JAHRESBERICHT - Gerda Henkel Stiftung
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Eine christlich-muslimische Prosopographie<br />
(CMP) – Kommunikationsträger<br />
an den Schnittstellen des christlichmuslimischen<br />
Dialogs in der formativen<br />
Phase der muslimisch arabischen Herrschaften<br />
im östlichen Mittelmeerraum<br />
(vom siebten Jahrhundert bis Mitte des<br />
elften Jahrhunderts)<br />
Stipendiatin<br />
Förderung<br />
Dr. Bettina Lienhard, Berlin<br />
forschungsstipendium | Die <strong>Gerda</strong> <strong>Henkel</strong> <strong>Stiftung</strong> unterstützt das<br />
Projekt durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums und die<br />
Übernahme von Sachkosten. | neu bewilligt<br />
Arabische Miniatur aus einer Übersetzung des<br />
Werkes von Dioskurides über die Heilpflanzen,<br />
Bagdad, 621H / 1224.<br />
In der Mitte des zehnten Jahrhunderts gab es<br />
zwischen dem byzantinischen Reich und dem<br />
umayyadischen Kalifat in Cordoba einen intensiven<br />
kulturellen Austausch. Konstantinos VII.<br />
Porphyrogennetos ließ dem Kalifen Abdarraham III.<br />
beispielsweise durch eine Gesandtschaft einen<br />
»griechischen Dioskurides« (medizinisches Buch<br />
über die Heilpflanzen aus dem ersten Jahrhundert<br />
n. Chr.) überbringen. Die Miniatur gehört zu einer<br />
arabischen Dioskurides-Handschrift aus dem<br />
13. Jahrhundert und zeigt drei Gelehrte, die sich<br />
über ein medizinisches Problem unterhalten.<br />
Ziel des Forschungsvorhabens von Dr. Bettina Lienhard ist es, eine christlich-muslimische<br />
Prosopographie für den östlichen Mittelmeerraum vom siebten Jahrhundert<br />
bis in die Mitte des elften Jahrhunderts zu erstellen. Anders als in bereits vorhandenen<br />
Prosopographien für diese Zeit, die meist aus sprachlichen Gründen nur die griechischen<br />
und lateinischen Quellen berücksichtigen, sollen erstmals auch orientalische,<br />
vor allem arabische Quellen in die Analyse mit einbezogen werden. Geographischer<br />
Rahmen für die geplante Untersuchung ist der östliche Mittelmeerraum einschließlich<br />
Unteritalien und Sizilien. Der erste Kontakt zwischen Christen und Muslimen fand<br />
dort in der ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts statt, als nach dem Tod des Propheten<br />
Mohammed die frisch zum Islam bekehrten arabischen Stämme innerhalb kurzer<br />
Zeit die zuvor unter byzantinischer Herrschaft stehenden Provinzen Syrien, Palästina,<br />
Ägypten sowie Armenien und Persien eroberten. In all diesen Gebieten führten<br />
in den folgenden 400 Jahren kriegerische und ideologische Auseinandersetzungen,<br />
Diplomatie, Handel sowie Kultur- und Wissenstransfer zu einem regen Dialog zwischen<br />
muslimischen Arabern und Christen. Orte christlich-muslimischen Aufeinandertreffens<br />
waren überdies eine Reihe von Inseln, insbesondere Kreta, Zypern und<br />
Sizilien, die bis zu den arabischen Eroberungen zum byzantinischen Reich gehörten.<br />
Darüber hinaus sollen auch Personen aus dem Umkreis des regen Gesandtschaftsverkehrs<br />
zwischen Spanien und dem östlichen Mittelmeerraum berücksichtigt werden.<br />
Dr. Lienhard wird zunächst eine Datenbank erstellen, die Informationen über<br />
alle Personen enthält, die sich im Untersuchungszeitraum an den Schnittstellen<br />
christlich-muslimischer Kommunikation bewegten. Dabei soll zu jeder Person, soweit<br />
rekonstruierbar, eine Kurzbiographie verfasst werden, die sowohl auf den bereits<br />
publizierten als auch auf den noch zu erschließenden orientalischen Quellen sowie<br />
auf der Sekundärliteratur beruht. Technisch soll die Datenbank so gestaltet werden,<br />
dass die Möglichkeit einer elektronischen Publikation und somit auch einer späteren<br />
Ergänzung der Prosopographie um weitere Personenkreise und Zeitabschnitte, gegeben<br />
ist, wobei insbesondere Spanien eine wünschenswerte Erweiterung darstellen<br />
könnte.<br />
In einem zweiten Arbeitsschritt wird Dr. Lienhard über die reine Erschließung<br />
von Fakten hinausgehen und die mit Hilfe der Datenbank gewonnenen Ergebnisse<br />
innerhalb eines breiteren kulturgeschichtlichen Kontexts auswerten. Im Mittelpunkt<br />
der geplanten Monographie steht die Frage, inwiefern religiöse Zugehörigkeiten<br />
parallel zu ethnischen, kulturellen und anderen Gruppenidentitäten (z. B. Gelehrtenkreise,<br />
bestimmte soziale Gruppen, Berufsgruppen) verlaufen. Ein Schwerpunkt wird<br />
dabei auf denjenigen Personen der Prosopographie liegen, die sich beispielsweise in<br />
Form von Briefen, Urkunden oder Abhandlungen zu Fragen des christlich-muslimischen<br />
Dialogs äußerten und somit die Funktion von Kommunikationsträgern zwischen<br />
den Religionen einnahmen. Dies werden in der Regel prominente Personen wie<br />
Kaiser, Kalifen, Beamte und Intellektuelle sein, die in der Forschung meist außerhalb<br />
ihres interreligiösen Umfelds wahrgenommen werden. Da sich die christlich-muslimischen<br />
Kontakte im Untersuchungszeitraum als besonders intensiv und weiträumig<br />
erweisen, bildet die geplante systematische und möglichst vollständige Prosopographie<br />
eine wichtige Grundlage für weiterführende historische und kulturgeschichtliche<br />
Studien und wird darüber hinaus auch einen Beitrag zu aktuellen gesellschaftspolitischen<br />
Diskussionen über die Koexistenz unterschiedlicher Kulturen und Religionsgemeinschaften<br />
leisten.<br />
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