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Das Erbe der Weltenspringer (Leseprobe 167 Seiten)

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oben näherkommende, polternde Schritte auf einer Holztreppe verlangten<br />

nach einer sofortigen Aktion, doch ich konnte nur wenige Zentimeter<br />

des nackten Betonbodens sehen, so weit <strong>der</strong> spärliche Lichtschein unter<br />

<strong>der</strong> Tür reichte. Schon sah ich sich bewegende Schatten im Türspalt und<br />

hörte das Knacken des Schlosses.<br />

Ich muss die Situation kontrollieren, schoss es mir durch den Kopf,<br />

nicht <strong>der</strong> An<strong>der</strong>e! Ein Gedanke genügte, um einen Linearsprung einzuleiten.<br />

Sofort sah ich alles um mich herum, obwohl es nach wie vor dunkel<br />

war. Mein Geist war für die Wahrnehmung nicht auf Licht angewiesen<br />

wie die Augen. Ich erfasste alles in einem einzigen Augenblick. Freuen<br />

konnte ich mich darüber aber lei<strong>der</strong> nicht, denn was ich sah, war ein Bild<br />

wie aus einem schlechten Film.<br />

Auf einem schmuddeligen Matratzenlager hockte zusammengekauert<br />

ein ebenso schmuddeliges, nacktes Mädchen mit weit aufgerissenen<br />

Augen in <strong>der</strong> Ecke eines muffig feuchten Kellerraumes. Ihr Haar war<br />

zerzaust, die Hände befanden sich hinter ihrem Rücken und waren<br />

wahrscheinlich ebenso mit Klebeband gefesselt, wie ihre kleinen Füße,<br />

die weiß und blutleer und wahrscheinlich eiskalt waren. Ein festgezogenes<br />

Tuch schnitt in ihren Mund ein. Trotz ihres elenden Zustandes<br />

und dem Knebeltuch erkannte ich in dem Mädchen eindeutig die<br />

vermisste Marie-Clair.<br />

Neben <strong>der</strong> Matratze stand eine braune Keramikschale mit dem Rest<br />

irgendeiner Suppe und einem Löffel darin. In einer Ecke neben <strong>der</strong> Tür<br />

sah ich einen schmutzigen blauen Kunststoffeimer mit Deckel, daneben<br />

eine fast aufgebrauchte, von <strong>der</strong> Kellerfeuchte wellig gewordene Rolle<br />

Toilettenpapier. Eine nackte Glühlampe, von <strong>der</strong> sich bald ein Tropfen<br />

Kondenswasser lösen würde, hing von <strong>der</strong> fleckigen Betondecke herab.<br />

Unter <strong>der</strong> Lampe, an den unteren Mauerkanten und beson<strong>der</strong>s in den<br />

Ecken sah es feucht aus. Dort tummelten sich Scharen grauer Kellerasseln.<br />

An manchen Stellen waren pelzig weiß aussehende Salpeterausblühungen<br />

zu erkennen. In den oberen Kanten und Ecken lauerten<br />

zahlreiche Zitterspinnen mit ihren langen eckigen Beinen auf Beute. All<br />

das sah ich gleichzeitig in einem einzigen Augenblick. Und ich sah, wie<br />

das Mädchen offensichtlich fror, was die Gänsehaut bewies, die ihren<br />

ganzen Körper überzog. <strong>Das</strong>s sie zitterte, konnte ich nur vermuten. <strong>Das</strong>s<br />

man ihr nicht einmal eine Decke gegeben hatte, zeugte von unglaublicher<br />

Menschenverachtung und machte mich noch zorniger, als ich aufgrund<br />

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