zur Erwachsenenbildung
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Schwerpunkt Positionen <strong>zur</strong> <strong>Erwachsenenbildung</strong><br />
16 – 65-Jährigen in den 18 teilnehmenden europäischen<br />
Ländern (in Österreich um die 17 Prozent, leicht über<br />
dem Durchschnitt) verfügen über un<strong>zur</strong>eichende Lesekompetenz<br />
(und in der Folge Schreibkompetenz), um<br />
den heutigen Alltag in der Arbeitswelt und als Bürger/<br />
in sicher zu bewältigen. Diese befinden sich am häufigsten<br />
unter denjenigen, die auf andere und öfters kumulative<br />
Weise benachteiligt sind.<br />
Die allererste Aufgabe besteht somit in der <strong>Erwachsenenbildung</strong><br />
als Basisbildung, wobei Angebotsformate<br />
und Lehr-/Lernmethoden sich den alltäglichen<br />
Lebensumständen unbedingt anpassen müssen – und<br />
in dieser Hinsicht könnte die <strong>Erwachsenenbildung</strong> in<br />
Europa durchaus etwas lernen. Die Bildung muss zu den<br />
Menschen in ihrem Alltag gebracht werden, ihre Inhalte<br />
müssen Alltagsrelevanz besitzen und ihre Methoden<br />
müssen kulturell und sprachlich stimmig sein. Sonst<br />
können und wollen Erwachsene nicht mitmachen. So<br />
gesehen verliert die europäische Auseinandersetzung<br />
zwischen intrinsischen und extrinsischen Bildungszielen<br />
und -prozessen an Sinnhaftigkeit. Es geht um die lebensnahe<br />
Verbindung zwischen diesen beiden Größen,<br />
schlicht – um eine ganzheitliche Relevanz. So betrachtet<br />
wird es auch deutlicher, wieso Teilnahmequoten in Europa<br />
nicht höher liegen, trotz Angebotserweiterungen<br />
nicht rascher steigen und die sozialen Schieflagen bei<br />
den Teilnehmer/innen kaum abnehmen.<br />
Basisbildung ist aber nicht gleich Alphabetisierung.<br />
Politische Bildung zusammen mit Gesundheits- und<br />
Umweltbildung sind global betrachtet weitere Grundpfeiler<br />
der <strong>Erwachsenenbildung</strong>. Fundamentale Faktoren<br />
des Überlebens und der Lebensqualität stehen<br />
auf dem Spiel, ob es sich um Kindersterblichkeit, hiv-<br />
Infektion, Wasserqualität oder nachhaltiges Feldwirtschaften<br />
handelt. Nicht weniger bedeutsam ist aber die<br />
Fähigkeit und der Wille sich reflektiert und aktiv in die<br />
Gemeinschaft einbringen zu können, vor allem in sich<br />
modernisierenden gesellschaftspolitischen Konstellationen.<br />
Die ärmsten Länder dieser Welt sind zum Beispiel<br />
nicht allesamt arm an natürlich vorkommenden Ressourcen<br />
– nur stellt sich die Frage, wer von ihrer Nutzung<br />
profitiert bzw. profitieren könnte und wie ökologisch<br />
behutsam mit dieser Nutzung umzugehen wäre.<br />
Nicht wenige der bewaffneten Konflikte dieser Welt<br />
sind zumindest zum Teil Ressourcenkämpfe – so auch<br />
zum Beispiel im Norden des Landes Mali, wo Separatisten<br />
unter dem Deckmantel einer strengen Glaubensauslegung<br />
unerbittlich für die Abspaltung der Region<br />
kämpfen, wissend, dass der Boden einen unermesslichen<br />
Reichtum hergeben könnte. Das emanzipatorische<br />
Potenzial der Bildung entgeht Fundamentalisten aller<br />
Couleurs nicht: In dieser Region haben die Rebellen<br />
weitflächig Bildungseinrichtungen vollends zerstört,<br />
ob Schulen oder <strong>Erwachsenenbildung</strong>szentren. Das<br />
Mobiliar ist zerschlagen worden, die Unterrichtsmaterialien<br />
verbrannt. Die Lehrkräfte sind geflohen, die<br />
Bildungsverwaltung liegt lahm. In solchen Situationen<br />
besteht die globale Aufgabe der <strong>Erwachsenenbildung</strong><br />
im Wiederaufbau einer Bildungsinfrastruktur sowie im<br />
Wiederaufrichten bildungsfreundlicher Grundwerte.<br />
Sobald Frieden im Alltag halbwegs gesichert ist, gilt der<br />
Zugang zu und die Teilnahme an Bildung als Kernbestandteil<br />
der Stabilisierung von solchen fragilen Gesellschaften.<br />
So etwas geht kaum ohne Unterstützung von Außen,<br />
sowohl finanziell als auch mit Expertenwissen an Ort<br />
und Stelle. Die Fördermittel der Geberländer („donors“)<br />
reichen bislang bekanntlich nicht aus, noch schwieriger<br />
ist es aber, zu wissen, welche Rolle Bildungsexpert/<br />
innen dieser Länder (nicht zuletzt aus Europa) einnehmen<br />
sollten. Schließlich erbten nicht wenige Länder der<br />
Welt formale Bildungssysteme, die unter der jeweiligen<br />
Kolonialherrschaft importiert wurden. Eigene Wissensrepertoires,<br />
eigene Bildungsphilosophien und eigene<br />
Modalitäten des Lernens und Lernens wurden <strong>zur</strong>ück<br />
gedrängt und als rückständig empfunden. Postkoloniale<br />
Gesellschaften verpflichten sich zusehends, neue Kombinationswege<br />
zu gehen und dabei auf eigene Expert/<br />
innen zu rekurrieren – nur reichen diese zahlenmäßig<br />
nicht immer aus, vor allem in Ländern mit einer niedrigen<br />
Bildungsstreuung oder in durch Armut oder Konflikt<br />
belasteten Landstrichen, aus welchen qualifizierte<br />
Kräfte wegziehen.<br />
Der Schwerpunkt kolonialer Bildungssysteme lag auf<br />
Schulen und Hochschulen – die <strong>Erwachsenenbildung</strong><br />
hatte selten Priorität, jedenfalls kaum als institutionalisierter<br />
Bildungssektor. Heute können <strong>Erwachsenenbildung</strong>sangebote<br />
an einheimische Kulturtraditionen gut<br />
anknüpfen, da diese sich nichtformaler und informeller<br />
Lehr-/Lernmethoden gezielt bedienen. Auch hier könnte<br />
die <strong>Erwachsenenbildung</strong> in Europa einiges dazulernen<br />
– was wir gerade wieder entdecken, ist in weiten<br />
Teilen der Welt längst etablierte erwachsenenpädagogische<br />
Praxis. Es ist kein Zufall, dass klassische Abhandlungen<br />
zum Thema nichtformales/informelles Lernen<br />
dem Feld der Entwicklungsarbeit entstammten. Die<br />
Rahmenbedingungen lassen diese pädagogischen Ressourcen<br />
nicht optimal <strong>zur</strong> Geltung kommen. Es gibt in<br />
den ärmeren Ländern eine objektive Unterversorgung<br />
der Hardware (Gebäude, Grundausstattung, Lernmaterialien,<br />
Bibliotheken) und bei der Software (Personal,<br />
Verwaltung, Governance) leidet aufgrund un<strong>zur</strong>eichender<br />
Professionalisierung die Qualität.<br />
Was können <strong>Erwachsenenbildung</strong>sexpert/innen<br />
aus Europa sinnvoll und respektvoll beitragen? Diese<br />
Frage stelle ich mir inzwischen fast jeden Tag und<br />
komme meistens auf das, was man besser nicht tut.<br />
Seitdem ich die Bedingungen der <strong>Erwachsenenbildung</strong>sarbeit<br />
in den Ländern des globalen Südens („the<br />
global South“) vor Ort kennenlerne, empfinde ich zuallererst<br />
Respekt für ihre erstaunlich praxisbezogene<br />
Leistung und nehme wahr, wie facettenreich und kontextabhängig<br />
sich Qualität in der Bildung gestaltet.<br />
Was man vor allem nicht tun sollte, ist so zu tun, als<br />
ob wir in Europa die Bildungsexpert/innen wären und<br />
als ob europäische Bildungstraditionen – Philosophien<br />
und Theorien, Politiken und Praxen, Systeme und<br />
Methoden – eine allgemeine und bestimmende Gültigkeit<br />
hätten. Vielmehr haben wir zuzuhören und unsere<br />
eigenen Annahmen kritisch zu reflektieren, sowohl<br />
22 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 12-2013 · NR. 250