Fussball - Credit Suisse eMagazine - Deutschland
Fussball - Credit Suisse eMagazine - Deutschland
Fussball - Credit Suisse eMagazine - Deutschland
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Beckenbauer forever<br />
Von Beatrice Schlag, Autorin «Weltwoche»<br />
� «Liebe ist, mit Dir ‹Sportschau› gucken.»<br />
Der Satz stand auf einer Ansichtskarte, die<br />
zwei Herzen in einem <strong>Fussball</strong>tor zeigte, und<br />
er beschäftigte mich. Mit knapp zwanzig<br />
weiss man nicht viel über Liebe. Aber dieser<br />
Satz war eindeutig falsch. Ich schaute immer<br />
Sportschau mit meinem Freund, aber nicht<br />
aus Liebe. Es hatte mit <strong>Fussball</strong> zu tun und<br />
es machte Spass. So wie es fast all meinen<br />
Freundinnen Spass machte. Das Gerede von<br />
den Frauen, welche die Abseitsfalle für einen<br />
Seitensprung halten, war uns ein Rätsel.<br />
Zugegeben, wenn Frauen <strong>Fussball</strong> schauen,<br />
haben sie nie die Zärtlichkeit in den<br />
Augen, die eine perfekte Bananenflanke<br />
einem Mann entlocken kann. Sie stossen<br />
keinen Schmerzensschrei aus, wenn ein<br />
Stürmer in den Absatz getreten wird. Zu<br />
diesem Mitgefühl ist nur fähig, wer schon<br />
mit blutiger Ferse vom Platz gehumpelt ist.<br />
Frauen kennen Qualen in hochhackigen<br />
Schuhen, von denen Männer keine Ahnung<br />
haben. Aber was es heisst, mit Stollenschuhen<br />
in die Hacken getreten zu werden,<br />
wissen sie nicht. Denn Frauen spielen, von<br />
seltenen Ausnahmen abgesehen, nicht <strong>Fussball</strong>.<br />
Ihre sekundären Geschlechtsmerkmale<br />
sind am falschen Ort. Die meisten haben es<br />
ein paar Mal versucht. Aber ein Sport, bei<br />
dem der Einsatz der Arme vorwiegend auf<br />
dem Brustkorb des Gegners stattfindet, ist<br />
einfach ungeeignet. Und im Rempeln sind<br />
Frauen auch ganz schlecht, zumindest mit<br />
dem Oberkörper. Das raubt dem Spiel die<br />
Würze. Deswegen mangelt es dem Frauenfussball<br />
trotz aller Bemühungen an Publikum.<br />
Aber mit Vergnügen zuschauen können<br />
sie. Vorausgesetzt, es gab in ihrem Leben<br />
jemanden, der den Virus einpflanzte.<br />
Unser Einpflanzer hiess Toni Allemann.<br />
Er war der erste Schweizer <strong>Fussball</strong>er, der<br />
30 <strong>Credit</strong> <strong>Suisse</strong> Bulletin 2-04<br />
ins Ausland verkauft wurde, zu Mantova und<br />
später zum PSV Eindhoven und zum 1. FC<br />
Nürnberg. Aber da arbeitete er schon eine<br />
Weile nicht mehr in der gleichen Firma wie<br />
meine Mutter. Wir lernten ihn vorher kennen,<br />
als er noch bei YB spielte und uns mit Tribünenkarten<br />
überschüttete, weil er in meine<br />
ältere Schwester verliebt war. Sie erwiderte<br />
seine Gefühle trotzdem nicht, aber wir<br />
hatten sehr fröhliche Sonntagnachmittage im<br />
Stadion. Kaum sassen wir auf einer Tribüne,<br />
befiel meine Eltern eine glückliche Aufgeregtheit<br />
und meine Schwester hörte auf,<br />
mich zu plagen. Also war Toni ein Held. Aber<br />
eigentlich war es viel spannender, ihm beim<br />
Tennisspielen gegen meinen Vater zuzuschauen.<br />
Toni drosch wie ein wütender<br />
Kutscher auf die Bälle ein. Seine Schläge<br />
waren ohne jede Anmut. Aber er hörte keine<br />
Sekunde auf zu rennen. Ausser wenn er sich<br />
auf den Boden schmiss, um einem Ball<br />
nachzuhechten. Er gewann immer, und sein<br />
weisses Leibchen war nach jedem Spiel<br />
vorne und hinten rot. Er flösste mir eine<br />
grosse Ehrfurcht vor <strong>Fussball</strong>ern ein.<br />
Als ich in Rom lebte und über <strong>Fussball</strong> zu<br />
schreiben begann, weil die halbe deutsche<br />
Nationalmannschaft in Italien unter Vertrag<br />
war und grosse Nachfrage nach Berichten<br />
über Matthäus, Klinsmann oder Brehme<br />
herrschte, legte sich die Ehrfurcht etwas.<br />
Es gibt nichts Langweiligeres, als auf Trainingsgeländen<br />
herumzuhängen und den Äusserungen<br />
hart trainierender, aber in jeder anderen<br />
Hinsicht ziemlich unterforderter junger<br />
<strong>Fussball</strong>er zu lauschen. Nach dem Duschen<br />
schlurften sie in Bademänteln und Adiletten<br />
mit erschöpften Gesichtern auf die Sportjournalisten<br />
zu, weil das zu ihrem Job gehörte,<br />
und redeten über akute oder überwundene<br />
Muskelzerrungen und drohende Meniskus-<br />
operationen. Sonst gab es wenig zu erzählen.<br />
Spieltaktiken und Aufstellungen waren so geheim<br />
wie Papstwahlen, mannschaftsinterne<br />
Probleme wurden hartnäckiger geleugnet als<br />
Andreottis Mafiakontakte. Und vom Leben<br />
draussen wussten die <strong>Fussball</strong>er nichts mehr.<br />
Jeder Versuch, eine Pizzeria, einen Schuhladen<br />
oder ein Kino zu besuchen, führte zu<br />
einem Tumult kreischender Fans. Also fuhren<br />
sie nach dem Training in ihren teuren Autos<br />
heim und sahen dort fern.<br />
Bei den italienischen Freunden stieg mein<br />
Status dank der <strong>Fussball</strong>stars gewaltig.<br />
«Klinsmann hat sie im Auto mitgenommen!<br />
Bringt ihr ein Tiramisù!» Aber wirklichen<br />
Spass machte <strong>Fussball</strong> nur auf der Tribüne.<br />
Oder im Fernsehen. Meine Bewunderung für<br />
die Kollegen von der «Gazzetta dello Sport»<br />
wurde mit jedem Tag grösser. Niemand kann<br />
schwungvoller und ausführlicher über Fakten<br />
schreiben, die ihm vorenthalten werden.<br />
Nach dem Transfer von Rudi Völler zur AS<br />
Roma besuchte ich ihn im Flughafenhotel,<br />
in dem er provisorisch untergebracht war. Er<br />
sass als einziger Gast im riesigen Speisesaal<br />
und stocherte in einem Salat. Ich fragte, was<br />
er heute Abend vorhabe. Es war etwa halb<br />
acht. Er blickte mit müdem Lächeln von<br />
seinem Salat hoch: «Ins Zimmer gehen und<br />
hoffen, dass sich eine Stewardess in der<br />
Türe irrt. Was sonst?» Machen Sie daraus<br />
einmal eine packende Geschichte.<br />
Ein paar Monate vor der <strong>Fussball</strong>-WM 90<br />
suchte der «Stern» eine Dolmetscherin, die<br />
Franz Beckenbauer und Italiens früheres<br />
<strong>Fussball</strong>idol Gianni Rivera auf einem Spaziergang<br />
durch Mailand begleiten sollte. Mein<br />
Bedarf an <strong>Fussball</strong>ergesprächen war eigentlich<br />
gedeckt, aber mein Konto nicht. Gott sei<br />
Dank! Es war der beste Job meines Lebens,<br />
obwohl mir kaum ein Satz geblieben ist, den<br />
die beiden miteinander redeten. Sie waren<br />
nicht sehr gesprächig.<br />
Aber es ging nicht um Reden, es ging um<br />
Glück. Wo immer Beckenbauer und Rivera<br />
auftauchten, brach das reine Glück aus.<br />
Sie mussten weder etwas tun noch sagen.<br />
Blasierten Geschäftsherren, schlecht gelaunten<br />
Lehrlingen und gehetzten Hausfrauen<br />
zerriss es vor Freude fast das Gesicht,<br />
als die zwei in teuren Anzügen steckenden<br />
ehemaligen <strong>Fussball</strong>er, deren Glanzzeit als<br />
Spieler schon ziemlich weit zurücklag, über<br />
die Piazza della Scala schlenderten. Warum?<br />
Weil guter <strong>Fussball</strong> bedingungslos glückliche