Rundbrief 9 - bvkm.
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mungsmöglichkeiten von Frauen ermöglichen,<br />
fördern, unterstützen und erweitern. In der Routine<br />
der Schwangerenvorsorge wie sie die Mutterschaftsrichtlinien<br />
vorschreiben, ist eine informierte<br />
Zustimmung insbesondere für den Ultraschall<br />
nicht vorgesehen. Die Entwicklung und<br />
Weiterentwicklung dieser Techniken geschieht an<br />
Leib und Seele von Frauen. Für viele Frauen ist<br />
Pränataldiagnostik verbunden mit leidvollen Erfahrungen:<br />
Entscheidungskonflikte, Verunsicherungen<br />
und Ängste, Entwertungserfahrungen,<br />
Fehlgeburten, konflikthafte Schwangerschaftsabbrüche<br />
und verpasste Chancen für die Entwicklung<br />
eigener Lebensgestaltung. Diese Erfahrungen<br />
werden wenig be-/geachtet, während ein<br />
angenommenes ”vermeidbares” Leiden als Legitimation<br />
für selektive Pränataldiagnostik dient.<br />
Selbstbestimmung und Fremdkontrolle<br />
Es wird gesagt, Pränataldiagnostik fördere die<br />
Selbstbestimmung von Frauen, aber bei genauerer<br />
Analyse zeigt sich, dass der Begriff in<br />
diesem Zusammenhang eine neue Deutung erfährt.<br />
Der Kampf um Selbstbestimmung hat seine<br />
Wurzeln im Bestehen auf grundlegenden Menschenrechten<br />
auch für Frauen. Er definierte sich<br />
über die Abwehr von Fremdbestimmung und<br />
Herrschaftsansprüchen. Im Zusammenhang mit<br />
Pränataldiagnostik erleben wir aber eine unzulässige<br />
Umdeutung: Selbstbestimmung wird zur<br />
individuellen Interessenverfolgung. Mit der Ausweitung<br />
der medizinischen Kontrolle über<br />
Schwangerschaft und Geburt - und damit über<br />
Frauen - geht eine Pathologisierung von Frauen<br />
einher. Frauen werden zu defizitären Wesen, die<br />
der medizinischen Hilfe bedürfen, um wirklich<br />
gute Kinder zu machen. Fremdbestimmung ist<br />
daher einerseits konstitutiver Bestandteil dieses<br />
Umgangs mit Schwangerschaft. Auf der anderen<br />
Seite ist die Frau zum ”öffentlichen Uterus”, der<br />
Fötus zum eigenständigen Subjekt geworden,<br />
dessen Status auch gegen die Frauen vertreten<br />
werden muss und damit die Selbstbestimmung<br />
von Frauen einschränkt. An der Diskussion um<br />
den §218 wird die Doppelmoral sehr deutlich. Die<br />
Frauengesundheitsbewegung bewertet Medizintechnologie,<br />
indem sie sie in den Kontext gesellschaftlicher<br />
Machtverhältnisse stellt. Auch Pränataldiagnostik<br />
findet in einem System statt,<br />
dass hierarchisch strukturiert ist und vielfältige<br />
Abhängigkeiten hervorbringt.<br />
Forderungen<br />
- 15 -<br />
1. Eine begleitende und stützende Schwangerenvorsorge<br />
muss die schwangere Frau mit<br />
ihren Bedürfnissen und nicht den Fötus mit<br />
seinen ”Qualitäten” in den Mittelpunkt stellen<br />
und sich an Gesundheit orientieren. Die Entwicklung<br />
alternativer Modelle einer solchen<br />
frauenorientierten Begleitung im Schwangerschaftsprozess<br />
durch Hebammen muss gefördert<br />
werden.<br />
2. Selektive Diagnoseverfahren müssen aus den<br />
Mutterschaftsrichtlinien und damit aus der<br />
Schwangerenvorsorge in der gynäkologischen<br />
Praxis herausgenommen werden. Die Verhinderung<br />
der Geburt eines Kindes mit einer Behinderung/Beeinträchtigung/Krankheit<br />
darf<br />
nicht Bestandteil des Behandlungsvertrages<br />
zwischen schwangerer Frau und GynäkolgoIn<br />
sein.<br />
3. Frauen müssen die Möglichkeit haben, sich<br />
selektiver Diagnostik zu entziehen und eine<br />
alternative Schwangerenvorsorge in Anspruch<br />
zu nehmen.<br />
4. Kommissionen, die Richtlinien zur Schwangerenvorsorge<br />
festlegen, müssen so zusammengesetzt<br />
sein, dass gesellschaftlich relevante<br />
Gruppe und vor allem Hebammen als<br />
ebenfalls Vorsorge Anbietende einbezogen<br />
sind und sich die Anerkenntnis von Schwangerschaft<br />
als sozialpolitisch relevanter Prozess<br />
abbildet.<br />
5. Eine von den Anwendern unabhängige Beratung<br />
vor und nach Inanspruchnahme von<br />
Pränataldiagnostik ist sicherzustellen.<br />
6. Die AnwenderInnen der Techniken sind in die<br />
Pflicht zu nehmen, über Angebote von psychosozialer<br />
Beratung und andere Unterstützungsangebote<br />
für Frauen und ihre PartnerInnen<br />
aufzuklären.<br />
7. Weiterhin muss Politik eine Kursänderung in<br />
der Forschungspolitik einleiten, Schwerpunkte<br />
neu setzen und Ressourcen anders verteilen.<br />
Die solidarische Gemeinschaft muss Frauen<br />
(Familien), die ein Kind haben, das besondere<br />
Unterstützung, Zeit, Zuwendung braucht, diese<br />
sicherstellen. Dies gilt auch für erwachsene<br />
Menschen, die Unterstützung jenseits unserer<br />
normalen Strukturen brauchen. Hier ist Sozial-<br />
und Gesundheitspolitik gefordert.<br />
Wir möchten Frauen auffordern, sich in die Auseinandersetzung<br />
um Pränataldiagnostik einzumischen<br />
und neu über ihr Verständnis von Schwangerschaft,<br />
Risiko, Verantwortung und Grenzen<br />
individueller Interessen zu streiten.<br />
Positionspapier zur Präimplantationsdiagnostik<br />
(PID)<br />
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