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"kollektiver Traumata" (Nr. 48) - Geschwister-Scholl-Institut für ...

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amerikanischen Gesellschaft nach dem 11. September nach. 83 Sie identifiziert starke und<br />

von großen Kollektiven geteilte Gefühle, die durch Medien verstärkt einen Druck in Richtung<br />

bestimmter politischer Reaktionen aufbauen, um eine Reparatur des symbolvermittelt traumatischen<br />

Erlebens von Ohnmacht und Demütigung zu erreichen. Durch das Ereignis,<br />

dessen Übermacht und Willkür man hilflos ausgesetzt gewesen sei, seien Gefühle kindlicher<br />

Hilflosigkeit und des Angewiesenseins auf schützende Autoritäts- und Elternfiguren wieder<br />

lebendig geworden. Da das hilflose Ausgeliefertsein nicht aushaltbar sei, erwache die Sehnsucht<br />

nach eindeutigen Führern, die die Situation definieren und Verantwortung übernehmen.<br />

Auf die Angst und die Unfähigkeit, die Umwelt zu kontrollieren, folge der Wunsch<br />

nach einer überschaubaren, familienähnlichen Welt mit eindeutigen Rollenzuschreibungen,<br />

der die Weltsicht personalisiere und verkindliche und die Welt in Helden und Schurken<br />

aufteile. Dadurch entstehe der Druck zur Homogenisierung der Eigengruppe und eine<br />

aggressive Ausgrenzung von Abweichlern, der verstärkt werde durch die Angst vor Einsamkeit<br />

und Ausgestoßensein. Uneinigkeit auszuhalten und Fremdes zu tolerieren sei in dieser<br />

Verfassung zu anstrengend und die Unterscheidung von Freund und Feind essentiell. Die<br />

Ohnmachtserfahrung habe zur Folge, dass Schutz und Stärke in der Identität der Eigengruppe<br />

gesucht würden. Darüber hinaus habe der Terroranschlag die Kohärenz des eigenen<br />

Sinnsystems verletzt, die Geordnetheit und Zweck-Mittel-Rationalität der inneren Weltordnung<br />

sei dadurch eingebrochen und das Vertrauen in die Zukunft zerstört. Das Unerträgliche<br />

bestehe in der Bedrohung durch die Unsichtbarkeit und der Unfassbarkeit der Quelle<br />

der Bedrohung. Um dem zu entgehen, werde ein eindeutiges Feindbild konstruiert und<br />

vitalisiert. Die Ohnmachtserfahrungen und der Verlust von Kontrolle würden die Integrität des<br />

Menschen beschädigen in einer Kultur, in der selbstbestimmtes Handeln die zentrale Bedeutung<br />

<strong>für</strong> den Selbstwert des Menschen habe. Die Idealisierung von Macht und Potenz sei ein<br />

Versuch, das passive Ausgesetztsein wieder in selbstbestimmtes Handeln umzuwandeln.<br />

Die Rückgewinnung von Aktivität sei daher zentral. Für Brockhaus ist zudem der Punkt der<br />

moralischen Infragestellung wichtig. Denn am schwersten zu verarbeiten seien diejenigen<br />

Traumata, an denen man sich selbst mitschuldig weiß. Die daraus folgende Schuldentlastung<br />

zeige sich in dem Betonieren des eigenen Status als unschuldiges Opfer, was<br />

eine differenzierte Wahrnehmung auf beiden Seiten verhindere.<br />

Aus der Erfahrung, klein, erniedrigt und nichts mehr wert zu sein, entstehen Wut und das<br />

Verlangen, die erfahrene Entwürdigung und Demütigung dem Täter zuzufügen. Die Übernahme<br />

und Steigerung der Täterrolle diene daher als Reparatur der Entwürdigung. Rache<br />

begnüge sich hierbei nicht mit der Unschädlichmachung des Gegners. Sie sei erst vollständig<br />

mit seiner totalen Entwürdigung. 84<br />

83 Brockhaus, G., Reparatur, 2003.<br />

84 Vgl. Brockhaus, G., Reparatur, 2003, S. 373.

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