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"kollektiver Traumata" (Nr. 48) - Geschwister-Scholl-Institut für ...

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31<br />

2.4. Zusammenfassung<br />

Für ein Verständnis <strong>kollektiver</strong> Traumata ist ein grundlegendes Verstehen der komplexen<br />

traumatischen Prozesse auf individueller Ebene zentral. Zum einen dann, wenn man sich ein<br />

kollektives Trauma als Summe der Erfahrungen direkt traumatisierter Individuen vorstellt,<br />

zum anderen aber auch dann, wenn man sich ein kollektives Trauma als ein Phänomen vorstellt,<br />

dessen ursächliches Ereignis nicht von allen Mitgliedern des Kollektivs direkt erlebt<br />

worden ist. Sowohl die übertragenen Prozesse auf der kollektiven Ebene, als auch die dargestellte<br />

Konzeptualisierung von Volkan greifen auf die grundlegenden Mechanismen individueller<br />

traumatischer Phänomene zurück, obwohl nicht alle Gruppenmitglieder direkt individuell<br />

traumatisiert worden sind.<br />

Die Erfahrung extremer Situationen, wie Folter oder der gewaltsame Tod nächster Angehöriger,<br />

kann nicht mehr durch die normalen Bewältigungsmechanismen der Psyche verarbeitet<br />

werden. Meist treten Vermeidungs- und Dissoziationsmechanismen in Kraft, die in<br />

dem traumatisierenden Moment zwar adaptiv sind und das Überleben des Menschen<br />

sichern, jedoch noch lange Zeit nach der traumatischen Erfahrung eine Verarbeitung des<br />

Traumas verhindern können. Der Überlebende wird immer wieder von traumatischen Erinnerungen<br />

überwältigt, so dass er sein Leben, so wie es vor der traumatischen Erfahrung war,<br />

nur stark eingeschränkt wieder aufnehmen kann. Die Abwechslung von Intrusions- und<br />

Abwehrphasen kann als ein Bewältigungsmechanismus funktionieren, doch gerade bei<br />

schweren und komplexen Traumatisierungen ist eine Verarbeitung des Traumas oftmals<br />

nicht mehr möglich. Die langfristige Problematik liegt darin, dass nicht integrierte Traumata<br />

unbewusst an die nächste Generation weitergegeben werden können.<br />

Das Charakteristische traumatischer Erfahrungen ist die Ohnmacht, mit der man ihnen ausgesetzt<br />

ist. Lebewesen sind normalerweise nicht auf Situationen der unausweichlichen<br />

Hilflosigkeit eingerichtet. Dissoziationen sind hier die einzige Möglichkeit aus der Situation zu<br />

entfliehen - wären sie nicht möglich, wäre ein Überleben fraglich.<br />

Überlebende traumatischer Situationen versuchen oftmals, die so erlebte Hilflosigkeit zu<br />

überwinden und wieder Kontrolle über ihr Leben zu gewinnen. Dies kann geschehen durch<br />

die Übernahme von Schuldgefühlen, die leichter zu ertragen sind als Ohnmacht, oder auch<br />

durch Rachefantasien, die darauf abzielen, die Rollen von Opfer und Täter zu vertauschen.<br />

Das Wiedererlangen von Macht und Kontrolle wird als entscheidend im Verarbeitungsprozess<br />

angesehen. Hierbei kommt dem sozialen Umfeld eine zentrale Rolle zu. Denn das<br />

Wiederherstellen von Sicherheit in der Welt des Traumatisierten findet nicht nur im Behandlungszimmer<br />

des Therapeuten statt, sondern insbesondere auch durch verschiedene<br />

Handlungen im öffentlichen Raum. Hierbei spielt die Anerkennung des Traumas als Unrecht<br />

eine entscheidende Rolle. Gerade wenn es um Traumatisierungen durch politische Gewalt<br />

geht, wurden die Überlebenden nicht selten jahrzehntelang als Kriminelle gesehen, die

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