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4_99 c20040129 [122].pdf 7377KB Aug 21 2007

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net, 62 mutet es fast unglaublich an, daß Hilberg so zu argumentieren<br />

wagt. Es dürfte nicht allzu schwierig sein, herauszufinden,<br />

wohin es die Juden verschlagen hat. Man könnte<br />

auf den ersten Blick beinahe meinen, Hilberg sei falsch zitiert<br />

worden.<br />

Obwohl Hilberg diesen Punkt nicht weiter ausführt, kann ich<br />

mir zwei mögliche Deutungen vorstellen. Er führt zwar ein<br />

Argument an, doch wie üblich wirkt dieses nur auf den ersten<br />

Blick plausibel und kann nur jene beeindrucken, die an Kurzsichtigkeit<br />

leiden und Kontext sowie Perspektive aus den<br />

<strong>Aug</strong>en verloren haben.<br />

Vermutlich spielt Hilberg darauf an, daß es zwar eine Fülle<br />

von Dokumenten über die Deportation von Juden in polnische<br />

Lager wie Auschwitz, Treblinka etc. gibt, aber keine<br />

vergleichbare Dokumentation über den Weitertransport solcher<br />

Juden an noch mehr im Osten gelegene Orte. Zumindest<br />

ich habe keine solchen deutschen Dokumente zu Gesicht bekommen,<br />

und ich wäre auch sehr erstaunt, bekäme ich unter<br />

den heutigen Umständen welche zu Gesicht. Selbst wenn die<br />

Legende auf liederliche Weise zusammengeschustert wurde,<br />

um ein Minimum an Kontinuität gegenüber der Kriegspropaganda<br />

zu wahren, so trifft es dennoch<br />

zu, daß jene Leute völlig freie Hand<br />

hatten, die sich nach dem Krieg der<br />

deutschen Dokumente bemächtigten<br />

und daraus solche als Beweismaterial<br />

für die Nürnberger Prozesse heraussuchten,<br />

die ihnen von Nutzen schienen.<br />

Sie konnten mißliebige Dokumente<br />

nach Belieben verschwinden<br />

lassen.<br />

Man muß sich vor <strong>Aug</strong>en halten, um<br />

wen es sich bei „jenen Leute, die sich<br />

nach dem Krieg der deutschen Dokumente<br />

bemächtigten“, gehandelt hat.<br />

Dies läßt sich auf vielfache Art klären,<br />

und zwar sowohl mit historischpolitischen<br />

Argumenten als auch durch<br />

eine simple Aufzählung von Einzelbeispielen.<br />

Der Name, der mir da im-<br />

mer als erstes einfällt, ist David<br />

Marcus. Marcus gehörte zu den wichtigsten<br />

Gestaltern der US-Besatzungspolitik in Deutschland<br />

in der letzten Kriegsphase sowie der unmittelbaren Nachkriegszeit.<br />

1946-1947 war er Leiter der Abteilung für Kriegsverbrechen<br />

in Washington, und 1948 führte er die jüdischen<br />

Truppen in ihrem ersten Krieg gegen die Araber in Palästina.<br />

Es ließe sich noch mehr über ihn sagen. 63<br />

Hilbergs Argument besäße einiges Gewicht, spräche er über<br />

unerforschte historische Dokumente, doch wenn ich seine<br />

Aussagen richtig deute, sagt er, man solle den Architekten<br />

der Nürnberger Prozesse vertrauen. Vermutlich würde auch<br />

Hilberg nicht geltend machen, daß diese in allen Punkten die<br />

Wahrheit gesagt haben, und nur darauf beharren, daß das von<br />

ihnen über die Judenausrottung Behauptete stimmt. Wiederum<br />

sehen wir uns einem Versuch gegenüber, den Kontext<br />

vergessen zu machen und so die Logik auszuschalten. Wir<br />

können nur feststellen, daß die Urheber des Schwindels der<br />

Öffentlichkeit jenes Material vorenthalten, das ihren Betrug<br />

direkt enthüllen würde.<br />

Hilberg könnte hier einwenden, daß es gar nicht möglich wäre,<br />

alle betreffenden Unterlagen verschwinden zu lassen, und<br />

daß die Deportation von Juden in weiter östlich gelegene Zo-<br />

nen zwangsläufig Spuren hinterlassen hätte. Dies stimmt<br />

schon, aber solche Spuren gibt es sehr wohl. Wenn Hilberg<br />

tatsächlich so argumentieren wollte, müßte er folgende Frage<br />

beantworten können: Wo sind die deutschen Dokumente,<br />

welche die Deportation von Juden in die nahe bei Riga gelegene<br />

Siedlung (nicht das KL Riga) sowie die Verwaltung jener<br />

Siedlung betreffen, die in Jeanette Wolfs Artikel – er<br />

steht in Boehms Buch – beschrieben wird? Ich weiß es nicht.<br />

Ich sage nicht, daß die Dokumente niemals auftauchen werden,<br />

doch weiß ich, daß sie sorgfältig aus den in Nürnberg als<br />

Beweismaterial verwendeten Unterlagen ausgesondert worden<br />

sind. 64<br />

Es gibt noch eine zweite mögliche Deutung für Hilbergs Aussage.<br />

So unzuverlässig die statistischen Angaben über die jüdische<br />

Bevölkerung in Osteuropa auch sein mögen, unterliegt<br />

es doch keinem Zweifel, daß die Zahl der Juden in Polen heute<br />

nur einen geringen Teil der Vorkriegsziffer (vielleicht 3<br />

Millionen) beträgt (wobei das Territorium des damaligen Polens<br />

nicht mit dem des heutigen übereinstimmt). Ich will damit<br />

nicht sagen, daß wir die offiziellen Bevölkerungsstatistiken<br />

unbesehen hinnehmen sollen, aber im Gegensatz zur<br />

UdSSR ist Polen kein großes Land,<br />

und gäbe es dort noch nennenswerte<br />

jüdische Gemeinden, so würde man sie<br />

sicherlich entdecken.<br />

Läßt man den historischen Kontext<br />

außer acht, scheint das Argument sehr<br />

einleuchtend: Die Juden leben nicht<br />

mehr auf dem Gebiet, das wir heute<br />

Polen nennen; folglich wurden sie<br />

umgebracht. Wer auch nur ein Minimum<br />

an Geschichtskenntnissen besitzt,<br />

dem wird dieser Schluß freilich<br />

so unlogisch vorkommen wie der folgende:<br />

Vor dem Krieg lebten östlich<br />

von Oder und Neiße viele Millionen<br />

Deutsche; heute gibt es dort nur noch<br />

wenige, also hat man die übrigen umgebracht.<br />

In jenen Jahren gab es ungeheuerlicheBevölkerungsverschiebun-<br />

gen, von denen auch die Juden betroffen<br />

waren. Die Sowjets haben zahlreiche<br />

Juden ins Innere der UdSSR deportiert, und nach Kriegsende<br />

strömten polnische Juden massenhaft nach Westdeutschland<br />

und von dort aus weiter in die Vereinigten Staaten,<br />

nach Palästina sowie in alle möglichen anderen Länder.<br />

Darüber wurde seinerzeit sehr viel geschrieben. 65<br />

Raul Hilberg<br />

Im Moment kann ich denen, die sich in der „Holocaust“-<br />

Kontroverse zu engagieren gedenken, kaum mehr zusätzliche<br />

Ratschläge erteilen, denn ich kann nicht wissen, was für<br />

Tricks sich die Gegenseite noch einfallen lassen wird. Vielleicht<br />

wird man uns nicht einmal jene Argumente entgegenhalten,<br />

deren sich die Sereny und Hilberg bedient haben.<br />

Noch heute stößt man als Revisionist auf den Einwand, die<br />

amerikanischen und britischen Soldaten, die Bergen-Belsen,<br />

Buchenwald und Dachau befreiten, hätten „es mit ihren eigenen<br />

<strong>Aug</strong>en gesehen“. Die Soldaten sahen in der Tat Leichen,<br />

und seit 1945 kann man sich unschwer darüber kundig machen,<br />

daß das Massensterben in diesen Lagern auf die durch<br />

den deutschen Zusammenbruch ausgelösten katastrophalen<br />

Zustände zurückging, doch ist die allgemeine Verwirrung so<br />

groß, daß man uns dieses Argument heute noch entgegensetzt.<br />

Ich kann nur noch raten, die heutige wie die künftige<br />

408 VffG · 1<strong>99</strong>9 · 3. Jahrgang · Heft 4

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