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"kollektiver Traumata" (Nr. 48) - Geschwister-Scholl-Institut für ...

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sei. 160 Denn, so die Rechtsprofessorin Martha Minow, insbesondere <strong>für</strong> traumatisierte Menschen<br />

sei es sehr wichtig, dass sie ihre Erlebnisse vollständig erzählen können und sie<br />

gehört werden ohne Unterbrechungen und ohne Skeptizismus. 161<br />

Die Psychologin Pumla Gobodo-Madikizela, die ein Mitglied der südafrikanischen Wahrheitskommission<br />

war, spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die Opfer unter einem „nahezu<br />

unkontrollierbaren Druck“ stehen, ihre Geschichte zu erzählen. 162 Sie hatte erlebt, dass<br />

Überlebende von ihren traumatischen Erlebnissen mit einer überwältigenden Dringlichkeit<br />

berichten wollten, als sie von der Arbeit der Wahrheitskommission erfahren hatten. 163 Diese<br />

Dringlichkeit könne, so Gobodo-Madikizela, darin begründet liegen, dass die Erlebnisse jahrzehntelang<br />

präsent waren. Denn bei den Erzählungen sei es oftmals nicht um die Re-Konstruktion<br />

der traumatischen Vergangenheit gegangen, sondern „was die Opfer und Überlebenden<br />

bei den Anhörungen der TRC vortrugen, war vielmehr die eigene gelebte Erfahrung<br />

traumatischer Erinnerung“. 164 Gobodo-Madikizela erwähnt in diesem Zusammenhang<br />

das Beispiel einer Frau, die von den letzten Handgriffen ihres elfjährigen Sohnes berichtet<br />

hat, bevor er erschossen worden ist. Ihr Bericht sei eine Illustration der Zeitlosigkeit<br />

traumatischen Schmerzes gewesen, da ihr Gebrauch der Zeiten jeder Grammatik zuwider<br />

gelaufen sei und sie immer wieder zwischen Vergangenheit und Gegenwart gewechselt<br />

habe. Ihr war es nicht möglich, ihre Erlebnisse in ein zusammenhängendes Narrativ umzusetzen,<br />

„die Einzelheiten jenes schicksalhaften Tages lagen noch verstreut wie zerbrochenes<br />

Porzellan, das nicht mehr zu kitten ist“. 165<br />

Angesichts dieser Erfahrungen, die zeigen, dass Überlebenden auch nach Jahrzehnten ihre<br />

traumatischen Erlebnisse noch derart präsent sind und sie wieder und wieder durchlebt werden,<br />

stellt sich die Frage, ob Wahrheitskommissionen zu erfüllen im Stande sind, was hier<br />

von ihnen erwartet wird.<br />

Wie aus der Schilderung der verschiedenen Phasen therapeutischer Verarbeitungsmodelle<br />

im ersten Teil vorliegender Arbeit hervorgegangen ist, sieht die Mehrzahl der Therapeuten<br />

die Strategie einer schnellen, gewaltsamen Reinigung durch eine schmerzvolle Konfrontation<br />

mit den Erlebnissen sehr kritisch. Zwar gehen nicht alle Therapeuten so weit wie Luise<br />

Reddemann, die in manchen Fällen auf eine Konfrontation verzichtet, um den stabilen Zustand<br />

nicht zu gefährden. Doch eine Phase der Stabilisierung, auf die später eine vom<br />

Patienten kontrollierte Konfrontation aufbaut, erachten alle in dieser Arbeit zitierten Therapeuten<br />

<strong>für</strong> notwendig. Dass die Aussagen vor Wahrheitskommissionen als Durchleben<br />

160 Vgl. Minow M., Vengeance, 1998, S. 71 und 72.<br />

161 Vgl. ebd., S. 58.<br />

162 Vgl. Gobodo-Madikizela, P., Ende, 2006, S. 109.<br />

163 Vgl. ebd., S. 111.<br />

164 Ebd., S. 113.<br />

165 Ebd., S.116.

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