Rundbrief 9 - bvkm.
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Familie M. hatte sich nach der Geburt ihres<br />
zweiten Kindes, das mit Spina bifida geboren<br />
wurde, dazu entschlossen, keine weiteren Kinder<br />
mehr zu bekommen, um nicht in einen Entscheidungskonflikt<br />
zu kommen.<br />
Frau M.: ... Es ist halt auch so, diese Entscheidung,<br />
wenn man eine Fruchtwasseruntersuchung<br />
machen läßt, und die wir auch dann hätten machen<br />
lassen müssen .... oder..... nicht...aber diese<br />
Entscheidung, mich für ein behindertes Kind<br />
zu entscheiden .... oder nicht....diese Entscheidung<br />
gibt es für mich nicht. Ich will das nicht<br />
entscheiden müssen ...<br />
Trotz der Befürwortung der pränatalen Diagnostik<br />
besonders für Eltern, die bereits ein behindertes<br />
Kind haben, äußerten einige Frauen aber auch<br />
Bedenken gegenüber den immer früheren und<br />
feineren Methoden der vorgeburtlichen Diagnostik<br />
und dem wissenschaftlichen Bereich, in dem<br />
die technische Entwicklung der Pränataldiagnostik<br />
stattfindet.<br />
Frau A: Und, was für mich einfach immer erschreckender<br />
ist, ist daß unter diesen Forschern<br />
und Medizinern also, je intensiver sie sich<br />
manchmal damit beschäftigen und forschen, daß<br />
die einfach die Sache zumindest in dem Bereich<br />
viel zu wissenschaftlich sehen, daß sie einfach<br />
den Mensch gar nicht mehr im Vordergrund sehen,<br />
sondern nur die Sache und was es für Möglichkeiten<br />
gibt.<br />
Andere Mütter befürchteten, daß sich eine vorgeburtliche<br />
Selektion immer weiter ausdehnen<br />
könnte und daß mögliche Grenzen immer weiter<br />
wegfallen würden. Gefahren wurden außerdem in<br />
einer sich ausdehnenden Behindertenfeindlichkeit<br />
und in möglichen Benachteiligungen für die betroffenen<br />
Familien gesehen, z.B. daß der finanzielle<br />
Aufwand für ein behindertes Kind individualisiert<br />
werden könnte. Zwei der interviewten<br />
Mütter hatten jedoch keine Bedenken, daß die<br />
Erforschung und Verbesserung der vorgeburtlichen<br />
Methoden eine vielleicht unkontrollierte<br />
Gefahr annehmen könnte. Sie waren der Meinung,<br />
daß durch vorgeburtliche Untersuchungen<br />
behinderte Menschen nicht generell ausselektiert<br />
würden, da angeborene Behinderungen lediglich<br />
einen Teil ausmachen würden und viele Behinderungen<br />
erst peri- oder postnatal entstünden.<br />
Es werde ihrer Meinung nach trotz vorgeburtlicher<br />
Untersuchungen immer noch Menschen mit<br />
einer Behinderung geben.<br />
Die Einstellungen der Mütter und Familien zu den<br />
sich immer weiter entwickelnden Möglichkeiten<br />
der pränatalen Diagnostik waren von zwiespälti-<br />
- 36 -<br />
gen Gefühlen geprägt. Einerseits wurden die vorgeburtlichen<br />
Untersuchungen als positive Hilfen<br />
zur Entscheidungsfindung betrachtet, besonders<br />
bei Familien, die bereits ein behindertes Kind<br />
haben. Andererseits wurden aber Gefahren in<br />
einer unkontrollierten Entwicklung der Pränataldiagnostik<br />
gesehen, die zu einer zunehmenden<br />
Behindertenfeindlichkeit und zu Intoleranz gegenüber<br />
betroffenen Familien führen könnte,<br />
wenn diese sich bewußt gegen eine vorgeburtliche<br />
Untersuchung und für die bewußte Annahme<br />
eines behinderten Kindes entscheiden.<br />
3. Fazit<br />
Die Untersuchung hat gezeigt, daß die Entscheidung<br />
für oder gegen eine Pränataldiagnostik die<br />
Familien in schwere persönliche Entscheidungskonflikte<br />
führen kann, wobei besonders die Mütter<br />
häufig einer großen psychischen Belastung<br />
ausgesetzt sind, da sie sich für oder gegen das<br />
werdende Leben in ihrem Körper entscheiden<br />
müssen. Die Möglichkeiten der Humangenetik<br />
und Pränataldiagnostik werden von den betroffenen<br />
Familien unterschiedlich bewertet. Es werden<br />
Ambivalenzen in der Bewertung deutlich: Zum<br />
einen wird die vorgeburtliche Diagnostik als Vorteil<br />
für das Eingehen einer weiteren Schwangerschaft<br />
angesehen. Weiter wird positiv betrachtet,<br />
daß bei Durchführung einer Pränataldiagnostik<br />
die weitere Schwangerschaft ruhiger und ohne<br />
Ängste vor einer erneut auftretenden Behinderung<br />
der gleichen Art erlebt werden kann. Dabei<br />
plädieren die Mütter auch für früher einsetzbare<br />
Möglichkeiten, um die körperlichen und psychischen<br />
Belastungen besonders hinsichtlich eines<br />
möglichen Abbruchs zu verringern. Als hilfreich<br />
wird ebenfalls gesehen, daß durch eine vorgeburtliche<br />
Untersuchung bei einer festgestellten<br />
Behinderung des Kindes die Vorbereitung auf die<br />
Geburt erleichtert und bereits ein Einstellen auf<br />
die Behinderung des Kindes ermöglicht werden<br />
kann. Zum anderen bestehen aber auch Befürchtungen,<br />
daß sich eine vorgeburtliche<br />
”Selektion” ausbreiten könne mit der Folge einer<br />
noch größeren Behindertenfeindlichkeit. Gefahren<br />
werden auch dahingehend gesehen, daß nicht<br />
mehr der Mensch, sondern lediglich das technisch<br />
Machbare für die Forschung im Vordergrund stehe<br />
und daß sich neue, ungewollte Konsequenzen<br />
aus den sich ständig weiterentwickelnden Methoden<br />
ergeben könnten. Trotz aller Bedenken plädieren<br />
die befragten betroffenen Familien fast<br />
uneingeschränkt dafür, daß die Entscheidung für<br />
oder gegen eine vorgeburtliche Untersuchung<br />
individuell den Familien überlassen werden und<br />
nicht in irgendeiner Form von außen mit Reglementierungen<br />
verbunden sein sollte.<br />
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