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"kollektiver Traumata" (Nr. 48) - Geschwister-Scholl-Institut für ...

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deren Repräsentanzen ein gemeinsames Erfolgs- und Triumphgefühl unter den Gruppenmitgliedern<br />

mit einschließen. Auch diese würden durch Überlieferung oder Gedenktage an<br />

nachfolgende Generationen weitergegeben. Die Kinder würden miteinander und mit den<br />

anderen Mitgliedern ihrer Gruppe ein erhöhtes Selbstwertgefühl teilen, wenn sie mit diesen<br />

Ruhmesblättern assoziiert werden. Volkan weist zudem darauf hin, dass in stressintensiven<br />

Zeiten, wie zum Beispiel Kriegen, dieses Element der Großgruppenidentität gezielt reaktiviert<br />

werden kann, um das Selbstwertgefühl der Gruppe zu stärken. 96<br />

Als Beispiel eines über Jahrhunderte hinweg weitergegebenen gewählten Traumas führt<br />

Volkan die Schlacht auf dem Amselfeld im Jahr 1389 an, die sich mit der türkischen Machtübernahme<br />

im Kosovo zu einem gewählten Trauma des serbischen Volkes entwickelt habe.<br />

Die traumatisierten Selbstbilder der Serben seien durch die Weitergabe mythologisierter Geschichten<br />

von der Schlacht von Generation zu Generation fortgeschrieben und verstärkt<br />

worden, wobei die historischen Fakten des Ereignisses keine Rolle mehr gespielt hätten. 97<br />

Die Serben hätten an ihrer Identität als Opfer festgehalten und seien so zu „ewig<br />

Trauernden“ geworden, die die Trauerarbeit um den Verlust des Kosovo nie abgeschlossen<br />

hätten. Das Amselfeld als der Ort der Niederlage sei zu einem Monument, zu einem Symbol<br />

des Schmerzes und der Hilflosigkeit geworden. 98 Dabei habe sich das Bild des serbischen<br />

Führers Lazar, der bei der Schlacht ums Leben kam, über die Jahrhunderte hinweg geändert.<br />

Sei er zunächst als Heiliger, Märtyrer und Opfer erinnert worden, habe sich sein Bild<br />

später in das eines Helden und schließlich in das eines Rächers verwandelt. 99<br />

Schließlich habe Slobodan Milošević gezielt den serbischen Nationalismus als politisches<br />

Instrument genutzt und das gewählte Trauma der Serben reaktiviert. Die Überführung der<br />

Überreste Lazars anlässlich der Sechshundertjahrfeier der Schlacht zeige dies besonders<br />

deutlich. In jedem Dorf, durch den der Leichnam geführt worden sei, hätten Trauerfeiern<br />

stattgefunden und „wo immer Lazars Leichnam durch die Straßen getragen wurde, weinten<br />

und klagten sie und hielten Reden, in denen beteuert wurde, dass sie eine solche Niederlage<br />

nie wieder zulassen würden.“ 100<br />

Volkan schließt daraus, dass die serbische Führung einen Zeitkollaps von 600 Jahren herbeigeführt<br />

habe, wodurch die Serben das Gefühl bekommen hätten, das Trauma hätte sich<br />

gestern erst ereignet. Die Serben seien dadurch miteinander verbunden worden und hätten<br />

daraufhin ähnliche Selbstbilder entwickelt, die von einem neuen Gefühl des Rechts auf<br />

Rache geprägt gewesen seien. 101 Schließlich sei die serbische Aggression auf die bosnischen<br />

Muslime projiziert worden, wobei die bosnischen Muslime mit den osmanischen Türken<br />

gleichgesetzt worden seien. So habe sich die Idee durchsetzen können, dass die Mus-<br />

96 Vgl. ebd., S. 70.<br />

97 Vgl. ebd., S. 85.<br />

98 Vgl. ebd., S. 87.<br />

99 Vgl. Volkan, V. D., Versagen, 1999, S. 88.<br />

100 ebd., S. 93.<br />

101 Vgl. ebd., S. 93.

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