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Rundbrief 9 - bvkm.

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ans Licht gezerrt und der wissenschaftlichen Beobachtung<br />

zugänglich gemacht. Körperliche<br />

Wahrnehmungen der Frau spielen keine Rolle, sie<br />

wird zum "fötalen Umfeld" und muss sich, wenn<br />

die Diagnostik es nahelegt, immer neuen Untersuchungen<br />

und im Einzelfall auch einer vorgeburtlichen<br />

Therapie des Kindes unterziehen, einer<br />

Therapie, die, sei es medikamentös oder chirurgisch,<br />

durch ihren Körper hindurch geht. War es<br />

in der §-218-Diskussion "der Fötus als Person",<br />

so ist es in der vorgeburtlichen Diagnostik "der<br />

Fötus als Patient", der das Recht der Frau auf<br />

Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit<br />

einschränkt.<br />

So wird die Frau an ihrem Leib verantwortlich<br />

gemacht für die Qualität des Kindes. Elisabeth<br />

Beck-Gernsheim (Technik, Macht und Moral,<br />

1991) hat darauf hingewiesen, dass die vorgeburtliche<br />

Diagnostik zunächst als Problemlösung<br />

für Einzelfälle entwickelt wurde, dann zu einer<br />

allen Schwangeren aufgedrängten Routinemaßnahme<br />

wurde und schließlich zur Pflicht gemacht<br />

werden kann durch finanzielle Sanktionen und<br />

drohende gesellschaftliche Ausgrenzung. Im Setting<br />

der Pränataldiagnostik verbinden sich die<br />

Bereitschaft der Frau, alles Erforderliche für ihr<br />

Kind zu tun, der Wunsch der ÄrztInnen, der<br />

Mutter ein perfektes Kind in die Arme legen zu<br />

können, und das der Technik innewohnende<br />

Idealbild des normgerechten Kindes - auf Kosten<br />

der schwangeren Frau.<br />

Legitimiert wird diese Technik durch zwei Argumente.<br />

Das therapeutische Akzeptanzargument<br />

lautet, die enge technische Überwachung der<br />

Entwicklung des Fötus diene der Gesundheit von<br />

Mutter und Kind. Dies gilt aber jedenfalls nicht<br />

für den Bereich der invasiven Diagnosen, die gezielt<br />

nach unveränderlichen, genetisch angelegten<br />

Eigenschaften des Kindes suchen. Die einzige<br />

vorgeburtliche Handlungsmöglichkeit nach einer<br />

diagnostizierten Fehlentwicklung ist der Abbruch<br />

der Schwangerschaft. Meist wird die schwangere<br />

Frau vor einer solchen invasiven diagnostischen<br />

Maßnahme aber zumindest informiert und könnte<br />

diese Maßnahme also auch verweigern. Ein nur<br />

schwer lösbares ethisches Problem entsteht aber<br />

zunehmend dadurch, dass auch Ultraschalluntersuchungen,<br />

die Teil der routinemäßigen Schwangerenvorsorge<br />

sind, im Sinne einer Selektion von<br />

nicht normgerechten Föten eingesetzt werden.<br />

Eine der drei in den Mutterschaftsrichtlinien vorgeschriebenen<br />

Ultraschalluntersuchungen dient<br />

ausdrücklich dem Aufspüren von Fehlbildungen.<br />

Das zweite Akzeptanzargument stellt einen Zusammenhang<br />

her zwischen den über das Kind<br />

erhobenen Informationen und der Entscheidungsfreiheit<br />

oder, wie es in diesem Zusammen-<br />

- 9 -<br />

hang heißt, der informationellen Selbstbestimmung.<br />

Der Frau dürfe Wissen über das werdende<br />

Kind, das erhoben werden kann, nicht vorenthalten<br />

werden. Dem ist entgegenzuhalten, dass<br />

Frauen durch vorgeburtliche Diagnostik kein entscheidungsrelevantes<br />

Wissen erhalten. Die Feststellung<br />

z.B., dass fötale Zellen in ihrem Fruchtwasser<br />

nicht zwei sondern drei Chromosomen 21<br />

aufweisen, sagt ihr wenig darüber, wie sich dies<br />

bei ihrem Kind auswirken wird und vor allem, wie<br />

sich ihr Leben mit diesem Kind gestalten wird.<br />

Außerdem lässt ihr das Setting der Schwangerenvorsorge<br />

keine wirkliche Entscheidungsfreiheit<br />

für oder gegen Pränataldiagnostik. Es ist fast<br />

unmöglich, ein Recht auf Nichtwissen der behandelnden<br />

Ärztin gegenüber geltend zu machen.<br />

Autonomie im Sinne von Handlungsfreiheit und<br />

Problemlösungskompetenz kann durch den Einsatz<br />

von Technik nicht gestärkt werden.<br />

Die Herstellung des normgerechten Kindes<br />

als Bedrohung einer humanen Gesellschaft<br />

Unter gesellschaftlichen und bevölkerungspolitischen<br />

Gesichtspunkten ist die feministische Kritik<br />

an den neuen Fortpflanzungstechniken auf den<br />

beiden bundesweiten Kongressen “Frauen gegen<br />

Gen- und Reproduktionstechnologien” von 1985<br />

und 1988 ausformuliert worden. Im Vordergrund<br />

stand und steht dabei ein ökofeministischer Ansatz,<br />

wie er z.B. von Maria Mies vertreten wird.<br />

Grundlegend ist die Einsicht, dass die modernen<br />

Gen- und Reproduktionstechniken endgültig<br />

deutlich gemacht haben, dass ein individualistischer,<br />

westlicher Selbstbestimmungsbegriff immer<br />

auf Fremdbestimmung, d.h. Unterdrückung,<br />

aufbaut, sei es die Unterwerfung der eigenen<br />

Körpernatur, seien es sexistische, rassistische,<br />

kolonialistische, klassistische Unterdrückung, sei<br />

es die Ausbeutung der außermenschlichen Natur.<br />

Für die Gen- und Reproduktionstechniken heißt<br />

das z.B. konkret, dass die bevölkerungspolitisch<br />

orientierte Propagierung von Verhütungsmitteln<br />

in den Entwicklungsländern zu Lasten der Gesundheit<br />

und des Selbstbestimmungsrechtes von<br />

Frauen geht, dass die in den entwickelten Ländern<br />

vorangetriebenen Fruchtbarkeitstechniken<br />

Mittel für die gesundheitliche Basisversorgung<br />

und sozialpolitische Maßnahmen binden und dass<br />

die vorgeburtliche Diagnostik mit ihrer Möglichkeit<br />

der frühen Geschlechtsbestimmung die gezielte<br />

Abtreibung weiblicher Föten erlaubt. Radikalfeministisch<br />

formuliert lässt sich sagen, dass<br />

die selektiven Möglichkeiten der In-vitro-<br />

Fertilisation und die grundsätzlich selektive Zielsetzung<br />

der Pränataldiagnostik dazu genutzt<br />

werden, die Vorherrschaft des gesunden, besit-<br />

9

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