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Rundbrief 9 - bvkm.

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dient als Argument für die Einführung dieser<br />

Methoden.<br />

Was ist passiert? Ein Ehepaar mit einem siebenjährigen<br />

Mukoviszidose-Kind wünscht sich ein<br />

weiteres, aber gesundes Kind. Zweimal war die<br />

Ehefrau nach ihrem ersten Kind bereits wieder<br />

schwanger, in beiden Fällen ließ sie nach der<br />

Pränataldiagnose abtreiben, da beide Kinder Mukoviszidose<br />

gehabt hätten. Prof. Dr. med. Klaus<br />

Diedrich von der Klinik für Frauenheilkunde und<br />

Geburtshilfe der Medizinischen Universität Lübeck<br />

möchte dem Paar helfen. Er wird eine künstliche<br />

Befruchtung im Reagenzglas durchführen und am<br />

dritten Tag eine Zelle aus dem inzwischen 12zelligen<br />

Embryo entfernen.<br />

An dieser Zelle wird getestet, ob der Embryo an<br />

Mukoviszidose erkranken würde oder nicht. Gesunde<br />

Embryonen werden in die Gebärmutter der<br />

Frau eingesetzt, betroffene werden "verworfen",<br />

sie landen im Abfall.<br />

Diese neue Methode heißt Präimplantations-<br />

Diagnostik, kurz PID. Professor Diedrich beantragte<br />

die Durchführung der PID in diesem speziellen<br />

Fall bei der Ethikkomission der Lübecker<br />

Universität. Am 19.08.96 gab diese ihr Votum ab.<br />

Sie hat keine grundsätzlichen ethischen Bedenken<br />

gegen die PID in diesem Fall, weil ein<br />

weiterer Schwangerschaftsabbruch vermieden<br />

werden soll und für den Embryo keine Gefahr zu<br />

erwarten ist.<br />

Eine dritte Schwangerschaft mit dem Risiko eines<br />

weiteren Schwangerschaftsabbruchs stellt nach<br />

Meinung der Kommission eine höhere Belastung<br />

für das Paar dar als die PID. Gleichzeitig stellt die<br />

Kommission fest, dass die PID nach dem Embryonenschutzgesetz<br />

(EschG) § 1 Abs. 2<br />

eindeutig verboten ist, weil die Auswahl und<br />

damit auch die "Verwerfung" kranker Embryonen<br />

das Ziel der Methode ist. Sie empfiehlt daher eine<br />

gesetzliche Regelung, die die PID für solche Fälle<br />

zwar erlaubt, mit allen Mitteln aber der Gefahr<br />

der Selektion und eugenischen Auslese vorbeugt.<br />

Sie zweifelt an, ob das EschG auf diesen Fall bezogen<br />

ethisch vertretbar ist, da doch ein<br />

Schwangerschaftsabbruch bei gleicher Diagnose<br />

zulässig wäre.<br />

Aus der Antwort des Familienministeriums auf die<br />

kleine Anfrage "Tötung ungeborener Kinder" im<br />

Deutschen Bundestag geht hervor, dass in<br />

Deutschland jährlich 100.000 Embryonen abgetrieben<br />

werden, davon nur etwa 5 Prozent nach<br />

der medizinischen Indikation. Unter diese Indikation<br />

fallen auch Embryonen mit einer Erbkrankheit,<br />

falls das Austragen für die Mutter eine so<br />

- 43 -<br />

große Belastung darstellt, dass ihr die Fortsetzung<br />

der Schwangerschaft nicht zugemutet werden<br />

kann.<br />

Da die Abtreibung eines Embryos mit Mukoviszidose<br />

straffrei ist und gesellschaftlich allgemein<br />

akzeptiert wird, kann einem Elternpaar die PID<br />

kaum vorenthalten werden, da das "Verwerfen"<br />

von Embryonen eher als ethisch vertretbar gehalten<br />

wird als eine Abtreibung (auch bei natürlichem<br />

Ablauf nisten sich nicht alle befruchteten<br />

Eizellen in der Gebärmutter ein). Im Ausland ist<br />

die PID ohnehin verfügbar, das heißt, für Reiche<br />

wäre die PID auch bei einem Verbot in Deutschland<br />

noch verfügbar.<br />

Wenn man die PID nicht verbietet, wie soll dann<br />

die eugenische Auslese und Selektion verhindert<br />

werden? Darauf gibt es bislang keine Antwort.<br />

Wenn Abtreibung akzeptiert wird, ist in Verbindung<br />

mit genetischer Diagnose die Gefahr der<br />

Auslese nicht zu bannen. Wer soll festlegen, was<br />

noch erlaubt und was bereits verboten ist?<br />

"Ich will ein gesundes Kind!" Dieser Anspruch<br />

darf nicht Richtschnur für das Handeln werden,<br />

sonst sollte man lieber kein Kind erziehen wollen.<br />

Es könnte den Eltern viel größere Probleme bereiten<br />

als eine Erbkrankheit. 96 Prozent der<br />

Schwerbehinderten werden erst im Laufe ihres<br />

Lebens schwerbehindert, etwa durch einen Unfall.<br />

Durch unsere Erfahrung mit der Mukoviszidose<br />

spüren wir erwachsene Patienten, dass auch<br />

das Leben mit einer Erbkrankheit schön sein<br />

kann und Chancen birgt, die Gesunde nicht haben.<br />

Die moderne Psychologie hat längst nachgewiesen,<br />

dass Glück nicht durch Abwesenheit<br />

von Problemen entsteht, sondern durch Überwindung<br />

von Schwierigkeiten. Wir erinnern auch<br />

daran, dass nach Meinung der behandelnden<br />

Ärzte aus der Diagnose Mukoviszidose keine allgemeine<br />

Empfehlung zur Abtreibung abgeleitet<br />

werden kann.<br />

Stellungnahme des Mukoviszidose e.V. in Medizinische<br />

Genetik 4/91.<br />

Ist nach Einführung der PID einmal eine Erwartungshaltung<br />

der Gesellschaft für gesunde Kinder<br />

entstanden, würde es Eltern unmöglich, sich für<br />

das behinderte Kind zu entscheiden. Wie soll man<br />

verhindern, dass eine Automatik der Selektion<br />

entsteht?<br />

"Sieh hin und du weißt." So hat uns der Philosoph<br />

Hans Jonas geraten, wenn es gilt, Menschen gegenüber<br />

verantwortlich zu handeln. Wenn wir uns<br />

nur auf die Gensequenzen beschränken, verlieren<br />

wir das ganze Kind aus den Augen. "Wir sind<br />

selbst am meisten behindert, wenn wir allein<br />

aufgrund genetischer Informationen eine Ent-<br />

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