Rundbrief 9 - bvkm.
Rundbrief 9 - bvkm.
Rundbrief 9 - bvkm.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Dank des rasanten medizinischen Fortschritts in<br />
den letzten Jahren und auch weil medizinische<br />
Versorgung nicht mehr wie früher verweigert<br />
wird, können auch schwere Fehlbildungen der<br />
Organe heutzutage oft erfolgreich korrigiert und<br />
therapiert werden.<br />
Es ist also wichtig zu verstehen, dass das Down-<br />
Syndrom in erster Linie eine Art des Seins darstellt<br />
– ein ”Zustand”, der an sich nichts Krankhaftes<br />
hat. Es ist die sofort ins Auge springende<br />
Andersartigkeit, die in der Gesellschaft zu Ablehnung<br />
und Ausgrenzung führt, denn realistisch<br />
gesehen, kommt der ”Normalbürger” ja mit<br />
mehrfachbehinderten Pflegefällen – also den<br />
”schweren” Fällen – gar nicht in Berührung! So<br />
muss die Mutter, die ein Kind mit Down-Syndrom<br />
erwartet, nicht so sehr Leid erwarten (bei jedem<br />
Kind kann ”etwas” passieren), sondern Abweichung<br />
und Ausgrenzung. Die Abtreibung erscheint<br />
als letzter Ausweg, um die eigene Normalität<br />
zu bewahren. Langdon-Down selbst hat –<br />
im Stile seiner Zeit – die Kategorien geschaffen:<br />
Ein intellektuelles Handicap wird gleichgesetzt<br />
mit einer Andersartigkeit, die wiederum als primitive<br />
– ausländische – Rasse definiert wird.<br />
Aber selbst unter diesem Gesichtspunkt, wenn<br />
wir die Andersartigkeit der Menschen mit Down-<br />
Syndrom in den Vordergrund stellen, ist es eindeutig<br />
Selektion, wenn diesen ”Anderen” die Existenzberechtigung<br />
aufgrund ihres Andersseins<br />
abgesprochen wird. Und das steht eigentlich in<br />
krassem Widerspruch zu den Grundwerten unserer<br />
Gesellschaft.<br />
Beatrice Ley, Selbsthilfegruppe für Menschen mit<br />
Down-Syndrom und ihre Freunde e.V., Postfach<br />
1274, 90506 Zirndorf<br />
DagMar Steinbach-Sell<br />
Selbstbestimmte Rolle rückwärts<br />
Angeregt durch den Artikel "Noch Plätze frei im<br />
Netzwerk..." von Ebba Kirchner-Asbrock im letzten<br />
<strong>Rundbrief</strong>, habe ich Überlegungen zum Thema<br />
angestellt, warum gerade die von pränataler<br />
Diagnostik in ihren Auswirkungen berührte Gruppe<br />
"Menschen mit Behinderung" so wenig im<br />
Netzwerk vertreten sind.<br />
Durch Arbeiten an der Uni im Bereich Frauenforschung<br />
und damit auch Frauenpolitik, sowie politisch-aktiver<br />
Vergangenheit kam ich durch den<br />
zusätzlichen persönlichen Umstand, behindert zu<br />
sein, Kinder zu haben...... usw. auf Folgendes:<br />
- 41 -<br />
Im Netzwerk gibt es immer wieder eine Betonung<br />
der Selbstbestimmung von Frauen. Das ist gut<br />
und richtig. Einerseits. Andererseits gibt es genügend<br />
Erfahrungen, dass genau dieser Faktor<br />
die Frauen spaltet. Das Recht auf Selbstbestimmung<br />
hat - zumindest wenn es um Pränataldiagnostik<br />
geht - eine Spaltungsfunktion zwischen<br />
Frauen und Behinderten (Frauen). Selbstbestimmt<br />
selektieren? Hört da nicht die Freiheit auf,<br />
wo die Menschenverachtung beginnt? Und will<br />
man/frau wirklich in Zeiten des fortschreitenden<br />
Abbaus sozialpolitischer Maßnahmen, die als Reform<br />
getarnt, vor allem Frauen treffen, PD als<br />
Perspektive für mehr Freiheit erachten ? Längerfristig<br />
gesehen ist dieser Weg - im Sinne von<br />
Unterstützung für Frauen (und Kinder) - kontraproduktiv.<br />
Der soziale Status, der immer noch abhängig von<br />
Erwerbsarbeit ist, entzweit heute nicht nur die<br />
Gesellschaft an sich. Tendenziell spaltet dieses<br />
inzwischen Frauen untereinander (besser und<br />
schlechter gestellte Frauen). Im Rahmen der<br />
Globalisierung und der damit verbundenen Debatte<br />
um die Wettbewerbschancen entsteht eine<br />
"neue Dienstbotengesellschaft", die vor allem<br />
Frauen erneut in die Rolle der unterbezahlten<br />
(bad jobs), unbezahlten / helfenden Arbeitenden<br />
steuert. Das verstärkt die Meinung von Frauen,<br />
sie seien nur mit einem gesunden Kind wettbewerbsfähig.<br />
Das ist auch nicht so weit her geholt<br />
und damit "die Forderung nach einer besseren<br />
sozialen Absicherung für erziehende Personen<br />
nur allzu berechtigt." Nach wie vor "...bedeutet<br />
die Übernahme von Erziehungs- und Pflegearbeit<br />
ein meist nicht zu überwindendes Hindernis für<br />
den in der Sozialversicherung erforderlichen kontinuierlichen<br />
Erwerbsverlauf, mit dem materielle<br />
Unabhängigkeit und Risikoabsicherung erreicht<br />
werden.". 2 l Das sollte Thema sein!<br />
Frauen nehmen an, sie könnten durch die Vermeidung<br />
von behindertem Nachwuchs (über PD)<br />
eine bessere, offenere Lebensperspektive - vor<br />
allem beruflich - erringen. Dies ist frauenpolitisch<br />
gesehen geradezu eine Rolle rückwärts: der<br />
(schlechte) Status quo mit der (erneuten/verstärkten)<br />
Zuweisung von bad jobs<br />
und/oder Hausfrauen- und unbezahlter Familienarbeit<br />
wird aufrecht erhalten. Langfristig sogar<br />
eher verschlechtert.<br />
2 Stolz-Willig, Brigitte, Neubewertung der Familienarbeit<br />
–Erziehungsgehalt als Perspektive? In:<br />
Es rettet uns kein höhres Wesen ... Feministische<br />
Perspektiven der Arbeitsgesellschaft, 1999<br />
41