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VOKAL Modest Mussorgsky: Kinderstube Elisabeth Kulman, Mezzosopran; Kirill Gerstein, Klavier (2012)<br />
KLANGTIPP<br />
Musik:<br />
Klang:<br />
Preiser PR 91224 (CD-Single, 17:05)<br />
Die eigene Welt des Kindes<br />
Limited Charity<br />
Edition: Sängerin<br />
Elisabeth Kulman<br />
stiftet den Reinerlös<br />
ihrer Single-CD der<br />
St. Anna Kinderkrebs<br />
Forschung.<br />
Vor zwei Jahren sorgte Elisabeth Kulman, Österreichs<br />
interessanteste Sängerin, zum ersten Mal <strong>für</strong> Furore,<br />
als sie sich auf ihrer ersten CD mit Mahler-Liedern<br />
nicht von einem Pianisten, sondern von einer rustikalen<br />
„Wirtshaus“-Combo aus Akkordeon, Geige, Cello<br />
und Kontrabass begleiten ließ, und so mit berückender<br />
Intensität zu den musikalischen Wurzeln von Mahlers<br />
Musik vordrang (Material Records). Danach suchte<br />
und fand sie im Liedschaffen des „versoffenen Genies“<br />
Modest Mussorgsky ein Ventil <strong>für</strong> ihre unbändige<br />
Ausdruckskraft und tat sich dazu mit vier Wiener<br />
Jazzern zusammen (Preiser).<br />
Auf ihrem neuen Album, einer nur 17 Minuten langen<br />
CD-Single, ist sie zu ihrem klassischen Kanon zurückgekehrt<br />
und hat mit dem ähnlich weltoffenen russischen<br />
Pianisten Kirill Gerstein ein weiteres vernachlässigtes<br />
Juwel Mussorgskys so intensiv wiederbelebt, dass<br />
man sich <strong>für</strong> Augenblicke wirklich zurückgeführt fühlt<br />
in die völlig eigene Fantasie- und Erlebniswelt eines<br />
Kindes – im konkreten Fall: in die Welt eines wohlbehüteten<br />
Kindes im 19. Jahrhundert. Man muss nicht<br />
mal des Russischen mächtig sein, das die Kulman freilich<br />
perfekt beherrscht, um sich anstecken zu lassen<br />
von der Intimität, dem psychologischen Raffinement<br />
und dem hermetischen Zauber, den Mussorgsky in seinem<br />
Liedzyklus „Kinderstube“ auf engstem Raum eingefangen<br />
hat.<br />
Diese sieben Miniaturen bergen die Essenz seiner revolutionären<br />
musikalischen Ästhetik und eines völlig<br />
neuartigen Realismus, und sie sind zugleich die schönste,<br />
liebevollste Manifestation einer von der Erwachsenenwelt<br />
losgelösten, eigenen Lebenswirklichkeit. Elisabeth<br />
Kulman meistert diese entzückenden Mini-Szenen<br />
mit einem entwaffnenden Totaleinsatz, mit feinem<br />
Humor und einer gestalterischen Souveränität, die deren<br />
psychologische Wahrhaftigkeit und auch Mussorgskys<br />
geniales Gespür <strong>für</strong> diese „eigenständige kleine<br />
Welt“ deutlich werden lassen.<br />
Doch damit nicht genug: Auf der freien Rückseite dieser<br />
Charity-Edition (zugunsten der St. Anna Kinderkrebs<br />
Forschung) haben sich tausend Wiener Schulkinder<br />
mit Pinsel und Filzstift künstlerisch verewigt.<br />
Das heißt, jeder Käufer dieser CD erhält ein echtes<br />
Unikat und spendet <strong>für</strong> einen guten Zweck: Mus -<br />
sorgskys Botschaft erfährt so eine wirklich sinnvolle<br />
Aktualisierung.<br />
Attila Csampai<br />
KLAVIER<br />
Musik:<br />
Klang:<br />
KLANGTIPP<br />
DG 479 0088 (72:29)<br />
Modest Mussorgsky: Bilder einer Ausstellung; Franz Schubert: Klaviersonate D-Dur D 850 Alice Sara Ott, Klavier (2012)<br />
Viel ist in der PR-Prosa des Booklets<br />
vom „Besonderen“ die Rede, Mussorgskys<br />
„Bilder einer Ausstellung“<br />
vor russischem Publikum aufzuführen.<br />
Alice Sara Otts Live-Aufnahme<br />
vom St. Petersburger „Weiße Nächte“-<br />
Sommerfestival zeichnet indes gerade<br />
der Verzicht auf „Besonderes“ oder<br />
zumindest besonders Aufdringliches<br />
aus. Genau darin liegt die Qualität<br />
der Einspielung, die kein Horowitz-<br />
Virtuosen-Feuerwerk zündet, wohl<br />
aber mit sensiblem Fingerspitzengefühl<br />
der musikalischen Imagination<br />
Klang und Farbe gibt.<br />
Trefflich realisiert Ott den sinnierenden<br />
Ton der Promenaden, die Kraft<br />
der Bilder lädt sie geradezu szenisch<br />
auf. Gebührend schwergängige Motorik<br />
treibt den Ochsenkarren („Bydlo“)<br />
durch die Mühen der Ebene, im<br />
„Castello“ betont sie den unruhigen<br />
Puls des Dauer-Gis unter der elegisch<br />
ausgesungenen Melodie. Die „Tuileries“<br />
versprühen Prä-Ravel‘sches<br />
Flair, den Limoges-Teil trimmt sie<br />
akzentdynamisch auf vorweggenommenen<br />
Strawinsky. Der Hang zur Akzentdynamik<br />
rächt sich freilich durch<br />
eine gelegentliche Schwerfälligkeit,<br />
etwa im Baba-Yaga-Teil, der eher nach<br />
beschleunigtem Ochsenkarren als<br />
nach hexenhaftem Brio klingt. Die<br />
Apotheose im finalen „Heldentor“<br />
legt sie dann aber in souveräner dynamischer<br />
Disposition an.<br />
Otts Interpretation ist uneitel, stringent<br />
und betont die Modernität des<br />
„Bilder“-Zyklus. Deren Tugenden<br />
schlagen in der Schubert-Sonate zum<br />
Teil ins Mechanische um, der zweite<br />
Satz gerät aber zur packend unsentimentalen<br />
Klangreise.<br />
Martin Mezger<br />
OPER<br />
Musik:<br />
Klang:<br />
Testament / Note 1 SBT3 1484 (3 CDs, 168:07)<br />
Claude Debussy: Pelléas et Mélisande Maurane, Danco, Etcheverry u. a.; Philharmonia Orchestra, Ingelbrecht (1951)<br />
„Inghel ist der einzige, der mich versteht!“<br />
Claude Debussys Lob <strong>für</strong> den<br />
heute fast vergessenen Dirigenten Désiré-Émile<br />
Ingelbrecht (1880 – 1965)<br />
war ebenso begründet wie aufschlussreich:<br />
Tatsächlich sind seine Debussy-<br />
Aufnahmen einzigartig in ihrer Stringenz<br />
– „musikalische Mathematik“ (wie<br />
Debussy sie immer gefordert hat) ohne<br />
pseudo-impressionistische Klangwolken,<br />
in denen jede Kontur verschwimmt.<br />
Bei „Testament“ gibt es bereits drei<br />
Einzel-CDs mit dem (1934 von Ingelbrecht<br />
mitgegründeten) Orchestre National<br />
des französischen Rundfunks;<br />
nun also kommt der „Pelléas“ hinzu,<br />
in einer – monauralen, aufnahmetechnisch<br />
exzellent remasterten – Rundfunkproduktion<br />
der BBC von 1951 mit<br />
dem Philharmonia Orchestra und der<br />
damals wohl besten Solisten-Besetzung:<br />
Camille Maurane als Pelléas, Suzanne<br />
Danco als Mélisande und Henri-Bertrand<br />
Etcheverry als Golaud sind<br />
deutlich besser als Jacques Jansen, Micheline<br />
Grancher und Michel Roux in<br />
Ingelbrechts Pariser Konzertmitschnitt<br />
der Oper von 1962, der zudem lange<br />
vergriffen ist.<br />
Man erlebt ein völlig neues Werk und<br />
entdeckt plötzlich Töne, Harmonien,<br />
Klangfarben und Akzente, die auf keiner<br />
anderen Aufnahme zu hören sind.<br />
Das viel beschworene Ideal der Clarté<br />
ist so bestechend, dass man nach<br />
dem bloßen Hören die Partitur nachschreiben<br />
könnte. Wer immer Debussys<br />
einzige Oper kennenlernen will,<br />
sollte es durch diese Aufnahme tun.<br />
Der ultimative „Pelléas“: So und nicht<br />
anders muss diese Oper klingen – eine<br />
Offenbarung!<br />
Michael Stegemann<br />
Musik max. 10 Punkte, Klang max. 10 Punkte erhältlich auf CD erhältlich auf SACD erhältlich als Download<br />
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