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Lernen half uns überleben

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Der künftige Leser wird vielleicht mit einigem Kopfschütteln in<br />

diesen Blättern allzu oft Meldungen über verschiedene Aufführungen,<br />

gesellschaftliche Veranstaltungen finden, und er wird sich wohl<br />

sagen müssen, dass die Lage der Gettobevölkerung wohl nicht so<br />

tragisch gewesen sein kann, wenn das gesellschaftliche Leben so<br />

reichhaltig und lebhaft war. Es gibt natürlich viele Menschen im<br />

Getto, die schon jetzt ablehnen, diesen Zauber mitzumachen; sie<br />

stehen auf dem Standpunkt, dass die Lage im Getto keine solche<br />

Verflachung des gesellschaftlichen Lebens erlaube. Einmal wieder in<br />

einem Theatersaal zu sitzen abseits von der trockenen Atmosphäre,<br />

einmal wieder in der Pause im Foyer des Kulturhauses zu plauschen,<br />

zu flirten, ein neues Kleid zu zeigen, gut frisiert zu sein, ist nun einmal<br />

ein nicht zu unterdrückendes Bedürfnis von Menschen. So will auch<br />

der Chronist diese Vorgänge mit Nachsicht verzeichnen und dem<br />

künftigen Leser sagen, dass das Leid im Getto deswegen nicht geringer<br />

war, weil es auch einige frohe Stunden gegeben hat.<br />

Zum einen gab es offizielle Konzerte und Geburtstagsfeiern,<br />

an denen Rumkowski und andere jüdische Repräsentanten<br />

der Macht im Getto teilnahmen. Zum anderen gab es auch<br />

einige kleine private Treffen im Freundeskreis, von denen nur<br />

wenige wussten. In Privatwohnungen wurden geheime Autorentreffen<br />

organisiert, es wurden gemeinsam Gedichte gelesen,<br />

über Literatur diskutiert und Kammerkonzerte gegeben.<br />

Für die auf einem so kleinen Raum wie dem Getto eingepferchten,<br />

von Hunger und Terror gequälten Menschen, die<br />

sich nicht sicher waren, ob es für sie ein Morgen geben würde,<br />

waren diese Aktivitäten etwas Besonderes. Sie boten ihnen die<br />

Möglichkeit, sich von der sie umgebenden Wirklichkeit abzulenken,<br />

sie waren ein Moment der Freude beziehungsweise<br />

der Aufrechterhaltung des Lebens- und Überlebenswillens für<br />

die Bewohner des Gettos.<br />

Laut der „Lodzer Gettochronik”<br />

verfolgten allein im ersten Jahr etwa<br />

70.000 Zuschauer die Veranstaltungen.<br />

1941 organisierte man auch<br />

speziell für Kinder Veranstaltungen.<br />

Eine wurde von der Schulabteilung<br />

an Purim, einem der Feiertage, veranstaltet,<br />

eine andere mit dem Titel:<br />

„Sommerfest” von der Verwaltung<br />

von Marysin. Nach der Ankunft der<br />

Transporte aus Westeuropa im Getto<br />

wurden die Konzerte in der Krawiecka<br />

zu einem wirklichen Festtag für<br />

K<strong>uns</strong>tliebhaber, denn es traten dort<br />

weltbekannte Musikvirtuosen auf.<br />

Die Konzert- und Theaterabende<br />

boten zudem dem Judenältesten<br />

Rumkowski die Möglichkeit, eine<br />

Rede zu halten.<br />

Ab Herbst 1942 bemühte man sich<br />

weiter, den Status des Arbeitsgettos<br />

aufrecht zu erhalten: alle Kinder und<br />

alten Leute waren ja deportiert und<br />

das Getto sollte wegen seiner Arbeitsleistungen<br />

noch möglichst lange<br />

existieren. Das Kulturhaus war nun<br />

seltener der Ort großer künstlerischer<br />

Ereignisse. Das Kulturleben, soweit es<br />

noch vorhanden war, verlagerte sich in<br />

die Arbeitsressorts. Im Sommer 1943<br />

wurde das Gebäude des Kulturhauses<br />

in das Ressort für Federbetten und<br />

Decken umgestaltet.<br />

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