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"kollektiver Traumata" (Nr. 48) - Geschwister-Scholl-Institut für ...

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dass nicht nur das Durcharbeiten des Traumas positive Effekte hatte, sondern zudem eine<br />

Re-Sozialisierung des erlittenen Leids möglich war, denn das als privates Unglück Erlebte<br />

kann so als Teil eines sozialen und politischen Unrechts verstanden werden. 68 Dabei könne<br />

die Entprivatisierung nicht nur auf innerhalb des therapeutischen Raums beschränkt bleiben,<br />

sondern müsse darüber hinaus eine Durchsetzung der individuellen und kollektiven Wahrheit,<br />

die Ausübung von Gerechtigkeit und eine Überführung des individuellen Verlusts in<br />

kollektive Trauerprozesse umschließen. Für eine Heilung des Opfers sind daher nicht die Ergebnisse<br />

juristischer Verfahren gegen die Täter primär entscheidend, sondern die Anerkennung<br />

des sozialen und politischen Charakters der Zerstörung. Insofern hieße „wirkliche<br />

Entprivatisierung […], weniger von Krankheit als von tatsächlich geschehener Zerstörung<br />

und Schuld zu sprechen, die es anzunehmen gilt“. 69 Obwohl sich die testimonios in der juristischen<br />

Anklage von Tätern als unbrauchbar erwiesen haben, werden ihnen diese bedeutenden<br />

Effekte zugeschrieben, sind es doch die ersten Schritte aktiv hinaus in die Welt.<br />

Für Herman gehören diese Schritte zur dritten Phase der Verarbeitung, der des Empowerment<br />

und der Wiederverbindung mit der Welt. Nachdem der Überlebende das frühere, vom<br />

Trauma zerstörte Selbst betrauert habe, müsse er nun ein neues Selbst erschaffen, neue<br />

Beziehungen und ein neues Glaubenssystem entwickeln und aktiv in seine Umwelt eintreten.<br />

70 Für viele Überlebende stelle politische und soziale, aktive Partizipation eine Quelle der<br />

Kraft dar. Sei es in Form konkreter Hilfe <strong>für</strong> andere Opfer, in Form eines Voranbringens der<br />

juristischen Anklage der Täter oder des Öffentlichmachens des widerfahrenen Unrechts. Die<br />

Prävention neuen Unrechts sei dabei der Motor der Überlebenden <strong>für</strong> das öffentliche Aussprechen<br />

der Wahrheit und alle anderen Formen von sozialer Aktion. 71 Empowerment ist<br />

somit ein wichtiger Schritt als Hinaustreten aus der erlebten Hilflosigkeit und als Beginn, die<br />

Gestaltung des Lebens wieder in die eigene Hand zu nehmen.<br />

Wie eingangs erwähnt worden ist, konnte das Konzept der Posttraumatischen Belastungsstörung<br />

durch das Engagement der Vietnamveteranen durchgesetzt werden, deren psychische<br />

Leiden dadurch öffentlich anerkannt wurden. Chaim Shatan beschreibt, welche starke<br />

therapeutische Bedeutung dies und darüber hinaus gehende Initiativen von Vietnamveteranen<br />

hatten. Aussprechen allein sei keine Hilfe gewesen, denn das wirklich Essentielle<br />

im Aufarbeitungsprozess habe sich aus dem aktiven politischen Engagement gegen den<br />

Krieg ergeben. Hierbei sei die Aktivität an politisch einflussreichen Stellen besonders wichtig<br />

gewesen, um diejenigen Strukturen zu verändern, die <strong>für</strong> den Krieg verantwortlich gewesen<br />

seien. In diesem Sinne hätten die Veteranen Hearings über Kriegsverbrecher veranstaltet<br />

und die Öffentlichkeit über Tatsachen aufgeklärt, die von offizieller Seite geleugnet worden<br />

68 Vgl. Becker, D., Hass, 1992, S. 238.<br />

69 Ebd., S. 241.<br />

70 Vgl. Herman J. L., Trauma, 1997, S. 196/197.<br />

71 Vgl. ebd., S. 208.

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