Rundbrief 9 - bvkm.
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Pränataldiagnostik im Alltag der Schwangerenvorsorge<br />
- Eine problematische Technik<br />
wird zur Routine<br />
Pränataldiagnostik ist heute selbstverständlicher<br />
Bestandteil der Schwangerenvorsorge in der gynäkologischen<br />
Praxis. Auf die Bedürfnisse von<br />
Frauen und ihrer PartnerInnen nach Begleitung<br />
im Schwangerschaftsprozess reagiert die Gynäkologie<br />
mit einem Konzept, in dem Untersuchungen<br />
und Tests des Ungeborenen und dessen<br />
mögliche Normabweichungen zentral sind. Diese<br />
suchen in der Regel nach in der Schwangerschaft<br />
nicht behandelbaren Beeinträchtigungen, Behinderungen<br />
oder Krankheiten, in deren Folge der<br />
Abbruch der vordem erwünschten Schwangerschaft<br />
oftmals als alleinige Handlungsmöglichkeit<br />
erscheint. In der Routine der Schwangerenvorsorge<br />
werden solche selektiven Verfahren alltäglich<br />
und selbstverständlich angewandt. Dazu gehören<br />
Blutuntersuchungen und Ultraschalldiagnostik,<br />
mit denen nach Hinweisen auf eine mögliche<br />
Behinderung/Beeinträchtigung gesucht wird und<br />
die jeder schwangeren Frau, sowie invasive Methoden<br />
wie die Fruchtwasseruntersuchung, die<br />
eher Frauen über 35 Jahren angeboten werden.<br />
Vor allem Ultraschalluntersuchungen gewinnen<br />
zunehmend an Bedeutung: mit der Nackenfaltenmessung,<br />
die eine ”Risikospezifizierung” u.a.<br />
in Bezug auf das Down-Syndrom zum Ziel hat,<br />
etabliert sich ein neues Screening in der Frühschwangerschaft.<br />
Als Teil sozialer Normen messen<br />
diese Untersuchungen und Tests das Ungeborene<br />
am vermeintlich Normalen, bewerten,<br />
grenzen aus und setzen die dahinter stehenden<br />
Denkweisen in normative Vorgaben um. Dies<br />
lässt befürchten, dass unser Menschenbild immer<br />
mehr eingeschränkt wird: nur noch der leistungsfähige<br />
Mensch ohne Beeinträchtigungen<br />
scheint akzeptabel. Die Sorge in Bezug auf die<br />
selektiven Absichten und Folgen von Pränataldiagnostik<br />
teilen wir mit vielen gesellschaftlichen<br />
Gruppierungen und Institutionen.<br />
Pränataldiagnostik hat eine Reihe von ”Risiken<br />
und Nebenwirkungen” für die Gesundheit von<br />
Frauen, für den Umgang mit Schwangerschaft<br />
und für die Bewertung von Krankheit und Behinderung.<br />
Diese werden im wenig öffentlichen Diskurs<br />
vernachlässigt oder verharmlost. Unabhängig<br />
von einer diese Sachverhalte problematisierenden<br />
ExpertInnendiskussion hat sich die Anwendung<br />
ausgeweitet und ist immer alltäglicher<br />
geworden. In der nun stärker werdenden Auseinandersetzung<br />
wird einerseits die sozialpolitische<br />
und frauenpolitische Wirklichkeit ebenso ausgeblendet<br />
wie die negativen, belastenden Erfahrun-<br />
- 14 -<br />
gen von Frauen, obwohl auf der anderen Seite<br />
die Ausweitung der Techniken mit eben solchen<br />
individuellen Notsituationen begründet wird. Die<br />
Widersprüche und Entscheidungskonflikte, die<br />
Pränataldiagnostik mit sich bringt, müssen von<br />
Frauen und ihren BegleiterInnen (PartnerInnen<br />
wie auch Professionelle im sozialen/medizinischen<br />
System) getragen werden,<br />
während diejenigen, die diese Techniken vorantreiben,<br />
den wirtschaftlichen Nutzen haben und<br />
ihre Forschungs- und Karriereinteressen verfolgen<br />
können.<br />
Positionen<br />
Es liegt in der Verantwortung der Gesellschaft,<br />
Grenzen des Machbaren zu setzen. Methoden,<br />
Möglichkeiten und Ausgestaltung selektiver Diagnostik<br />
sind auf der Angebotsseite unter Berücksichtigung<br />
ihrer gesellschaftlichen und ethischen<br />
Bedeutung zu verantworten. Dies erfordert ein<br />
Innehalten. Über die Kritik an den selektiven<br />
Anteilen von Pränataldiagnostik hinaus legen wir<br />
unser Augenmerk als FrauenForum auf deren<br />
Konsequenzen für Frauen, unabhängig davon,<br />
dass es viele Frauen gibt, die diese Techniken<br />
individuell für sich nutzen wollen und können.<br />
Frauen begegnet der Anspruch, individuell Entscheidungen<br />
über eine Nutzung oder Verweigerung<br />
der Techniken zu fällen. Sie können dies nur<br />
auf der Grundlage gesellschaftlicher Erwartungen<br />
und Realitäten tun. Die alltägliche Anwendung<br />
hat neue Verantwortlichkeiten geschaffen. Sie<br />
hat dazu beigetragen, Frauen in erster Linie und<br />
allein die Verantwortung für Kinder aufzubürden,<br />
alles für die Geburt eines - ”gesunden” - Kindes<br />
zu tun.<br />
Für Frauen ist Schwangerschaft ein Lebensabschnitt,<br />
der für sie körperlich, seelisch und im<br />
sozialen Miteinander von Bedeutung ist. Vorgeburtliche<br />
Untersuchungen des zu erwartenden<br />
Kindes dagegen setzen einen medizinischen Umgang<br />
mit schwangeren Frauen voraus und prägen<br />
das Bild und Verständnis von Schwangerschaft<br />
auf ihre Weise. Sie können Frauen abhängig machen<br />
von ExpertInnen, auf deren Erklärungen<br />
und Deutungen sie angewiesen sind. Wenn sie<br />
sich auf vorgeburtliche Diagnostik einlassen, sind<br />
Frauen gezwungen, Entscheidungen an ”Fachleute”<br />
abzugeben, ohne dass diese die daraus<br />
erwachsene Verantwortung im Konfliktfall tatsächlich<br />
übernehmen: wenn eine Frau in Folge<br />
einer Fruchtwasseruntersuchung eine Fehlgeburt<br />
hat oder mit einem auffälligen Befund konfrontiert<br />
ist. Im Alltag der Anwendung sehen wir keine<br />
Rahmenbedingungen, die die Selbstbestim-<br />
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