JAHRESBERICHT - Gerda Henkel Stiftung
JAHRESBERICHT - Gerda Henkel Stiftung
JAHRESBERICHT - Gerda Henkel Stiftung
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Naturprodukt Papier?<br />
Eine Umweltgeschichte der Papierindustrie<br />
in Deutschland im<br />
19. und frühen 20. Jahrhundert<br />
Stipendiat<br />
Förderung<br />
Mathias Mutz, Göttingen<br />
promotionsstipendium | Die <strong>Gerda</strong> <strong>Henkel</strong> <strong>Stiftung</strong> unterstützt<br />
das Dissertationsvorhaben durch die Gewährung eines<br />
Promotionsstipendiums und die Übernahme von Reise- und Sachkosten.<br />
neu bewilligt<br />
Papierfabrik »Weltende« in Hirschberg, um 1910,<br />
Ansichtskarte<br />
Wirtschaftliche Prozesse sind auf vielfältige Weise von der naturalen Umwelt abhängig:<br />
Als Ressourcenlieferant und Entsorgungsweg muss sie gepflegt werden, durch<br />
Standort und Technik bestimmt und begrenzt sie den Handlungsspielraum, Konflikte<br />
um naturale Ressourcen prägen Unternehmenskommunikation und strategische<br />
Entscheidungen. Dennoch werden Ökologie und Ökonomie oft als Gegensatzpaar<br />
wahrgenommen, und auch die historischen Teildisziplinen überschreiten diese Grenzlinie<br />
nur selten. Während umwelthistorische Arbeiten die Industrie oft lediglich<br />
als Verursacher von Umweltverschmutzung beschreiben, ohne in die Unternehmen<br />
hineinzublicken, behandeln die Wirtschaftswissenschaft sowie die Wirtschafts- und<br />
Unternehmensgeschichte die Umwelt meist nur am Rande.<br />
Mathias Mutz verbindet in seinem Dissertationsvorhaben unternehmens- und<br />
umwelthistorische Fragestellungen. Am Beispiel der deutschen, insbesondere der<br />
sächsischen Papierindustrie im 19. und frühen 20. Jahrhundert möchte er zeigen, wie<br />
Industrieunternehmen mit dem Faktor Natur umgingen und wie und mit welchen<br />
Auswirkungen sich dieser Umgang im Laufe der Industrialisierung veränderte. Für die<br />
Auswahl des »Naturprodukts Papier« als Grundlage für die Analyse sprechen eine<br />
Reihe von Gründen: Die Papierindustrie ist für ihre Ressourcen- und Energieintensität<br />
bekannt, so dass sich Zusammenhänge insbesondere im Bereich der Wasser- und<br />
Holznutzung gut aufzeigen lassen. Gleichzeitig ist Papier eines der allgegenwärtigsten<br />
Produkte moderner Konsum- und Informationsgesellschaften und besitzt dadurch<br />
über die ökonomische Bedeutung der Branche hinaus Relevanz. Von besonderem<br />
Interesse für die Umweltgeschichte sind zudem die Veränderungen der Fabrikation<br />
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich mit dem neuen Rohstoff Holz die<br />
Ressourcennutzung innerhalb weniger Jahrzehnte radikal änderte.<br />
Grundlage für die auf regionale Zentren und Einzelunternehmen konzentrierte<br />
Untersuchung sind Unternehmensarchive, die insbesondere für Fragen der Wassernutzung<br />
und der Wirtschaftspolitik aufschlussreiche staatliche Überlieferung sowie<br />
die umfangreiche Fachpublizistik. Den zeitlichen Rahmen bildet das Jahrhundert<br />
der Hochindustrialisierung zwischen dem Durchbruch der industriellen Papierproduktion<br />
und der Erfindung des Holzschliffpapiers um 1840 einerseits und der<br />
nationalsozialistischen Ressourcenbewirtschaftung und Autarkiepolitik andererseits.<br />
Ausgehend von einer Darstellung der Entwicklungen und Strukturen der deutschen<br />
Papierindustrie und der damit verbundenen Ausbildung von Fabrikationsstandorten<br />
und Infrastruktursystemen wird Herr Mutz mit den Stoffströmen der Produktion die<br />
materiellen Gesichtspunkte dieses Industriezweigs in den Blick nehmen. Hier zeigt<br />
sich einerseits, wie naturale Zusammenhänge Produktionsprozesse prägten, aber<br />
auch wie durch industrielle Erfordernisse die Umwelt verändert wurde: Die Erschließung<br />
des Rohstoffes Holz wirkte sich beispielsweise direkt auf die Forstwirtschaft<br />
aus, und es lässt sich ein enger Zusammenhang zwischen Papierholzabsatz und der<br />
Durchsetzung der modernen, rationellen Forstwirtschaft herstellen. Aber auch umfangreiche<br />
Wasserbaumaßnahmen gehörten zum Alltag der Papierfabrikanten, deren<br />
Eingreifen in den Wasserhaushalt von der Regulierung von Wasserläufen bis zum Bau<br />
von Kraftwerken und Talsperren zur Energieerzeugung reichte. Was folgte, waren<br />
Verschmutzungsprobleme, da insbesondere das Produktionswasser erhebliche Verunreinigungspotentiale<br />
hervorrief.<br />
44