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"kollektiver Traumata" (Nr. 48) - Geschwister-Scholl-Institut für ...

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rend sie gleichzeitig auch viele Charakteristika mit anderen, fremden Gruppen teilen“. 88 In<br />

Alltagssituationen mag die Zugehörigkeit zu der jeweiligen Gruppe nicht von Bedeutung sein,<br />

sei jedoch die Großgruppe bedroht, werde das Festhalten an ihr und die Verbundenheit mit<br />

den anderen Mitgliedern essentiell.<br />

Auch <strong>für</strong> Volkan ist die komplexe Dynamik von Macht und Ohnmacht <strong>für</strong> ein Verständnis<br />

„gewählter Traumata“ zentral. Denn diese beziehen sich auf Ereignisse, in denen eine Großgruppe<br />

durch eine andere Gruppe gedemütigt wurde und sich dadurch hilflos und als Opfer<br />

fühlte. Mit dem Ausdruck „gewählte Traumata“ ist hierbei nicht eine bewusste Wahl, Opfer zu<br />

werden, gemeint, sondern vielmehr „die unbewusste »Wahl« einer Gruppe […], die geistige<br />

Repräsentanz von einem Ereignis einer vergangenen Generation der eigenen Identität hinzuzufügen.“<br />

89 Die Entstehung eines gewählten Traumas ist nach Volkan damit zudem mit<br />

zwei bereits erläuterten Aspekten verbunden: Zum einen mit der Unfähigkeit der vergangenen<br />

Generation, über die erlittenen Verluste zu trauern, und zum anderen damit, dass<br />

es der Gruppe nicht gelungen ist, die erfahrene Demütigung wieder gutzumachen. Die Ohnmacht<br />

konnte bisher nicht repariert werden. Hierbei habe zwar jedes Individuum seine<br />

eigene Reaktion auf ein traumatisches Ereignis, die Mitglieder einer Großgruppe würden<br />

jedoch die geistigen Repräsentanzen teilen, also Vorstellungen eines Ereignisses und die<br />

damit verbundenen verletzten Selbstbilder. Für die Entwicklung eines gewählten Traumas<br />

als Bestandteil der Großgruppenidentität sei der Prozess der generationenübergreifenden<br />

Weitergabe zentral. Denn die verletzten Selbstbilder von Tausenden oder Millionen von Menschen<br />

würden in den sich entwickelnden Selbstvorstellungen der Kinder der nächsten Generation<br />

„deponiert“, so als ob die Kinder in der Lage wären, das Trauma zu verarbeiten, d.h.<br />

den Verlust zu betrauern oder die Demütigung wieder gutzumachen. Seien sie dazu nicht im<br />

Stande, gäben sie das Trauma wiederum an die nächste Generation weiter. 90 Hierbei seien<br />

die historischen Fakten nicht mehr so wichtig, sondern die Macht, mit der das gewählte<br />

Trauma die Gruppenmitglieder miteinander verbände. Das Motiv der Rache spielt hier eine<br />

wichtige Rolle, denn<br />

„da es bei dem gewählten Trauma um den Aspekt der Demütigung und des Verlustes<br />

sowie die Unfähigkeit zu trauern geht, ist es gleichzeitig auch verbunden mit dem<br />

Wunsch, all das wieder gutzumachen, was den Vorfahren wiederfahren ist, und dem<br />

Gefühl, ein Recht auf Rache zu haben.“ 91<br />

Zudem besteht nach Volkan die Möglichkeit, dass ein gewähltes Trauma im Gedächtnis der<br />

Großgruppe „schlummert“. In Krisenzeiten, wenn die Identität der Gruppe bedroht sei, könne<br />

es geweckt und von Führern gezielt benutzt werden, um Gruppengefühle der Gemeinsamkeit,<br />

aber auch dem Anderen gegenüber anzufachen. Geschehe dies, trete ein in vielen<br />

88 Ebd., S. <strong>48</strong>.<br />

89 Volkan, V. D., Versagen, 1999, S. 73.<br />

90 Vgl. ebd., S. 74.<br />

91 Ebd., S. 84.

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