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LEUCHTTURM<br />
Emslandlager<br />
H. Rosenthal<br />
Die Geschichte der unter<br />
nationalsozialistischer Herrschaft<br />
errichteten Emslandlager<br />
ist großen Teilen der Bevölkerung,<br />
insbesondere der Jugend, nahezu<br />
unbekannt.<br />
Dabei bietet die Beschäftigung<br />
mit ihr die Möglichkeit, einen<br />
differenzierten Einblick in das<br />
Herrschaftssystem des NS-Staates<br />
zu erhalten.<br />
Die insgesamt 15 Emslandlager<br />
hatten von 1933 bis 1945<br />
wechselnde Funktionen. Sie<br />
dienten den Nationalsozialisten<br />
als<br />
Konzentrationslager (1933-<br />
1936)<br />
Strafgefangenenlager (1934-<br />
1945)<br />
Militärstrafgefangenenlager<br />
(1939-1945)<br />
Kriegsgefangenenlager (1939-<br />
1945)<br />
Außenlager des KZ Neuengamme<br />
(1944/45).<br />
In vielen Orten Norddeutschlands<br />
bestanden außerdem Außenkommandos<br />
der Lager, eben-<br />
so, im Krieg, in Nordnorwegen<br />
und in Westfrankreich.<br />
Die unterschiedlichen Funktionen<br />
spiegeln die fortschreitende<br />
Entwicklung der nationalsozialistischen<br />
Herrschaft wider. Zunächst<br />
zur Ausschaltung und<br />
„Umerziehung“ von tatsächlichen<br />
und vermeintlichen Gegnern des<br />
NS-Regimes, später auch zur<br />
besonders harten Bestrafung von<br />
zivil- und militärgerichtlich Verurteilten<br />
sollten nicht nur die<br />
unmenschlichen Lebensbedingungen<br />
in den Lagern beitragen.<br />
Gleichzeitig wurden die Gefangenen<br />
zu schwerer körperlicher<br />
Arbeit bei der Kultivierung der<br />
emsländischen Moore und, ab<br />
Kriegsbeginn, in kriegswichtigen<br />
Bereichen herangezogen. Die<br />
Emslandlager verkörpern daher<br />
auch ein Stück Regionalund<br />
Wirtschaftsgeschichte.<br />
Insgesamt wurden ca.<br />
80.000 KZ-Häftlinge und<br />
Strafgefangene und zwischen<br />
100.000 und 180.000<br />
Kriegsgefangene in den<br />
Lagern inhaftiert. Bis zu<br />
30.000 Menschen, überwiegend<br />
sowjetische Kriegsgefangene,<br />
kamen in den<br />
Moorlagern um.<br />
Bereits im April erteilte<br />
das Preußische Innenministerium<br />
dem Regierungspräsidenten<br />
in Osnabrück<br />
den Auftrag, im Emsland<br />
für die Unterbringung von<br />
3.000 bis 5.000 Gefangenen<br />
mehrere Lager einzurichten.<br />
Im Sommer<br />
schließlich wurden die<br />
Konzentrationslager Börgermoor,<br />
Esterwegen und<br />
Neusustrum als „Staatliches<br />
Konzentrationslager Papenburg“<br />
fertiggestellt und mit<br />
4.000 Häftlingen belegt,<br />
neben politischen Gegnern<br />
bald auch u.a. Zeugen Jehovas<br />
und sog. ,Sicherungsverwahrte‘.<br />
Die Gefangenen, die sich selbst<br />
,Moorsoldaten‘ nannten, wurden<br />
bei der Kultivierung der emsländischen<br />
Moore zur Zwangsarbeit<br />
herangezogen.<br />
22<br />
Mit der Neuorganisation des<br />
KZ-Systems unter Aufsicht der SS<br />
im Sommer 1934 wurden die<br />
Lager Neusustrum und Börgermoor<br />
als KZ aufgelöst und von<br />
der preußischen Justiz als<br />
Strafgefangenenlager übernommen.<br />
Esterwegen blieb bis zu<br />
seiner „Verlegung“ nach Sachsenhausen<br />
im August/September<br />
1936 als Konzentrationslager<br />
bestehen und wurde ab Januar<br />
1937 als Lager VII ebenfalls<br />
Strafgefangenenlager. Daneben<br />
bestanden die Lager I Börgermoor,<br />
II Aschendorfermoor, III Brual-<br />
Rhede, IV Walchum, V Neusustrum<br />
und VI Oberlangen mit<br />
Platz für zunächst 5.500 Gefangene,<br />
bevor 1938 im mittleren und<br />
südlichen Emsland acht weitere<br />
Strafgefangenenlager errichtet<br />
wurden: Lager VIII Wesuwe, IX<br />
Versen, X Fullen, XI Gross-<br />
Hesepe, XII Dalum, XIII Wietmarschen,<br />
XIV Bathorn und XV<br />
Alexisdorf.<br />
In den Strafgefangenenlagern<br />
wurden bis Kriegsende bis zu<br />
70.000 Menschen inhaftiert,<br />
darunter u.a. Kriminelle (nach<br />
heutigen Rechtsverständnis), Homosexuelle,<br />
politische Gegner,<br />
sog. ,Asoziale‘ und, ab Kriegsbeginn,<br />
zunehmend wehrmachtgerichtlich<br />
verurteilte Soldaten. In<br />
einem Teil des Lagers Esterwegen<br />
und in Börgermoor wurden 1943/<br />
44 außerdem westeuropäische<br />
Widerstandskämpfer, sog. ,Nacht<br />
und Nebel‘-Gefangene, inhaftiert.<br />
Bereits im September 1939<br />
übernahm das Oberkommando<br />
der Wehrmacht die Lager VI und<br />
VIII bis XI und nutzte sie als<br />
Kriegsgefangenenlager für bis<br />
Kriegsende weit über 100.000<br />
Soldaten aus der Sowjetunion,<br />
Frankreich, Belgien, Polen und<br />
Italien. 1944/45 dienten die Lager<br />
Dalum und Versen der SS<br />
kurzzeitig Außenlager des KZ<br />
Neuengamme.<br />
Im April 1945 wurden die<br />
Häftlinge der Emslandlager von<br />
britischen, kanadischen und polnischen<br />
Truppen befreit.