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4_99 c20040129 [122].pdf 7377KB Aug 21 2007

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dies taten, um sich als Gegenleistung möglichst milde Strafen<br />

einzuhandeln. Aber jene, mit denen ich mich unterhielt,<br />

hatten ihre Prozesse bereits hinter sich. Viele hatten ihre<br />

Strafen schon verbüßt, und das Gespräch mit mir konnte<br />

keinem von ihnen etwas anderes einbringen als Schimpf<br />

und Schande. Stangl selbst wollte nichts weiter mehr als<br />

sprechen und dann sterben. Und Stangl ist tot. Aber wenn<br />

[…] Butz […] tatsächlich an der Wahrheit interessiert wäre,<br />

stünden ihm Stangls Frau und viele andere zur Verfügung,<br />

um Zeugnis abzulegen.«<br />

Obwohl dieser Punkt eher nebensächlich ist, will ich doch<br />

darauf verweisen, daß Sereny Stangls während der Gespräche<br />

geäußerte Hoffnungen falsch gedeutet hat. Wie sie in ihrem<br />

Buch selbst festhält, hatte er Berufung gegen seine Verurteilung<br />

zu lebenslanger Haft eingelegt; er wollte also offensichtlich<br />

aus dem Gefängnis herauskommen, ehe er starb.<br />

Jemand, der sich auch nur flüchtig mit der Treblinka-Legende<br />

befaßt hat und beispielsweise weiß, daß man zur „Vergasung“<br />

in jenem Lager angeblich die<br />

Abgase erbeuteter russischer Panzer<br />

und Lastwagen einsetzte, muß sich im<br />

klaren darüber sein, daß die Bemerkungen<br />

Serenys über ihre Gespräche mit<br />

Stangl bar jeden historischen Wertes<br />

sind. Doch auch wer solch gesunden<br />

Skeptizismus an den Tag legt, wird<br />

wohl in den meisten Fällen eine trügerische<br />

Erklärung für G. Serenys Bericht<br />

über ihre Gespräche mit Stangl liefern.<br />

Beispielsweise wird er behaupten oder<br />

andeuten, daß Sereny schlicht und einfach<br />

lügt und daß Stangl die ihm in den<br />

Mund gelegten Äußerungen niemals<br />

von sich gegeben hat. Möglicherweise<br />

wird er auch den Verdacht äußern,<br />

Stangl sei bestochen oder gefoltert<br />

worden. Daß solche Erklärungsversuche<br />

in die Irre führen, läßt sich leicht<br />

erkennen, wenn man nicht so sehr den<br />

Inhalt der Aussagen Stangls betrachtet<br />

als den historischen Hintergrund, vor<br />

dem sie erfolgt sind. Stangl war bereits<br />

ein alter Mann. Fünfundzwanzig Jahre<br />

lang hatte er immer nur dieselben<br />

Schreckensgeschichten über Treblinka<br />

gehört. Natürlich hatte er zunächst im stillen darüber gelacht.<br />

Dann gewöhnte er sich nach und nach daran, in einer Welt zu<br />

leben, in der solche Geschichten niemals öffentlich in Frage<br />

gestellt wurden. Vielleicht mag er – wie es unter solchen<br />

Verhältnissen gelegentlich geschieht – mit der Zeit selbst begonnen<br />

haben, daran zu glauben; freilich kann es auch sein,<br />

daß er in seinem Innersten weiterhin davon überzeugt war,<br />

fast alles sei nur Lug und Trug. Wir werden es wohl kaum je<br />

erfahren, doch jedenfalls war sich der unglückliche Greis bewußt,<br />

daß er bei seinen Begegnungen mit der Journalistin Sereny<br />

wirklich keinen Nutzen davon haben konnte, die<br />

Treblinka-Legende in Abrede zu stellen. Ich bin mir fast sicher,<br />

daß Gitta Sereny Stangls Aussagen mehr oder weniger<br />

korrekt wiedergegeben hat. Selbstverständlich machte er für<br />

sich selbst allerlei mildernde Umstände geltend, doch was<br />

hätte es ihm geholfen, Sereny gegenüber die Vergasungen als<br />

Mythos abzutun?<br />

Ich schrieb dem New Statesman also eine Entgegnung, die er<br />

Immer noch unübertroffen.<br />

Eine überarbeitete Neuauflage wird z.Zt.<br />

geplant von VHO, Postbus 60, B-2600<br />

Berchem 2, Belgien<br />

nicht abdruckte, die aber im Journal of Historical Review publiziert<br />

wurde: 3<br />

»Der entscheidende Punkt ist, daß solche Aussagen vermutlich<br />

eher im Hinblick auf persönliche Interessen als auf<br />

die historische Wahrheit erfolgen Bei einem Prozeß geht es<br />

um einen ganz spezifischen Tatbestand, den das Gericht zu<br />

Beginn grundsätzlich als ungeklärt betrachten sollte. Doch<br />

die These von der Judenausrottung wurde in der Praxis bei<br />

keinem der einschlägigen Prozesse je als ungeklärt betrachtet,<br />

und bei manchen war es nach der Prozeßordnung<br />

ausdrücklich untersagt, sie anzuzweifeln. Es ging stets nur<br />

um die persönliche Verantwortung der Angeklagten, niemals<br />

um die Tat als solche. Unter diesen Umständen waren<br />

die „Geständnisse“ von Deutschen, die allerdings regelmäßig<br />

ihre persönliche Schuld bestritten oder mildernde<br />

Umstände beanspruchten, die einzige unter diesen Umständen<br />

mögliche Verteidigung.<br />

Diese Taktik ist nicht ganz dasselbe wie ein Kuhhandel<br />

zwischen Anklage und Verteidigung,<br />

doch handelt es sich um einen damit<br />

verwandten Vorgang. Es ging ganz<br />

einfach darum, dem Gericht eine Geschichte<br />

zu erzählen, die es akzeptieren<br />

konnte. Dieses logische Dilemma<br />

ist unumgänglich, sobald der Angeklagte<br />

beschlossen hat, den „Prozeß“<br />

ernstzunehmen. Will er dem Gefängnis<br />

entgehen, so darf er die Legende<br />

nicht bestreiten.<br />

Sehr zu Unrecht macht die Sereny<br />

geltend, bei einer Verurteilung zu lebenslanger<br />

Haft bestehe dieses Dilemma<br />

nicht mehr. Strebt der Verurteilte<br />

nämlich eine Begnadigung oder<br />

eine Milderung des Strafmaßes an,<br />

darf er das vom Gericht als wahr<br />

Festgelegte nicht in Abrede stellen,<br />

denn damit kommt er seinem Ziel<br />

nicht näher. Beispielsweise waren<br />

dem Angeklagten Robert Mulka beim<br />

Frankfurter Auschwitz-Prozeß von<br />

1963 bis 1965 dermaßen grauenhafte<br />

Untaten zur Last gelegt worden, daß<br />

viele seine Strafe von 14 Jahren<br />

Zuchthaus als unangebracht milde<br />

rügten. Dann geschah etwas, das jeden Uneingeweihten<br />

heftig überraschten mußte: Mulka wurde ganze vier Monate<br />

später ohne viel Aufhebens auf freien Fuß gesetzt. Hätte<br />

er bei seinem Prozeß oder danach erklärt, er wisse ganz<br />

genau, daß es in Auschwitz keine Ausrottungsaktionen gab<br />

– was der Wahrheit entsprochen hätte –, so wäre er im ersten<br />

Fall zu lebenslanger Haft verurteilt worden und hätte<br />

im zweiten Fall seine 14 Jahre bis zum letzten Tag absitzen<br />

müssen, falls er überhaupt so lange gelebt hätte.<br />

Auch wenn man dies allgemein nicht weiß, gab es viele solcher<br />

Fälle; die Untersuchung des Themas ist mit großen<br />

Schwierigkeiten verbunden. 4 In keinem einzigen Fall hätte<br />

es dem Betroffenen persönlichen Nutzen gebracht, die Ausrottungsaktionen<br />

zu bestreiten. Dies war nicht der Weg, um<br />

aus dem Gefängnis herauszukommen.«<br />

Wenn man sich bei einer Debatte rein defensiv verhält und<br />

damit begnügt, die Argumente der Gegenseite zu kontern,<br />

dann halte ich dies weiterhin für die richtige Antwort auf die<br />

394 VffG · 1<strong>99</strong>9 · 3. Jahrgang · Heft 4

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