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Lernen half uns überleben

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Beziehungen mit den Gettobeamten nicht zu gefährden,<br />

vermied man politische Inhalte. Es wurden Stücke aus der<br />

jiddischen Literatur, Poesie und Folklore aufgeführt. In den<br />

meisten Aufführungen wurden Lieder gesungen, die die neue<br />

Situation im Getto schilderten. Sie erzählten von Hunger und<br />

Leid und vom Leben vor dem Krieg. Aber es wurden auch<br />

Liebeslieder und Wiegenlieder gesungen.<br />

Die Theaterstücke wurden auch in den Ressorts gezeigt. Sie<br />

wurden von den ressortseigenen Künstlergruppen vorbereitet.<br />

Die meisten Auftritte waren verschiedenen Jubiläen in den<br />

Ressorts gewidmet. Dazu gehörten auch die Präsentationen<br />

der vor Ort hergestellten Ware, Gesang und Tanz.<br />

Jakub Poznański kritisierte scharf diese Neigung, so oft Jubiläen<br />

zu feiern:<br />

Jede Woche feiern eine Abteilung oder ein Ressort zweijähriges<br />

oder wie die Feuerwehr und die Polizei ein dreijähriges Jubiläum<br />

ihres Bestehens. Es passiert aber auch, dass die Institutionen<br />

bereits nach einem Jahr eine Jubiläumsfeier veranstalten. Am<br />

27. Februar wird es zwei Jahre her sein, dass das Papierressort<br />

errichtet wurde, Die Leitung beschloss „dieses historische Datum<br />

zu würdigen, indem man eine Ausstellung der Produkte, ein Ressortsfest<br />

und eine Revue veranstaltet. Selbstverständlich wurde<br />

nichts rechzeitig fertig. Weder die Ausstellung noch die Revue.<br />

Wenn man eine Ausstellung unter Umständen als zweckmäßig<br />

betrachten könnte, so ist eine Revue in <strong>uns</strong>eren Verhältnissen<br />

geschmacklos. (..)Die Leitung begründet die Veranstaltung sei<br />

eine Höflichkeitsgeste gegenüber dem Präses(..). Ich stimmte<br />

damit nicht überein. Diese Gewohnheit in <strong>uns</strong>eren Bedingungen<br />

ist schlimm und verletzt die Menschenwürde. Es gibt leider fast<br />

keine Ethik im Getto.<br />

Am 21 Juni 1943 verbiet Rumowski, weitere Revuen in den<br />

Ressorts aufzuführen. Laut Anna Kuligowska-Korzeniowska war<br />

der unmitteilbare Grund dafür das von den Polizeibeamten<br />

gesungene Lied „ Zorg niszt bruder, morgen zejn besser“ (Keine<br />

Sorge Bruder,<br />

morgen wird<br />

es besser<br />

sein). Infolge<br />

der Entscheidung<br />

Rumkowskis<br />

wurde<br />

auch das<br />

Kulturhaus<br />

endgültig<br />

geschlossen.<br />

Großer Popularität<br />

erfreu-<br />

Theateraufführung im Getto<br />

wurden rasch von den Besatzern<br />

bezogen. Zu Beginn der Entstehung<br />

des Gettos ging es ihnen verhältnismäßig<br />

gut. Der Ehemann der<br />

Dichterin, Wolf (Wowcze) Ulinower,<br />

der in der zweiten Runde in den<br />

Judenrat gewählt wurde, eröffnete ein<br />

Restaurant. Dank seiner privilegierten<br />

Position konnte er sich dies in der<br />

Anfangszeit der Gettos erlauben.<br />

Nach der Schließung des Restaurants<br />

folgte eine Krise, während der die<br />

Dichterin Hunger litt und ernsthaft<br />

erkrankte. Danach begann Ulinower<br />

eine Lohnarbeit im eigenen Haus.<br />

Ulinower verarbeitete Stoffreste, die<br />

in großer Menge im Getto eintrafen<br />

(wahrscheinlich nicht brauchbare<br />

Kleiderreste von in Chełmno<br />

ermordeten Menschen). Aus jenen<br />

Stoffstücken wurden Teppiche geflochten.<br />

Rachmiel Bryks, der damals<br />

in der Färberei arbeitete, sagte, dass<br />

er selbst Rohmaterial ins Haus der<br />

Dichterin lieferte. Die Dichtertreffen<br />

fanden regelmäßig und in geheimer<br />

Atmosphäre statt. Man nimmt an,<br />

dass das Thema des Krieges bei Ulinower<br />

nur in dem vor der Schließung<br />

des Gettos geschriebenen Gedicht<br />

„Jasia“ vorkommt, ein Gedicht über<br />

ein polnisches Mädchen, das die eingerollte<br />

Thora rettete und sie auf das<br />

Gebiet des späteren geschlossenen<br />

Judenviertels brachte.<br />

Aus der Anfangszeit des Krieges<br />

stammt auch das Gedicht „Alf, bejs“.<br />

Es gibt unterschiedliche Meinungen<br />

darüber, ob Miriam Ulinower nach<br />

dem Frühjahr 1940 überhaupt noch<br />

schrieb. Einige behaupten es, da sie<br />

sich erinnern, dass die Dichterin bei<br />

den Treffen in ihrer Wohnung Gedichte<br />

vortrug. Ohne Zweifel hatten<br />

der Charakter der durch sie ins Leben<br />

gerufenen Treffen, ihre geäußerte<br />

Meinung und die Tatsache, dass sie<br />

junge Leute stark zum Schreiben motivierte,<br />

keine ebenso große Bedeutung<br />

wie ihre Werke selbst. „Wenn es<br />

für die im Getto verbliebenen Schriftsteller<br />

dort noch etwas Würdevolles<br />

gegeben hat, so war es die heimische<br />

Atmosphäre bei Miriam Ulinower“ –<br />

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