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"kollektiver Traumata" (Nr. 48) - Geschwister-Scholl-Institut für ...

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11<br />

grifflichkeiten der psychoanalytischen Sprache nicht ausreichen, um durch menschliche<br />

Gewalt ausgelöste Erfahrungen zu beschreiben. 15 In den folgenden Jahren wurde daraufhin<br />

der Begriff der Extremtraumatisierung entwickelt, um die spezifische Natur dieser Erfahrung<br />

auszudrücken, die weder in ihren Konsequenzen, noch in den Symptomen und den soziopolitischen<br />

Implikationen mit anderen traumatischen Ereignissen wie Unfällen oder Erdbeben<br />

verglichen werden kann. Psychologen in Lateinamerika greifen auf die Begrifflichkeit der<br />

Extremtraumatisierung zurück, da sich durch menschliche Gewalt ausgelöste Traumatisierungen<br />

zum einen qualitativ von anderen Traumata unterscheiden und sie zum anderen nicht<br />

mehr nur individuelle, sondern vor allem soziale und politische Prozesse darstellen. Die<br />

Konzeption von Extremtraumatisierungen muss deswegen in ihrem sozialen Kontext verortet<br />

sein, um adäquat verstanden werden zu können. 16 Zudem handelt es sich bei dem PTSD-<br />

Konzept um eine Katalogisierung von Symptomen der westlichen Psychologie, die sich in<br />

Kulturen, die anders mit extremen Belastungen umgehen, als unbrauchbar erwiesen hat.<br />

Darüber hinaus wird an dieser Trauma-Charakterisierung kritisiert, dass nur die auftretenden<br />

Symptome aufgelistet sind und man daher lediglich feststellen kann, dass ein Gefolterter<br />

krank ist, aber nicht woran er leidet. Eine der zentralen Folgen traumatischer Erfahrungen sei<br />

das „Nicht-Mehr-Wahrnehmen-Können“ der Verknüpfung zwischen dem auslösenden Kontext<br />

und dem inneren Leiden. 17 Neben der Komponente der sozialen Verortung ist es daher -<br />

insbesondere auch dann, wenn politikwissenschaftlicher Nutzen aus der Beschreibung gezogen<br />

werden soll - nicht so sehr von Bedeutung, die äußerliche Symptomatik eines Traumas<br />

zu erkennen, sondern vielmehr, die komplexen Prozesse zu verstehen, die durch die Art<br />

des Traumas ausgelöst werden, um so eine wirkliche Grundlage zu schaffen, mittels derer<br />

Wahrheitskommissionen und Straftribunale bewertet werden können.<br />

Grundsätzlich wird unter einem psychischen Trauma die Überforderung der psychischen<br />

Bewältigungsmechanismen in Folge von Gewalterfahrungen verstanden. Definiert wird es<br />

von Fischer und Riedesser als<br />

„vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationserfahrungen und den<br />

individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und<br />

schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbstund<br />

Weltverständnis bewirkt“. 18<br />

In dieser Definition sind einige Komponenten zusammengefasst, die in verschiedenen Konzeptionalisierungen<br />

psychischer Traumata an zentraler Stelle stehen. Zum einen öffnet die<br />

Betonung der Situationserfahrungen einer übermächtigen Bedrohung den Blick <strong>für</strong> die Be-<br />

15 Vgl. Becker, D., Consequences, 2001, S. 4.<br />

16 Vgl. ebd., S. 3.<br />

17 Vgl. Becker, D., Hass, 1992, S. 134.<br />

18 Fischer, G./Riedesser, P., Lehrbuch, 2003, S. 82.

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