4_99 c20040129 [122].pdf 7377KB Aug 21 2007
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Nun hielt Chatters den Zeitpunkt für gekommen, um seine<br />
„Atombombe“ hochgehen zu lassen: Der Kennewick Man<br />
war kein Indianer.<br />
»Dies bedeutet, daß die Indianer womöglich nicht die ersten<br />
Menschen in Nordamerika waren.«<br />
In der CBS-Sendung sieht man Chatters auf der Rechten, wie<br />
er einen typischen Indianerschädel untersucht, der ihm zufolge<br />
»sehr rund« ist. Auf der Linken ist der Kennewick Man zu<br />
erkennen, der, so Chatters weiter, »mit seinem langen Schädel<br />
in jeder Gruppe von Indianern sofort auffallen würde«.<br />
Auch wer nicht Anthropologie studiert hat, bemerkt gleich,<br />
daß der Kennewick Man einen langen, schmalgesichtigen<br />
Schädel besaß, wie er für den nordischen Menschentypus<br />
kennzeichnend ist.<br />
Der nächste Experte, den Stahl zum Interview lud, war<br />
Douglas Owsley vom Smithsonian Institute in Washington,<br />
D.C. Er pflichtete Chatters bei, daß der Fund »unerhört bedeutsam«<br />
sei. Die Wissenschaftler einigten sich darauf, den<br />
Kennewick Man sogleich aus dem Staate Washington nach<br />
Washington, D.C., zu fliegen.<br />
Wie Owsley in der Sendung Sixty Minutes sagte, hat man auf<br />
dem Territorium Nordamerikas bisher vier prähistorische<br />
Skelette gefunden, die ähnliche nichtindianische Merkmale<br />
aufwiesen. Der markanteste Fall ist der in Nevada gefundene<br />
„Spirit Cave Man“. »Die Frage läßt niemanden gleichgültig:<br />
Seine Familienangehörige schauen zu, wie Alan Cliff, ein Indianerhäuptling<br />
aus Benton City, Washington, einen Trommelritus<br />
vollführt, während im Hintergrund ein Hubschrauber<br />
der US-Pioniere Geröll und Erde in die Fundstelle des Kennewick<br />
Man abläd, um zu verhindern, daß die Wissenschaftler<br />
weitere Entdeckungen machen, die widerlegen könnten,<br />
daß Angehörige der mongolischen Rasse die ersten Menschen<br />
in Amerika waren. (Der Geröllbehälter befindet sich<br />
am Ende des vom Hubschrauber herunterhängenden Seils<br />
hinter dem Gestrüpp.)<br />
Waren die sogenannten Ur-Amerikaner (Indianer, Eskimos<br />
und Aleuter) tatsächlich zuerst hier?« wollte Leslie Stahl<br />
wissen. In nüchtern wissenschaftlichem Ton erwiderte Owsley:<br />
»Dieses Skelett stellt das in Frage.«<br />
Ein anderer Wissenschaftler, der Paläoanthropologe Dennis<br />
Stanford vom Smithsonian Institute, äußerte sich wie folgt:<br />
»Es ist wahrhaftig von immenser Tragweite, daß es uns<br />
vergönnt war, die ganz wenigen Überreste, die man vorgefunden<br />
hat, zu studieren. Eine umfassende Untersuchung<br />
jedes einzelnen Skeletts kann auf einen Schlag eine Antwort<br />
auf so viele Fragen über die Besiedelung Amerikas erteilen.«<br />
Leider Gottes untersteht die Gegend, wo der Kennewick Man<br />
gefunden wurde, der Kontrolle des Pionierkorps der US-<br />
Armee, und das Pionierkorps untersteht seinerseits Clintons<br />
Weißem Haus. Dieses verweigerte den Wissenschaftlern des<br />
Smithsonian Institute die Genehmigung, den Kennewick Man<br />
gen Osten fliegen zu lassen, und ordnete an, die Knochen<br />
müßten den Umatillas zum unverzüglichen Begräbnis übergeben<br />
werden. »Owsley platzte schier vor Wut«, berichtet<br />
Stahl. Der Wissenschaftler reichte Klage gegen das politisch<br />
korrekte Pionierkorps ein und begründete diesen Schritt wie<br />
folgt:<br />
»Wenn ich dies nicht getan hätte, so hätten die Umatillas<br />
das Skelett schnurstracks in einem geheimen Grab beigesetzt.«<br />
Im Juni 1<strong>99</strong>8 stoppte US-Richter John Jelders den Fall, indem<br />
er das Pionierkorps dazu verpflichtete, das Skelett erneut<br />
zu untersuchen. Das Korps gab den Schwarzen Peter ans Innenministerium<br />
weiter, doch dieses hatte sieben Monate später<br />
immer noch nicht entschieden, was mit dem Skelett anzustellen<br />
sei, welches möglicherweise den bahnbrechendsten<br />
Fund aus der amerikanischen Urgeschichte darstellt.<br />
Eine weitere Glanzidee aus dem Hause Clinton war es, die<br />
gesamte Fundstätte einzugraben. Dutch Meier, Presseoffizier<br />
des Pionierkorps in Walla Walla, Washington, gab bekannt,<br />
daß »von Regierungsseite Interesse am Kennewick Man besteht<br />
und aktive Schritte ergriffen werden sollen.« Am 19.<br />
Dezember 1<strong>99</strong>7 schrieb William Stelle, regionaler Verwalter<br />
des National Marine Fisheries Service in Seattle, an den örtlichen<br />
Befehlshaber des Pionierkorps:<br />
»Eine vom Weißen Haus angeordnete Untersuchung führte<br />
zur Bildung einer Beratergruppe aus Vertretern des Justizministeriums,<br />
des Innenministeriums sowie des Korps.<br />
Diese Beratergruppe hat das Bezirkskorps von Walla Walla<br />
darum ersucht, im Abstand von ca. 350 Fuß von der Ausgrabungsstätte<br />
eine Schutzzone zu markieren.«<br />
Im 60 Minutes-Film sieht man, wie nur wenige Stunden vor<br />
Inkrafttreten dieser Kongreß-Anordnung plötzlich Schwärme<br />
von Hubschraubern und Lastwagen auftauchten und 2.000<br />
Tonnen Kies sowie Pflanzensamen auf die Ausgrabungsstätte<br />
schütteten. Heute wachsen dort überall Bäume und andere<br />
Pflanzen, deren Wurzeln immer tiefer in den Boden dieser<br />
wissenschaftlich ungeheuer bedeutsamen Zone eindringen, in<br />
der die Archäologen doch ihre mühsamen Ausgrabungen hatten<br />
fortsetzen wollen.<br />
Cleone Hawkinson, ein Archäologe aus Portland, klagte:<br />
»Alle Hoffnungen, zusätzliche Knochen vom Skelett des<br />
Kennewick Man oder Hinweise auf seine Lebensweise<br />
[Werkzeuge, Feuerstätten etc.] zu finden, sind wie Seifenblasen<br />
geplatzt.«<br />
388 VffG · 1<strong>99</strong>9 · 3. Jahrgang · Heft 4