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Fussball - Credit Suisse eMagazine - Deutschland

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Illustration: Arnold Design AG<br />

Mit dem Ball am Fuss im Alten China<br />

Die Chinesen haben nach Ansicht der Sporthistoriker das <strong>Fussball</strong>spiel erfunden. Mit unserem<br />

heutigen Sport hatte dieses zwar noch nicht sehr viel zu tun, aber es ist doch interessant, dass sogar<br />

ein Kaiser-Thron auf dem <strong>Fussball</strong>platz installiert worden ist. Von Herbert Brinker, Universität Zürich<br />

� Nach traditioneller Überlieferung wurde<br />

<strong>Fussball</strong> – wie so viele andere kultivierte<br />

Errungenschaften der Menschheit – am<br />

Urbeginn der Zivilisation von Huangdi, dem<br />

legendären «Gelben Kaiser», erfunden. In<br />

einem der mit Tusche auf Seide geschriebenen<br />

Manuskripte, die 1973 im Grab Nr. 3 von<br />

Mawangdui bei Changsha, Provinz Hunan,<br />

entdeckt wurden, gibt es unter den «Sechzehn<br />

Klassikern» ein Kapitel über die «Unterdrückung<br />

des Aufstands». Darin wird die<br />

Unterwerfung des Rebellen Chiyou geschildert,<br />

der den «Gelben Kaiser» zu stürzen<br />

trachtete. Dieser habe seinen Widersacher<br />

gefangen nehmen, häuten und seine äussere<br />

Hülle zu einer Zielscheibe machen lassen.<br />

Sein Magen sei ausgestopft und zu einem<br />

mit Füssen zu tretenden Ball verarbeitet worden.<br />

Das Grab lässt sich dank eines schriftlichen<br />

Hinweises auf 168 v. Chr. datieren.<br />

Volkssport Ende des vierten Jahrhunderts<br />

Auf ähnliche Geschichten dürfte sich der<br />

Anekdoten-Kompilator und Bibliograph Liu<br />

Xiang (77 v.Chr. bis 6 n. Chr.) in den «Separaten<br />

Berichten» (Bielu) beziehen, wenn<br />

er die Erfindung des <strong>Fussball</strong>s ebenfalls bis<br />

in graue Vorzeit auf den «Gelben Kaiser»<br />

zurückführt. Einschränkend fährt der Autor<br />

freilich fort mit dem Hinweis auf kritische<br />

Kommentare, die den Urspung des <strong>Fussball</strong>s<br />

gegen Ende der Östlichen Zhou-Dynastie<br />

zur «Zeit der Streitenden Reiche» (481–222<br />

v. Chr.) ansiedeln. Tatsächlich präsentiert Liu<br />

Xiang dafür in einem anderen Werk den wohl<br />

frühesten überzeugenden Beleg: In den<br />

«Ränkespielen der Streitenden Reiche»<br />

(Zhanguo ce), einer Sammlung historischer<br />

Episoden und fiktionaler Erzählungen über<br />

Persönlichkeiten und Ereignisse aus der Zeit<br />

zwischen dem 4. und 3. vorchristlichen Jahr-<br />

hundert, berichtet er von der Hauptstadt des<br />

mächtigen Staates Qi, der mondänen Metropole<br />

Linzi in der heutigen Provinz Shandong.<br />

Deren wohlhabende Bevölkerung betreibe<br />

allerlei Musik und Vergnügen, Sport und Spiel<br />

und habe neben Hahnenkampf und Hunderennen<br />

auch Spass am «<strong>Fussball</strong>» (taju). An<br />

das <strong>Fussball</strong>fieber in Linzi hatte sich schon<br />

ein Jahrhundert vor Liu Xiang der berühmte<br />

Historiograph Sima Qian (ca. 145–86 v.Chr.)<br />

im 69. Kapitel seiner «Aufzeichnungen des<br />

Historikers» (Shiji) erinnert. Es scheint, als<br />

sei <strong>Fussball</strong> bereits gegen Ende des 4. Jahrhunderts<br />

ein urbaner Volkssport gewesen.<br />

<strong>Fussball</strong> wurde offenbar auch als ein athletisches<br />

Mannschaftstraining zur körperlichen<br />

und mentalen Ertüchtigung des Militärs<br />

sowie zu dessen Entspannung und Erheiterung<br />

betrieben. «<strong>Fussball</strong> (stärkt) die Kampfkraft<br />

des Soldaten», heisst es in einem der<br />

«Sieben Abrisse» (Qilüe) des konfuzianischen<br />

Gelehrten und Politikers Liu Xin (ca. 50<br />

v. Chr. bis 23 n. Chr.). Beim <strong>Fussball</strong> sollten<br />

körperliche Fitness und Kraft, Kondition und<br />

Technik, Begabung und Geschicklichkeit der<br />

Soldaten getestet und gefördert werden.<br />

Abbild der kosmischen Urkräfte<br />

Seine «Inschrift an der Ballwand» (Jucheng<br />

ming) beginnt der Schriftsteller Li You (ca.<br />

55–135) mit den Zeilen: «Der Ball ist rund,<br />

die (Ball)wand viereckig, ein symbolisches<br />

Abbild (der kosmischen Urkräfte) Yin und<br />

Yang. Mit den (zwölf) Monden (Monaten) als<br />

Richtschnur (für die Anzahl der Spieler)<br />

stürmen sie aufeinander los. Denn mit je<br />

sechs (Mitgliedern) sind (die Mannschaften)<br />

ausgeglichen.» Diese Zahl bestätigt Bian<br />

Lan (tätig um 230 n. Chr.) in der «Rhapsodie<br />

auf den Xuchang-Palast» (Xuchanggong fu),<br />

mit der er die Vollendung einer der pracht-<br />

FUSSBALL<br />

vollsten Palastanlagen des Wei-Reiches<br />

(220–265) in der alten Stadt Xuchang besingt.<br />

Der Dichter geht darin auf ein spektakuläres<br />

<strong>Fussball</strong>spiel ein, das anlässlich der Einweihungsfeiern<br />

stattfand: «Man hat den kaiserlichen<br />

Thron auf dem <strong>Fussball</strong>platz installiert,<br />

um das brillante Spektakel wunderbarer<br />

Talente anzuschauen. Auf beiden Seiten<br />

stehen sich sechs (Spieler) gegenüber und<br />

geben Kostproben ihres Könnens. Ihre Körper,<br />

flink und schnell, scheinen zu fliegen.»<br />

<strong>Fussball</strong>stadion im Jahr 831<br />

Der Thron des Kaisers – des chinesischen<br />

wohlgemerkt – auf dem <strong>Fussball</strong>platz! Welch<br />

eine Begeisterung für den Sport im Kaiserhaus!<br />

1956 fanden chinesische Archäologen<br />

auf dem Gelände des «Palasts der Strahlenden<br />

Helligkeit» in der alten Kaiserstadt<br />

Chang’an [Xi’an] eine steinerne Inschriftenplatte<br />

aus dem Jahr 831, auf der neben dem<br />

Bau der «Halle des Gehegten Glanzes» und<br />

anderer Palastgebäude die Errichtung eines<br />

«<strong>Fussball</strong>-Stadions» (qiuchang) in kraftvoll<br />

eingemeisselten, grossen Schriftzeichen für<br />

die Nachwelt plakativ festgehalten ist.<br />

Die Begeisterung für <strong>Fussball</strong>, der zur<br />

Tang-Zeit (618–907) offenbar seinen martialischen<br />

Charakter weitgehend abgelegt<br />

hatte, scheint während des 8. und 9. Jahrhunderts<br />

einen ersten Höhepunkt erreicht<br />

zu haben. In dieser Phase entwickelte sich<br />

Chinas <strong>Fussball</strong> offensichtlich in zwei Richtungen:<br />

Zum einen wurde <strong>Fussball</strong> wettkampfmässig<br />

als Mannschaftssport nach differenzierten<br />

Regeln und in speziellen Arenen<br />

mit klar abgemessenen Toren, Eckpfosten<br />

und ähnlichen Markierungen betrieben, und<br />

zum anderen traf man sich zum ungezwungenen<br />

Alternativ-<strong>Fussball</strong>spiel. Hier ging es<br />

darum, dass die Teilnehmenden den Ball<br />

<strong>Credit</strong> <strong>Suisse</strong> Bulletin 2-04 17

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