Rundbrief 9 - bvkm.
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Stellungnahme des Bundesverbandes<br />
für Körper- und Mehrfachbehinderte<br />
Zur aktuellen Diskussion um die Präim-<br />
plantationsdiagnostik (PID/ engl. PGD) im<br />
Richtlinienentwurf der Bundesärztekammer<br />
Die Bundesärztekammer hat einen Richtlinienentwurf<br />
zur Präimplantationsdiagnostik (PID)<br />
zur Diskussion gestellt, durch dessen Regelungen<br />
die PID zu einem in der Bundesrepublik zulässigen<br />
Verfahren werden soll.<br />
PID ist eine Technik, die es ermöglicht, Embryonen<br />
vor der Überführung in die Gebärmutter einer<br />
Frau auf genetische Abweichungen zu untersuchen<br />
und dann gegebenenfalls zu “verwerfen”.<br />
Sie ist eine Erweiterung von Möglichkeiten der<br />
vorgeburtlichen Selektion.<br />
Die Bundesärztekammer erklärt die PID als mit<br />
dem EschG vereinbar, obwohl sie sowohl ethisch<br />
als auch juristisch sehr umstritten ist. Der Entwurf<br />
stellt nicht mehr die grundlegende Frage<br />
nach der Zulässigkeit von PID, sondern geht in<br />
seinen sehr detaillierten Vorschlägen zum Alltag<br />
der “restriktiven” Anwendung über.<br />
Dieser, die Auseinandersetzung und Bedenken<br />
vieler gesellschaftlicher Gruppen, zu denen auch<br />
der Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte<br />
zählt, ignorierende Umgang spiegelt sich<br />
in dem zur “Kommission Präimplantationsdiagnostik”<br />
angehängten Satz “Psychosoziale Aspekte<br />
sollen berücksichtigt werden.”<br />
Psychosoziale Aspekte, die sozialen Implikationen<br />
und Folgen jeder Medizintechnik müssen nicht<br />
berücksichtigt, sondern in das Zentrum jeder<br />
Auseinandersetzung gestellt werden. An ihnen<br />
sind die Grenzen des Machbaren auszuloten und<br />
zu setzen.<br />
Der Richtlinienentwurf begründet den Einsatz von<br />
PID mit Einzelfällen und beruft sich dabei auf die<br />
“gesundheitliche Beeinträchtigung der Frau”. Hier<br />
werden in unzulässiger Weise Frauen und “betroffene<br />
Paare” für die Verfolgung eigener Interessen<br />
benutzt. Darüber hinaus können Einzelfälle<br />
nicht dazu dienen, einer Technik Türen zu öffnen,<br />
die auf Dauer nicht auf Einzelfällen beschränkt<br />
bleiben wird, sondern immer neue Begehrlichkeiten<br />
(auf der Seite der Forschung wie auch in<br />
der Nachfrage) hervorbringt. Die Erfahrungen mit<br />
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der Pränataldiagnostik haben dies gezeigt. Bereits<br />
heute, bevor die Anwendung des Verfahrens<br />
zulässig ist, wird die Einschränkung auf bestimmte<br />
Formen der Behinderung als nicht gerechtfertigt<br />
angesehen. (Vgl. Hans Schuh in DIE<br />
ZEIT)<br />
PID ermöglicht erstmals zwischen mehreren Embryonen<br />
auszuwählen und den “passenden” herauszusuchen.<br />
Damit ist eine neue Qualität von<br />
Selektion, von eugenischen Maßnahmen, möglich.<br />
In der Entwicklung der Pränataldiagnostik<br />
haben sich alle Befürchtungen der KritikerInnen<br />
erfüllt: Selektive Untersuchungen des Ungeborenen<br />
gehören heute zum Alltag der Schwangerenvorsorge<br />
und jede schwangere Frau und diejenigen,<br />
die sie begleiten, müssen sich damit auseinandersetzen.<br />
Der gesellschaftliche Druck, alles<br />
für ein “gesundes” Kind zu tun, ist sehr groß geworden.<br />
Es gilt zunehmend als selbstverständlich<br />
zu verhindern, dass Kinder mit einer Behinderung/Beeinträchtigung<br />
geboren werden. Mit PID<br />
würde sich dieser Druck und damit die Lebensbedingungen<br />
von Menschen mit Behinderungen/Beeinträchtigungen<br />
und ihre Angehörigen<br />
noch einmal verschärfen.<br />
Über diese gesellschaftlichen Folgen, insbesondere<br />
für Menschen mit Behinderungen, hinaus,<br />
hat PID schwerwiegende gesundheitliche Risiken<br />
und Nebenwirkungen für betroffene Frauen und<br />
zukünftige Kinder (Frühgeburten, niedriges Geburtsgewicht<br />
nach Mehrlingsschwangerschaften).<br />
Sie müssen sich dem Verfahren einer Reagenzglasbefruchtung<br />
mit all den dazu gehörenden<br />
Eingriffen in ihren Körper aussetzen, die im Übrigen<br />
nur geringe Erfolgsraten (unter 20%) hat.<br />
Auch nach der PID soll betroffenen Frauen nach<br />
Richtlinie eine Pränataldiagnostik nahegelegt<br />
werden. Sie müssen damit alle Nachtteile der<br />
Reagenzglasbefruchtung und die Nachteile der<br />
Pränataldiagnostik (Fehlgeburtsrisiko; Schwangerschaft<br />
auf Probe; möglicher Schwangerschaftsabbruch)<br />
in Kauf nehmen. Diese Risiken<br />
und Nebenwirkungen sind nicht zu rechtfertigen.<br />
Insgesamt sind die Folgen für Menschen mit Behinderungen,<br />
für betroffene Frauen und für zukünftige<br />
Kinder so vielschichtig und problematisch,<br />
dass eine Ermöglichung von PID für Einzelfälle<br />
nicht gerechtfertigt werden kann. Wir<br />
fordern deshalb eine Beibehaltung des rechtlichen<br />
Verbots von PID.<br />
Düsseldorf, 24.03.2000<br />
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