JAHRESBERICHT - Gerda Henkel Stiftung
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Die »anderen« Könige. Königtum<br />
als Hierarchiebegriff in der<br />
spätmittelalterlichen Gesellschaft,<br />
Paris, 20. April 2007<br />
Leiter<br />
Institution<br />
Förderung<br />
Dr. Torsten Hiltmann<br />
Deutsches Historisches Institut Paris<br />
Tagung | Die <strong>Gerda</strong> <strong>Henkel</strong> <strong>Stiftung</strong> unterstützte die Veranstaltung<br />
durch die Übernahme von Reisekosten der Referenten. | neu bewilligt<br />
William Bruges, Wappenkönig Garter (oberster<br />
Wappenkönig Englands)<br />
Der Begriff des Königs war in der spätmittelalterlichen Gesellschaft nicht nur politisch<br />
besetzt, sondern wurde in einer erweiterten Definition auch einem Personenkreis<br />
zugewiesen, der keine im engeren Sinne politische Funktion hatte. Diese »anderen«<br />
Könige standen entweder als institutionelle oder Berufskönige zeitlich unbefristet<br />
bestimmten gesellschaftlichen Gruppen wie Zünften, Bruderschaften, aber auch<br />
kriminellen Vereinigungen vor oder wurden im Rahmen bestimmter Festlichkeiten<br />
auf Zeit gewählt. Gemeint sind die Könige der Spielleute, der Herolde, der Bettler,<br />
der Freudenmädchen, der Seiler oder der Kessler und – speziell in Frankreich – der<br />
Gerichtsschreiber. In einem weiter gefassten Kontext kommen auch Könige aus dem<br />
festiven Umfeld hinzu wie Turnier-, Schützen- und Karnevalskönige, Könige rhetorischer<br />
Gesellschaften oder auch der Bohnenkönig und der König der Narren,<br />
deren Traditionen teils noch heute lebendig sind. Bislang in der Forschung zumeist<br />
als kuriose Randerscheinungen eingeordnet, bietet dieser Personenkreis eine neue<br />
Perspektive auf die Frage, wie die spätmittelalterliche Gesellschaft organisiert war,<br />
wie Hierarchie gedacht wurde und welche Rolle man dabei dem Königtum zuwies.<br />
Zu diesem Themenkreis organisierte Dr. Torsten Hiltmann eine vorwiegend mit<br />
Nachwuchswissenschaftlern besetzte internationale wissenschaftliche Tagung, die am<br />
20. April 2007 im Deutschen Historischen Institut in Paris stattfand. Im Zentrum<br />
stand die Frage, wie die verschiedenen spätmittelalterlichen Ämter bzw. Königtümer<br />
konkret zu verstehen sind und mit welchen Aufgaben und Verantwortlichkeiten,<br />
Rechten und Privilegien sowie Zeremonien sie verbunden waren. Darüber hinaus<br />
sollte geklärt werden, wo jeweils die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum politischen<br />
Königtum lagen und ob es sich dabei um eine Imitation handelte oder ob<br />
sich neue, eigene Tendenzen abzeichneten. Neben der Untersuchung des Grenzraumes<br />
von spielerischem Schein und handfester Realität widmeten sich die Wissenschaftler<br />
der Frage, ob der bisher verwendete Königsbegriff gegen Ende des Mittelalters<br />
nicht über das Politische hinaus zu einem allgemeinen gesellschaftlichen Ordnungsbegriff<br />
erweitert werden muss. Mit Blick auf eine vergleichende Perspektive stellten<br />
die Teilnehmer aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Belgien, den Niederlanden<br />
und der Schweiz ihre Forschungsergebnisse zu ausgewählten Phänomenen<br />
des »anderen« Königtums vor, um in der Gesamtschau zu einem vollständigeren Bild<br />
der einzelnen Ämter und der ihnen gemeinsam zugrundeliegenden Struktur zu gelangen.<br />
Die Publikation der während der Tagung gehaltenen Vorträge in der institutseigenen<br />
Reihe »Ateliers des Deutschen Historischen Instituts« im Oldenbourg Verlag<br />
München ist in Vorbereitung.<br />
»Königliches Siegel«: Siegel des Königs der<br />
Schmiedegesellen, 1412<br />
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