br />

Lehrern halt ein paar Euro mehr<br />

im Monat, aber schafft endlich<br />

das Beamtentum ab, sagen die<br />

einen. Wieso sollen die mehr<br />

Geld bekommen, die haben doch<br />

wegen der Schulferien so viel<br />

Urlaub, polemisieren die anderen.<br />

Dabei haben vermeintlich<br />

einfache Antworten auf komplexe<br />

Probleme noch nie weitergeholfen.<br />

Bleibt man auf der tariflichen<br />

Ebene, ist der Arbeitskampf der<br />

Pädagogen ein normaler Streit<br />

zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern,<br />

die darüber verhandeln,<br />

wie viel für eine Leistung<br />

gezahlt werden soll. Zunächst<br />

geht es also um eine Handvoll<br />

Euro mehr. Die Länder erinnern<br />

in diesem Zusammenhang an die<br />

belasteten Haushalte und die<br />

steigenden Kosten für die<br />

Altersvorsorge vor allem der<br />

verbeamteten Lehrer, die vermehrt<br />

in Pension gehen. Die Gegenseite<br />

verweist auf die gute Konjunktur,<br />

die den öffentlichen Etats frische<br />

Steuereinnahmen beschert. Diesen<br />

Zwist könnte man auch zu<br />

einer Frage zuspitzen: Wie viel ist<br />

uns eine gute Bildung für unsere<br />

Kinder wert?- Spätestens hier wird<br />

es kompliziert.<br />

Es geht nicht mehr nur um die<br />

Höhe des Gehalts, sondern auch<br />

um Ziele von Bildung. Und<br />

beides ist enger verknüpft, als<br />

mancher denkt. Soll der Nachwuchs<br />

in eine Schule für alle<br />

gehen und ganztägig betreut<br />

werden, damit künftig bei einer<br />

prognostizierten sinkenden Zahl<br />

von Arbeitskräften möglichst<br />

viele Väter und Mütter arbeiten<br />

gehen können? Oder soll in<br />

einem dreigliedrigen Schulsystem<br />

weiter vor allem Wissen vermit-<br />

telt werden? Aus den Antworten<br />

leitet sich das Berufsbild des<br />

Lehrers ab. Daraus resultiert das<br />

Gehalt.<br />

Tatsächlich müssen Lehrer seit<br />

langem täglich ihren Klassen<br />

nicht nur den Satzbau oder<br />

binomische Formeln erklären,<br />

sondern häufig Mängel der<br />

elterlichen Erziehung auffangen.<br />

Darüber wird seit langem geredet,<br />

doch hat sich beispielsweise die<br />

Lehrerausbildung in den vergangenen<br />

Jahrzehnten kaum verändert.<br />

Schule ist auch ein Ort der<br />

Integration. Viele unterschiedliche<br />

Menschen lernen täglich<br />

miteinander, ob mit oder ohne<br />

Migrationshintergrund, ob mit<br />

oder ohne Behinderung. Um<br />

diese Leistungen noch auszubauen<br />

und das Ziel einer Ganztagsschule<br />

für alle zu erfüllen,<br />

müssten wir mehr investieren.<br />

Lehrer müssten etwa mit Sozialarbeitern,<br />

Trainern oder Musikern<br />

den Nachwuchs durch Lern- und<br />

entspannende Phasen im Schulalltag<br />

begleiten.<br />

Über derartige Bildungsziele<br />

wird spätestens seit dem Pisa-<br />

Schock leidenschaftlich gestritten.<br />

Die bisher gezogenen Schlüsse<br />

zeigen: Politiker, Lehrer und<br />

Eltern haben sich bei der<br />

Schulbildung hierzulande auf den<br />

Weg der Veränderung gemacht.<br />

Die Zwischenresultate sind noch<br />

nicht befriedigend. Das hohe Lied<br />

auf Ganztagsschulen etwa hat das<br />

ein oder andere gute Beispiel<br />

hervorgebracht. Mehrheitlich ist<br />

dieses Ziel noch nicht erreicht,<br />

häufig wird es verfehlt. Das böse<br />

Wort der Verwahranstalt macht<br />

die Runde. Mancherorts haben<br />

die Verantwortlichen dieses Ziel<br />

noch nicht mal in Angriff<br />

genommen. Ein Grund für das<br />

ungleiche Tempo sind die<br />

unterschiedlichen politischen Ziele,<br />

die Politiker und Eltern vor<br />

Ort verfolgen. Mütter, die<br />

tagsüber zu Hause sind, erwarten<br />

mehrheitlich anderes von der<br />

Schule als Familien, bei denen<br />

beide Elternteile einen Job haben.<br />

18<br />

Das Problem ist also, dass sich<br />

Deutschland nicht auf ein Ziel für<br />

die Schulbildung einigen kann.<br />

Und das, obwohl die Pisa-Studie<br />

zeigt: In Ländern, die ein<br />

einheitliches Ziel verfolgen, ist<br />

der Lernerfolg größer ais in<br />

Staaten ohne ein solches Ziel -<br />

unabhängig von der Schulform,<br />

zentralistischem oder föderalem<br />

Bildungssystem.<br />

Der Lernerfolg hängt auch<br />

nicht vom Status des Lehrers ab.<br />

Sachsen hat sich wie die anderen<br />

neuen Bundesländer nach der<br />

Wiedervereinigung dafür entschieden,<br />

Lehrer nicht zu<br />

verbeamten, sondern anzustellen.<br />

Das Schulsystem dort ist genauso<br />

leistungsfähig wie das Bayerns,<br />

wo die meisten Lehrer verbeamtet<br />

sind. Der Streit über den Status<br />

sollte aber aus einem anderen<br />

Grund gelöst werden. In den<br />

westlichen Bundesländern führt<br />

die Mischform zu einer Zweiklassengesellschaft<br />

im Lehrerzimmer.<br />

Ein einheitliches Dienstrecht<br />

könnte diese Ungerechtigkeit<br />

beseitigen, alle gleich gutabsichern<br />

und zudem angemessen<br />

entlohnen. Diese Lösung verhindern<br />

aber viele Minister. Sie<br />

scheinen sich an anderen Branchen<br />

zu orientieren, wo die<br />

Anstellungsverhältnisse sich dramatisch<br />

verändert haben. Tendenziell<br />

werden dabei die vermeintlich<br />

hohen Gehälter oder<br />

angebliche Privilegien beseitigt.<br />

Werden diese Probleme nicht<br />

endlich gelöst, wird es auch weiter<br />

zu schulpolitischen Desastern<br />

kommen, wie etwa beim verkürzten<br />

Abitur. Mit viel Aplomb<br />

warben Politiker ftir einen<br />

schnelleren Weg durchs Gymnasium<br />

zum Studium. Inzwischen<br />

entscheiden sich immer mehr<br />

Eltern mit ihren Kindern gegen<br />

GB und für G9. Das Experiment<br />

ist gescheitert. Man hätte es<br />

wissen können. Gemessen daran<br />

und an den grundsätzlichen<br />

Schwierigkeiten wirken ein paar<br />

Euro im Monat zusätzlich wie<br />

eine Kleinigkeit.

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