"kollektiver Traumata" (Nr. 48) - Geschwister-Scholl-Institut für ...
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hierbei als ein notwendiger Schutzmechanismus der Psyche gesehen. Es ist nicht möglich,<br />
die Erlebnisse als normale Erinnerungen abzuspeichern. Sie werden immer wieder erlebt<br />
durch ins Bewusstsein stürzende Bilder, Gedanken, Träume. Dabei stellt sich ein Gefühl ein,<br />
als ob tatsächlich das traumatische Ereignis wiederkehren würde, was Illusionen, Halluzinationen<br />
und Flashbacks beinhaltet. Das Trauma unterbricht immer wieder den Alltag der<br />
Traumatisierten, so dass es ihnen oftmals schwer möglich ist, ihn wieder aufzunehmen. 25<br />
Der dialektische Prozess von Auseinandersetzung mit dem Trauma und Abwehr oder Leugnung<br />
der Erlebnisse wird unter anderem von der deutschen Therapeutin Luise Reddemann<br />
als Bewältigungssystem verstanden, dessen Kraft zur Selbstheilung nicht unterschätzt<br />
werden sollte. Damit kann eine Störung der Dynamik von außen die Bewältigung negativ<br />
beeinflussen und noch länger anhaltende Schwierigkeiten auslösen. Daher kommt dem sozialen<br />
Umfeld eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung des Traumas zu. 26 Die Entdeckung<br />
des Verarbeitungspotentials in der Dialektik von Intrusionen und Verleugnung geht<br />
auf die Arbeit von Horowitz aus dem Jahr 1976 zurück, der darin eine Tendenz zur Erledigung<br />
unvollendeter Handlungen sah. 27 Dieser Verarbeitungsmechanismus kann nach<br />
Fischer und Riedesser in zwei Varianten „entgleisen“. Entweder könne der Panikzustand<br />
bestehen bleiben, so dass der Überlebende dauerhaft von unkontrollierbarer Erregung überflutet<br />
werde, oder die Vermeidungs- und Verleugnungsphase könne sich verfestigen. 28<br />
Eng verbunden mit den unbewussten Vermeidungsstrategien ist der Mechanismus der<br />
Dissoziation. Auf eine Situation der Hilflosigkeit, in der weder Kampf noch Flucht möglich ist,<br />
sind Säugetiere eigentlich nicht eingerichtet. Durch den Mechanismus der Dissoziation als<br />
eine De-Realisation der Situation, ein Aussteigen aus der Wirklichkeit, ist es möglich, zu<br />
überleben. Die Ereignisse werden zwar bewusst wahrgenommen, jedoch nicht in ihrer<br />
eigentlichen Bedeutung. 29 Dieser, bildhaft als „Heraustreten aus dem eigenen Körper“ beschriebene,<br />
Mechanismus hat in der Gefahrensituation schützende Wirkung, kann jedoch die<br />
Heilung erheblich negativ beeinflussen, da die traumatische Situation in dem dissoziierten<br />
Zustand gespeichert und wieder abgerufen wird. 30<br />
In engem Zusammenhang mit dem Verleugnen traumatischer Erfahrungen, der Unaussprechbarkeit<br />
und dem Schweigen, auch innerhalb der eigenen Familie, steht das Phänomen<br />
der transgenerationellen Weitergabe eines Traumas. Bei der Arbeit mit Kindern von<br />
Holocaust-Überlebenden stellten Psychologen Symptome fest, die derart beschaffen waren,<br />
als hätten sie den Holocaust tatsächlich erlebt. Es hatten sich bei den Kindern angsterfüllte<br />
25 Vgl. Herman, J. L., Trauma, 1997, S. 37.<br />
26 Vgl. Kühner, A., Traumata, 2002, S. 24/25.<br />
27 Vgl. Fischer, G./Riedesser, P., Lehrbuch, 2003, S. 96.<br />
28 Vgl. ebd., S. 129.<br />
29 Vgl. Herman, J. L., Trauma, 1997, S. 42.<br />
30 Vgl. Kühner, A., Traumata, 2002, S. 26.