stereoplay Studioqualität für Jedermann (Vorschau)
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Musik Klassik<br />
Voigts Kolumne<br />
Klangliche Unwucht: „Erlkönig“,<br />
Volume 7 der Schubert-Edition<br />
von Matthias Goerne<br />
Opern- und Liedsänger aufzunehmen ist<br />
in der Digital-Ära anscheinend wesentlich<br />
kniffliger als zu Analog-Zeiten. Was<br />
auch immer der Grund sein mag – Gesangsaufnahmen<br />
mit guter Balance von<br />
Präsenz und Raumklang sind selten.<br />
Bei der siebten Folge der Schubert-Edition<br />
von Matthias Goerne scheint sie etwas<br />
zugunsten des Raumklangs verschoben<br />
zu sein – und zuungunsten des Sängers.<br />
Nicht, dass das Klavier mehr Präsenz<br />
hätte als die Stimme: Es klingt eher<br />
massiv und dumpf, in den Mitten und<br />
Bässen wesentlich stärker als in den Höhen.<br />
Doch führt diese Unwucht dazu,<br />
dass man – wie bei Karajans späten<br />
Opern-Aufnahmen – immer wieder zum<br />
Lautstärkeregler greift. Dreht man den<br />
Pegel runter, gehen Nuancen der sängerischen<br />
Gestaltung verloren, vor allem in<br />
der Diktion. Dreht man wieder auf, nervt<br />
einen der „wummernde“ Klavierklang,<br />
besonders bei „Im Walde“.<br />
Zwar verlangt der „Erlkönig“ vom Pianisten<br />
kräftiges Zulangen, immerhin ist<br />
Schuberts Version des Goethe-Textes ein<br />
Drama en miniature. Doch ein schlanker,<br />
nervig-gespannter Klavierklang hätte<br />
dem Werk wesentlich mehr gedient.<br />
Und so differenziert, wie Andreas Haefliger<br />
in lyrischen Titeln spielt (vgl. „Im<br />
Abendrot“ und „An den Mond“), nehme<br />
ich an, dass das klangliche Ungleichgewicht<br />
eher der Tonregie anzulasten ist.<br />
Der „Erlkönig“ ist eh ein Sonderfall: Hier<br />
stellt sich jedem Sänger die Frage, wie<br />
weit er in die „Rollen“ von Vater, Kind<br />
und Erlkönig hineinschlüpft. Matthias<br />
Goerne belässt es bei diskreten Andeutungen.<br />
Wollte er jene „Opern-Dramatik“<br />
vermeiden, die mitunter die Grenze<br />
zur unfreiwilligen Komik überschreitet?<br />
Selbst die Größten ihres Fachs waren davor<br />
nicht gefeit. Doch wenn es so packend<br />
klingt wie bei Marta Fuchs und<br />
Michael Raucheisen (Electrola 1937),<br />
scheint es mir durchaus gerechtfertigt,<br />
den drei Figuren ein eigenes Klanggesicht<br />
zu geben.<br />
Um nicht den Eindruck selektiver Wahrnehmung<br />
zu hinterlassen: Goernes Schubert-Edition<br />
sei allen ans Herz gelegt, die<br />
sich mit Liedgesang beschäftigen. Und<br />
gerade deshalb wünscht man sich als Hörer,<br />
dass all die Qualitäten, die ihn als<br />
großen Liedgestalter auszeichnen, bestmöglich<br />
dokumentiert werden (harmonia<br />
mundi CD 902141).<br />
Klassik-DVDs<br />
DVD / OPER<br />
Virgin Classics 40424996 (193 Min., 2 DVDs)<br />
Händel / Vivaldi / Rameau: The Enchanted Island<br />
Daniels, de Niese, DiDonato,<br />
Pisaroni, Oropesa, Claire,<br />
Appleby, Madore, Domingo<br />
u. a., Metropolitan Opera,<br />
Christie; Regie: McDermott,<br />
Crouch (2012)<br />
Typ: DVD<br />
Tonformat: DD 2.0, DTS 5.1<br />
Sprache: E<br />
Untertitel: E, D, F, ES, IT<br />
Bonus: Interviews<br />
Kunst:<br />
Ton:<br />
Bild:<br />
In Zeiten, in denen immer weniger zeitgenössische<br />
Werke das Repertoire bereichern, wird<br />
auch das Pasticcio wieder salonfähig: In New<br />
York präsentierte Jeremy Sams unlängst auf<br />
Musik von Händel, Vivaldi und Rameau eine<br />
von Shakespeare inspirierte Handlung, in der<br />
die Liebespaare aus dem Mittsommernachtstraum<br />
auf Prosperos Insel stranden. Mit sturmgeschüttelten<br />
Schiffen, gemalten Kulissen und<br />
hochmodernen Projektionen zeigen Phelim<br />
McDermott und Julian Crouch dieses „Best<br />
of“ Barocker Oper als humorvoll-brillantes<br />
Zaubertheater zwischen Broadway und Drottningholm.<br />
Musikalisch bietet das schwungvoll von William<br />
Christie dirigierte Stück den Sängern Gelegenheit,<br />
sich richtig auszutoben. Allen voran<br />
überzeugt Joyce DiDonato als Gammel-Zauberin<br />
Sycorax mit virtuosen Verzierungen und<br />
umwerfender Bühnenpräsenz. Indisponiert<br />
klingt in dieser Produktion hingegen David Daniels<br />
als Prospero. Danielle de Niese gibt einen<br />
liebenswerten Ariel. Als Demetrius beeindruckt<br />
Paul Appleby mit feinen Nuancen und darstellerischer<br />
Aufrichtigkeit. Und als Neptun legt<br />
Plácido Domingo einen märchenhaften Auftritt<br />
hin. Ein farbenfrohes Spektakel nicht nur<br />
<strong>für</strong> Barock-Freunde.<br />
Miquel Cabruja<br />
DVD / Doku<br />
Idéale Audience / Naxos 3073518 (154 Min.)<br />
Richter, der Unbeugsame<br />
Regie: Bruno Monsaingeon<br />
(1998)<br />
Typ: 2 DVD<br />
Tonformat: 2.0 PCM Stereo<br />
Sprache: D<br />
Untertitel: D, E, F, Rus, Jap<br />
Extras: –<br />
Kunst:<br />
Ton:<br />
Bild:<br />
Das zweiteilige, seinerzeit mehrfach preisgekrönte<br />
Portrait des legendären russischen Pianisten<br />
Sviatoslaw Richter (1915 – 1997) basiert<br />
auf einem langen Interview, das der französische<br />
Musikfilmer Bruno Monsaingeon mit<br />
dem 80-jährigen, menschenscheuen Künstler<br />
führen konnte. Die Intensität und Authentizität<br />
des Films liegt darin, dass er ausschließlich<br />
dem O-Ton Richters folgt: den autobiografischen<br />
Erinnerungen des Pianisten, dem Dietrich<br />
Fischer-Dieskau die deutsche Synchronstimme<br />
geliehen hat; die Pausen des Erzählflusses<br />
wurden dabei ebenso bewahrt wie die<br />
Gedankensprünge und der kompromisslos-bissige<br />
Tonfall – ob es um Politik geht, um die<br />
problematische Zusammenarbeit mit David<br />
Oistrach oder Herbert von Karajan oder um<br />
Alltäglichkeiten. Anders als in seinen Glenn-<br />
Gould-Filmen bleibt Monsaingeon dezent im<br />
Hintergrund. Er kontrastiert das ungeschönte<br />
Gesprächsprotokoll mit zeithistorischen Dokumenten<br />
und Aufnahmen von Konzerten,<br />
Proben und Studiositzungen – spannendes, im<br />
Westen kaum bekanntes Filmmaterial.<br />
Aus all dem ergibt sich das Bild eines höchst<br />
eigenwilligen, „unbeugsamen“ Ausnahmekünstlers,<br />
der ohne jede Eitelkeit über seine Zeit und<br />
seine Kunst reflektiert – großartig!<br />
Michael Stegemann<br />
150 3/13 <strong>stereoplay</strong>.de