"kollektiver Traumata" (Nr. 48) - Geschwister-Scholl-Institut für ...
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stärkung der Konfrontation mit dem erlittenen Trauma und dadurch neuen Schädigungen<br />
andererseits. 44<br />
Insbesondere die Erkenntnis, dass eine schwere zweite traumatische Sequenz und eine positive<br />
dritte traumatische Sequenz langfristig eine bessere Gesundheitsperspektive <strong>für</strong> die<br />
Opfer hatte, als eine günstigere zweite traumatische Sequenz und eine negative dritte traumatische<br />
Sequenz, hat nach Becker eine radikale Veränderung im Verständnis psychischer<br />
Traumata zur Folge, da es nun um die Prozesshaftigkeit des Traumas innerhalb eines<br />
sozialen Rahmens geht. Es zeigt, dass es bei einem Trauma kein „post“ gibt, sondern einen<br />
kontinuierlichen traumatischen Prozess. Zudem hat dieses Verständnis den Vorteil, in unterschiedlichen<br />
kulturellen Settings angewandt werden zu können, da es nicht auf einem auf<br />
dem Verständnis westlicher Psychologie beruhenden Katalog von Symptomen basiert. 45<br />
Die Studie von Hans Keilson zeigt, welche Bedeutung das soziale Umfeld bei der Verarbeitung<br />
eines Traumas hat. Jan Philipp Reemtsma greift den Gedanken der traumatisierenden<br />
Sequenz hinsichtlich des Interesses des Opfers am strafenden Staat auf, indem er<br />
auf den Schaden verweist, den eine unterbleibende Normenbestätigung anrichten kann. Das<br />
durch das Trauma erschütterte Verständnis von der Welt und die Erschütterung der Illusion<br />
der Sicherheit wird nochmals bestätigt, denn „unter dem Aspekt der Normenverletzung<br />
[steht] die Traumatisierung durch das nicht Recht sprechende Gericht neben der durch das<br />
Verbrechen“. 46 Reemtsma leitet das Recht des Opfers zur juristischen Bestrafung des Täters<br />
schließlich aus der Pflicht des Staates zur Schadensbegrenzung ab, die er nur erfüllen<br />
könne, wenn er die Fortgeltung der Normen verdeutliche. 47<br />
Doch anstatt den Traumatisierten eine Weitergeltung der Normen zu verdeutlichen, die <strong>für</strong><br />
sie zusammengebrochen sind, reagieren die meisten Gesellschaften mit Sprachlosigkeit,<br />
wenn sie mit Erfahrungen psychischer Traumata konfrontiert werden. Dies kann aus dem<br />
Wunsch heraus geschehen, dass Vergessen möglich ist und die Grausamkeiten nicht wieder<br />
an die Oberfläche treten sollen, auch um die eigenen Kinder davor zu schützen. Doch gerade<br />
wenn die Gesellschaft mehrheitlich aus Mitläufern eines verbrecherischen Regimes<br />
besteht, resultiert Sprachlosigkeit oftmals aus der Unfähigkeit, sich mit der eigenen Vergangenheit<br />
zu beschäftigen. Wie Gesine Schwan am Beispiel Deutschlands zeigt, hat das<br />
„»kommunikative« Beschweigen des eigenen Schuldanteils erhebliche menschliche und<br />
politische »Kosten« verursacht und einen wirklichen Wandel zu Bürgern der Bundesrepublik<br />
nicht begünstigt, sondern beeinträchtigt, z.T. unterminiert“. <strong>48</strong> Nicht nur auf die Tätergeneration,<br />
sondern auch auf deren Kinder und Enkelkinder erstrecke sich die zerstörerische<br />
44 Vgl. Keilson, H., Traumatisierung, 1979, S. 426.<br />
45 Vgl. Becker, D., Consequences, 2001, S. 5.<br />
46 Hassemer, W./Reemtsma, J. P., Verbrechensopfer, 2002, S. 134.<br />
47 Vgl. Hassemer, W./Reemtsma, J. P., Verbrechensopfer, 2002, S. 137 und<br />
Reemtsma, J. P., Gewalt, 2002, S. 82.<br />
<strong>48</strong> Schwan, G., Politik, 1997, S. 72.