03/2013 "Älter werden mit Humor" - Bagso
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BAGSO-Nachrichten n <strong>03</strong>/<strong>2013</strong><br />
Seniorenarbeit und Seniorenpolitik<br />
JVA 62plus – Der demografische Wandel<br />
zeigt sich auch im Strafvollzug<br />
In Singen liegt Deutschlands einziges Gefängnis für Straftäter im Seniorenalter. Es wurde 1970 im Rahmen<br />
der differenzierten Gestaltung des Strafvollzugs in Baden-Württemberg eingerichtet, weil ältere Gefangene<br />
in größeren Vollzugseinrichtungen eher an den Rand gedrängt <strong>werden</strong> und ihre altersbedingten Bedürfnisse<br />
dort weniger berücksichtigt <strong>werden</strong> können. Dienstleiter Thomas Maus stellt das Konzept vor.<br />
Seit 1976 gehört die Anstalt als<br />
Außenstelle zur Justizvollzugsanstalt<br />
Konstanz. Sie ist eine Einrichtung<br />
des geschlossenen Vollzugs,<br />
in der männliche Gefangene,<br />
die zum Zeitpunkt der Verurteilung<br />
das 62. Lebensjahr vollendet<br />
und Freiheitsstrafen von mehr als<br />
15 Monaten zu verbüßen haben,<br />
einsitzen. Aktuell sind wir <strong>mit</strong><br />
50 Gefangenen belegt. Der älteste<br />
Gefangene ist momentan 85 Jahre<br />
alt. Das Durchschnittsalter liegt<br />
zurzeit bei 70, der durchschnittliche<br />
Strafausspruch bei viereinhalb<br />
Jahren.<br />
Etwa ein Drittel der Gefangenen<br />
wurde wegen Sexualstraftaten,<br />
hier in erster Linie wegen sexuellen<br />
Missbrauchs von Kindern<br />
im familiären bzw. gesellschaftlichen<br />
Nahbereich, verurteilt. Ein<br />
weiteres Drittel wegen schwerer<br />
Gewaltstraftaten bzw. Tötungsdelikte,<br />
häufig in der Beziehungs-<br />
ebene, und das letzte Drittel wegen<br />
Betrugsstraftaten, vorwiegend im<br />
Anlagebereich. Es handelt sich<br />
dabei sowohl um Menschen, die<br />
in vorgerücktem Lebensalter zum<br />
ersten Mal eine Haftstrafe verbüßen,<br />
als auch um jene, bei denen<br />
die JVA Singen das Ende einer langen<br />
„kriminellen Karriere“ ist. Gewalt-<br />
und Drogenprobleme oder<br />
Subkulturen spielen hier keine<br />
Rolle. Dies resultiert im Wesentlichen<br />
aus der Altersstruktur unserer<br />
Gefangenen.<br />
Obwohl die Einrichtung eine Anstalt<br />
des geschlossenen Langstrafenvollzugs<br />
ist, können sich die<br />
Gefangenen während des Tages<br />
frei im Hause bewegen. Sie können<br />
jederzeit Kontakt zueinander und<br />
zu Bediensteten aufnehmen. Der<br />
einzelne Gefangene kann so weitgehend,<br />
im Rahmen der Vorgaben,<br />
<strong>mit</strong>entscheiden, wie er seinen Tag<br />
strukturiert. An die Mitarbeitenden<br />
stellt diese Situation die<br />
besondere Anforderung, sich in<br />
erhöhtem Maße <strong>mit</strong> den Gefangenen<br />
zu beschäftigen und vielfältige<br />
Betreuungs- sowie auch Behandlungsfunktionen<br />
wahrzunehmen,<br />
um negativen Folgen des Freiheitsentzugs<br />
speziell bei älteren und in<br />
der Regel auch haftempfindlicheren<br />
Gefangenen vorzubeugen.<br />
Denn ältere Gefangene erleben die<br />
Haft belastender als Jüngere: Für<br />
sie besteht danach oft nicht mehr<br />
die Möglichkeit des Neuanfangs,<br />
nicht selten haben sie auch einfach<br />
Angst, das Haftende nicht mehr<br />
zu erleben. Sie haben ein stärkeres<br />
Ruhebedürfnis und oft auch körperliche<br />
Besch<strong>werden</strong>, für die die<br />
Jüngeren kein Verständnis haben.<br />
Es geht dabei aber nicht darum,<br />
den Vollzug so angenehm und locker<br />
wie möglich zu gestalten oder<br />
gar eine Vollzugseinrichtung für<br />
Privilegierte zu schaffen, sondern<br />
die Gefangenen künftig für ein<br />
Leben in sozialer Verantwortung<br />
zu befähigen. Wir wollen <strong>mit</strong> ihnen<br />
zusammen erreichen, dass an<br />
förderungswürdige soziale Beziehungen<br />
wieder angeknüpft wird<br />
bzw. diese erhalten <strong>werden</strong>. Dabei<br />
sollen die Gefangenen den Bezug<br />
zur Realität des Alltags in Freiheit<br />
nicht verlieren.<br />
Die älteren Gefangenen sollen<br />
nicht über-, aber auch nicht unterfordert<br />
<strong>werden</strong>. Beim Vollzug<br />
von längeren Freiheitsstrafen ist<br />
es wichtig, ältere Menschen geistig<br />
und körperlich mobil und rege zu<br />
erhalten. Dies geht nicht ohne ihre<br />
Beteiligung und ohne Stärkung ihrer<br />
Eigenverantwortlichkeit. n<br />
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