Lernen half uns überleben
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Rundfunkempfänger<br />
Das Getto Litzmannstadt war isoliert, es gab keinen Kontakt<br />
zur Außenwelt. Man durfte keine Rundfunkgeräte<br />
besitzen, es gab keinen Zugang zur Presse, auch der<br />
Briefwechsel wurde beschränkt.<br />
Nicht nur die Künstler gaben den Gettobewohnern Hoffnung.<br />
Genauso wichtig wie der Kontakt zur K<strong>uns</strong>t waren auch die<br />
Nachrichten über das, was außerhalb des Gettos geschah. Es<br />
gelang, ein Radio im Getto zu installieren. Hören konnten es<br />
nur wenige Personen, sie vermittelten aber die Informationen<br />
weiter. Einer der Organisatoren dieser Aktion war Chaim<br />
Widawski<br />
Chaim Natan Widawski (1904-1944)<br />
Er stammte aus Zduńska Wola, lebte aber seit seiner Kindheit<br />
in Łódź. Von Beruf war er Kaufmann. In Łódź arbeite er, bekam<br />
eine Ausbildung, war aktiv in der zionistischen Bewegung „Hatechija“.<br />
Im Getto wohnte er in der Młynarska 38. Widawski war<br />
weiterhin ein Mitglied der zionistischen Partei und einer der<br />
Organisatoren „des Hörens“,<br />
überwiegend des Londoner<br />
Senders. Seine Aufgabe war es,<br />
gute, optimistische, hoffnungsvolle<br />
Nachrichten zu verbreiten.<br />
Über eine lange Zeit ist es<br />
ihm gelungen, den Radiozugang<br />
zu verheimlichen.<br />
Dass etwas im Getto nicht<br />
stimmte, fiel den Deutschen<br />
erst im Juli 1944 auf, als die<br />
Juden ihre Freude darüber,<br />
dass die Alliierten in der Normandie<br />
gelandet waren, offen zeigten. Die Radiohörer wurden<br />
angezeigt und verhaftet. Widawski gelang es, der Haft zu<br />
entkommen. Aber da er befürchtete, doch festgenommen zu<br />
werden und diejenigen, die mitgemacht haben, zu verraten,<br />
beging er am 9. Juni Selbstmord. Er wurde auf dem Friedhof<br />
an der Bracka bestattet. Vor dem Tod äußerte er den W<strong>uns</strong>ch,<br />
in Israel beerdigt zu werden. Dieser W<strong>uns</strong>ch ging am 17. Mai<br />
1972 in Erfüllung.<br />
Angeblich regte die Person Widawskis den aus Łódź stammenden<br />
Schriftsteller Jurek Becker (er war auch mit seinen Eltern<br />
im Getto) zu dem Buch „Jakob der Lügner“ an. Der Roman<br />
wurde zweimal verfilmt: 1974 von Frank Beyer in der DDR<br />
(ausgezeichnet mit dem silbernen Bären) und 1999 von Peter<br />
Kassovitz (Robin Williams spielte den Jakob).<br />
gesellschaftlichen Leben teil. Er widmete<br />
sich dem Familienleben, dem<br />
Schreiben und versuchte Geld zu<br />
verdienen. Kurz vor dem Ausbruch<br />
des Krieges war sein Buch „Der<br />
weg kajn Błękitne“ druckfertig und<br />
sollte durch die jüdische Sektion des<br />
PEN-Clubs herausgegeben werden.<br />
Das wurde aber nie realisiert. Im<br />
Getto erhielt er eine Pförtnerstelle in<br />
der Versorgungsabteilung, wo faules<br />
Gemüse verteilt wurde. Ein persönliches<br />
Zeugnis über seine Lebensbedingungen<br />
und die Bemühungen sie<br />
zu bewältigen, stellen seine Briefe<br />
an Szmul Rozenstejn dar. Sie wurden<br />
nach dem Kriege zusammen mit<br />
seinen Gedichten veröffentlicht. Die<br />
geringen finanziellen Mittel reichten<br />
nicht aus, um seine Eltern vor dem<br />
Tod zu schützen und um später die<br />
fünfjährige Tochter zu versorgen. Als<br />
es sich abzeichnete, dass die ersten<br />
Deportationen zuerst die Menschen<br />
in seiner Situation betreffen würden,<br />
begann er an seinem Gedicht „Lech.<br />
Lecho“ (Geh weg) zu arbeiten. Seine<br />
prophetische Aussage gibt die Stimmung<br />
jener Zeit wieder.<br />
Wie durch ein Wunder blieb das<br />
Gedicht erhalten: Es wurde gleich<br />
nach dem Krieg im Müll gefunden<br />
und 1946 veröffentlicht. Kurz vor der<br />
„Großen Sperre“ im September 1942<br />
kam das zweite Kind von Szajewicz<br />
zur Welt, ein Junge. Er wurde in<br />
einer Schublade und seine Schwester<br />
Blimde in einem Schrank versteckt,<br />
Szajewicz Ehefrau lag kurz nach der<br />
Entbindung im Bett. Am ersten Tag<br />
kamen weder die Polizei noch die<br />
Deutschen. Am nächsten Tag hörte<br />
der Dichter, dass die Lebensmittel<br />
verteilt würden und verließ das Haus.<br />
Währenddessen wurden seine Kinder<br />
und ihre Mutter mitgenommen. Als<br />
seine Verzweiflung nachließ, nahm er<br />
wieder seine literarische Tätigkeit auf.<br />
Im Sommer 1944 versteckte er sich<br />
mit der Familie Chaja Rosenfarb, um<br />
der Deportation zu entgehen. Aber<br />
am 28. August wurden sie festgenommen<br />
und nach Auschwitz deportiert.<br />
Später geriet er ins Lager Kaufering,<br />
wo er an Typhus starb.<br />
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