PDF herunterladen - Christoph Rauscher
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Identität und Selbst<br />
Der Begriff „Identität“ eröffnet ein so komplexes und breites Themenfeld, dass seine<br />
Definition und Bedeutung für den hier vorliegenden Themenbereich des Interaktionsdesigns<br />
definiert und zugeschnitten werden muss.<br />
Grundlegend ermöglicht Identität in unserem heutigen Verständnis „soziales Handeln<br />
und interpersonale Interaktion“ (Misoch 2004, 18). Identität (vom lat. idem = das-, derselbe)<br />
beschreibt die Übereinstimmung von Eigenschaften zu dem Objekt oder Subjekt, das eben diese<br />
Eigenschaften verkörpert. In der Sozialwissenschaft setzt sich die allgemeine<br />
Identitätsvorstellung aus folgenden Bestandteilen zusammen: Einzigartigkeit, Kohärenz,<br />
Konstanz und Kontinuität (vgl. ebd., 20). All diese Bestandteile, insbesondere aber Letzterer,<br />
beziehen sich auf ein über einen andauernden Zeitraum hinweg konstant bleibendes Selbstbild<br />
als Grundvoraussetzung zu einer Identität. Die Frage »Wer bin ich?« kann nur durch ein Sich-<br />
Treubleiben beantwortet werden, da sonst keine eindeutigen Parameter zum eigenen<br />
Selbstbildnis festgelegt sind und die Identität stets undeutlich bleibt.<br />
In der analogen Realität kommt zum Begriff der Identität der Begriff des Selbst hinzu.<br />
Dieses Selbst ermöglicht diverse konzeptionelle Auslegungen der eigenen Identität: „Ein<br />
Mensch stellt verschiedene soziale und situative Identitäten dar, und er ist doch stets mit sich<br />
identisch. Er präsentiert verschiedene Arten des Selbst und verfügt zugleich über ein relativ<br />
stabiles Selbstkonzept“ (Mummenday 1995, 57). Diese Präsentation verdeutlicht den<br />
wichtigsten Entstehungsprozess eines Identitätsbilds: Selbstdarstellung ist eine<br />
Grundvoraussetzung zur Identitätsbildung – die Präsentation des Ichs ist die Bedingung des<br />
eigentlichen Ichs.<br />
Während wir in der analogen Realität also den Rahmen der Identität mit diversen<br />
Selbstbildern im Inneren zeichnen, verhält sich unser Bezug auf Identität und Selbst im<br />
digitalen Raum anders. Hinzu kommt die gesellschaftliche Transformation von Moderne zu<br />
Postmoderne, welche den Identitätsbegriff und die erforderliche Selbstpräsentation zusätzlich<br />
beeinträchtigt.<br />
Während der Begriff der Postmoderne erstmals im Jahre 1917 4 auftauchte (vgl. Misoch<br />
2004, 68), spielt er auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine tragende Rolle in Philosophie,<br />
Sozialwissenschaft, Architektur und Kunst. Er vereint „gesamtgesellschaftliche Erscheinungen<br />
der Heterogenisierung, der Pluralisierung, der Werteverschiebung sowie der Flexibilisierung<br />
und Individualisierung der modernen Kultur“ (vgl. ebd., 68). Das Internet, besonders in seiner<br />
heutigen sozialen Form, ist hierbei von großer Bedeutung – Selbstbilder, Selbstdarstellung und<br />
Selbstreflexion werden im Hinblick der stärkeren Individualisierung zunehmend relevant. Die<br />
Verschmelzung des analogen und des digitalen Raums erschafft eine neue Perspektive, um sich<br />
mit der postmodernen Identität im Kontext dieser neuen Räume zu befassen.<br />
Durch die gesellschaftlichen Umstrukturierungen der Postmoderne entwickelten sich<br />
Theorien, die dem Subjekt einen neuen Rahmen verleihen wollten. Einige Philosophen und<br />
Theoretiker gaben den Denkanstoß, sich aufgrund der enormen Disparität der Alltagswelt<br />
komplett von einem festgelegten Subjekt zu verabschieden. Während es sich vorher um eine<br />
einzige Identität mit diversen Selbstbildern handelte, wurde nun versucht, die Verbindung<br />
zwischen Subjekt und Identität aufzulösen. Es entstand die Idee eines „fragmentierten<br />
4 Rudolf Pannwitz erwähnt in seinem Buch Die Krise der europäischen Kultur erstmals den „postmodernen Menschen“.<br />
Der Begriff Postmoderne bezog sich anfänglich auf offensivere Kunstformen im zweiten Teil des 20. Jahrhunderts.<br />
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