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zur Erwachsenenbildung

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Rezensionen<br />

Weltsicht und objektiver Wirklichkeit zu<br />

schlagen. Für ihn ist beides wirklich und daher<br />

vorhanden, wenn auch in anderen „Sinnfeldern“.<br />

Somit vervielfachen sich seine existierenden<br />

Objekte ins Unermessliche. Daher<br />

gibt es nichts, das alles enthalten kann. Jeder<br />

Gedanke über die Welt ist wieder nur ein Objekt<br />

in der Welt. Hier argumentiert er zum<br />

Teil analog zu Russels Typentheorie (Es gibt<br />

keine Menge, die alle Mengen und zugleich<br />

auch sich selbst enthält). Dennoch macht er<br />

Aussagen über die Welt, indem er einerseits<br />

Heidegger zitiert („Die Welt ist der Bereich<br />

aller Bereiche.“) und andererseits behauptet,<br />

dass es die Welt als Gesamtheit eben nicht<br />

gibt. Offenbar will er damit ausdrücken, dass<br />

der Bereich aller Bereiche überabzählbar unendlich<br />

und daher nicht umfassend darstellbar<br />

ist. Einen solchen Supergegenstand, der<br />

wirklich alles umfasst, kann es darum nicht<br />

geben: „Der Ausdruck »alles« bezieht sich<br />

auf nichts Bestimmtes.“ Dennoch plädiert<br />

er für eine „formale Weltunterstellung“, um<br />

Kohärenz herstellen zu können.<br />

Nach eigenem Ermessen kommt Gabriel<br />

ohne jede Metaphysik aus, die er in Reflexionen<br />

über das Weltganze verortet. Allerdings<br />

betreibt er Ontologie, ein klassischer Bereich<br />

der Metaphysik, nicht aber für Gabriel. Ohne<br />

Ontologie kommt er offensichtlich nicht aus,<br />

denn er muss die Dinge und Tatsachen, die<br />

die Welt ausmachen, Sinnfeldern zuordnen,<br />

da alles Seiende nur in einem bestimmten<br />

Sinnfeld existiert: „Der Gedanke an Schnee<br />

und Schnee gehören schlicht zwei verschiedenen<br />

Gegenstandsbereichen an.“ So versucht<br />

er mithilfe einer ontologischen Reduktion<br />

nachzuweisen, dass bestimmte Diskurse<br />

inhaltsleer („Geschwätz“) sind. Er nennt das<br />

„Irrtumstheorie“. Allerdings räumt er ein,<br />

dass auch das Geschwätz Teil der Wirklichkeit<br />

ist und somit existiert, wenn eben auch<br />

nur als Geschwätz: „Falsche Gedanken existieren,<br />

aber die Gegenstände, von denen sie<br />

handeln, kommen nicht in dem Feld vor, in<br />

dem falsche Gedanken sie verorten.“<br />

Um seinen ontologischen Pluralismus zu<br />

verteidigen, wendet Gabriel sich auch gegen<br />

die formale Logik, derzufolge Existenz offenbar<br />

immer auch mit Zählbarkeit zu tun<br />

hat. Zumindest ist sie dadurch ontologisch<br />

neutral, der Existenzquantor nimmt keinen<br />

Bezug auf irgendwelche Seinsweisen. Für<br />

Gabriel sind Sinnfelder mehr als mathematisch<br />

beschreibbare Mengen. Er greift dabei<br />

auf Freges Sinnbegriff <strong>zur</strong>ück und versucht<br />

zu zeigen, dass je nach Sinnfeld der nämliche<br />

Gegenstand als etwas ganz anderes in<br />

Erscheinung treten kann, z. B. als physikalisches<br />

Objekt, als Kunstwerk, als Bedrohung,<br />

als Wertgegenstand etc.: „Der Sinn ist die<br />

Art, wie ein Gegenstand erscheint.“ Existenzaussagen<br />

sind für Gabriel immer nur in<br />

Bezug auf ein Sinnfeld berechtigt: „Existenzaussagen,<br />

seien sie positiv oder negativ, beziehen<br />

sich immer nur auf ein Sinnfeld oder<br />

einige Sinnfelder, niemals aber auf alle und<br />

am allerwenigsten auf ein allumfassendes<br />

Sinnfeld.“<br />

Für Gabriel gibt es unendlich viele Sinnfelder<br />

mit unterschiedlichsten Eigenschaften.<br />

Die Frage, welche Sinnfelder es konkret<br />

gibt und wie sie beschaffen sind, ist seiner<br />

Meinung nach aber eine empirisch zu beantwortende.<br />

Er bezieht hier aber die Geisteswissenschaften<br />

mit ein. Jedenfalls ist für ihn<br />

die Welt erkennbar, wenn auch von einem<br />

menschlichen Standpunkt aus. Für ihn gibt<br />

es kein „Ding an sich“, einen unerkennbaren<br />

Träger der Eigenschaften, sondern die<br />

Eigenschaften selbst sind die Konstituenten<br />

der Dinge. Andererseits gibt es auch keinen<br />

neutralen Beobachtungsort, da die Erscheinungen<br />

immer auch in einem Kontext stehen,<br />

in dem der Mensch miteingebunden ist.<br />

Letztendlich ist Gabriel ein Platonist, der<br />

an real existierenden Universalien festhält.<br />

Das wird besonders deutlich, wenn er sich<br />

gegen den Nominalismus („Namen sind<br />

Schall und Rauch“) wendet. Für ihn gibt es<br />

vorhandene Strukturen, die wir begrifflich<br />

nachzeichnen. Sein Realismus sei die allgemeine<br />

Behauptung, dass es Strukturen gibt.<br />

Die doppelte These lautet, „dass wir erstens<br />

Dinge und Tatsachen an sich erkennen können<br />

und dass zweitens Dinge und Tatsachen<br />

an sich nicht einem einzigen Gegenstandsbereich<br />

angehören.“ Das ist zumindest ein<br />

Standpunkt. Ob er hält, bleibt abzuwarten.<br />

Eigenartig ist nur, dass er sich gegen die<br />

Aufklärung wendet, der er implizit vorwirft,<br />

die Welt sinnentleert gemacht zu haben.<br />

Er übersieht dabei, dass die Aufklärung die<br />

Welt zwar in gewissem Sinne entzaubert,<br />

aber zugleich den Mensch mit nüchternem<br />

Blick wieder ins Zentrum gestellt hat (man<br />

denke zum Beispiel an die Menschenrechte:<br />

Der Mensch dient nicht einem höheren Wesen,<br />

sondern sich und den Mitmenschen).<br />

Und der Antrieb für diese Entmythifizierung<br />

ist der Nominalismus. Namen (als phonetische<br />

Gebilde oder Symbole) sind aber unbestreitbar<br />

willkürlich, die Proposition dahinter<br />

vielleicht nicht (oder zumindest nicht<br />

immer). Interessant ist in diesem Zusammenhang<br />

sein Kapitel über „Sider-Welten“,<br />

indem er zu zeigen versucht, dass konstruierte<br />

„Querbegriffe“ unsinnig sind.<br />

Wider seinem Anspruch, gegen die Aufklärung<br />

zu sein, greift er doch ein altes Sujet<br />

der Aufklärung auf, nämlich die Ideologiekritik<br />

(auch wenn er sie Kritik an Weltbildern<br />

nennt). Das ist eindeutig eine aufklärerische<br />

Tugend.<br />

Obwohl mir das Buch an vielen Stellen zugesagt<br />

hat, da es Fragen aufwirft, die ich auch<br />

mir schon oft gestellt habe, hat es mich dann<br />

doch etwas befremdet, dass er die Theologie<br />

als Wissenschaft verteidigt. Er gesteht zwar<br />

ein, dass es kein höchstes Wesen und keinen<br />

Schöpfer geben kann, dennoch rechtfertigt<br />

er die Theologie als sinnstiftendes und tröstendes<br />

Unternehmen. Zugleich wirft er dem<br />

wissenschaftlichen Weltbild Fetischismus<br />

vor, ein Vorwurf, der eher Religionen trifft.<br />

Wenn ein wissenschaftliches Weltbild, das<br />

sicher nur eines unter vielen sein kann, fetischhaft<br />

wäre, wäre Wissenschaft starr und<br />

unwandelbar. Aber Wissenschaft verändert<br />

sich ständig in Auseinandersetzung mit ihren<br />

Gegenständen. Sie ist kein starres Lehrgebäude,<br />

wie z. B. die Homöopathie, und<br />

schon gar kein Weltbild. Aber zumindest<br />

räumt er ein: „Sowohl das wissenschaftliche<br />

als auch das religiöse Weltbild sind falsch,<br />

sofern es sich um Weltbilder handelt.“ Und:<br />

„Religion ist das Gegenteil einer Welterklärung.“<br />

Es gäbe sicher noch viel zu diesem Buch<br />

(er äußert sich u.a. noch zu Sinn, Kunst und<br />

Kultur) zu sagen, aber ich möchte es hiermit<br />

belassen. Lesen Sie es selbst, es zahlt sich<br />

aus. Ungewöhnlich aber spannend sind auch<br />

seine Bezugnahmen auf Kinofilme und tv-<br />

Serien (obwohl ich letztere als tv-Verweigerer<br />

nicht kenne). Insgesamt eine anregende<br />

Lektüre! //<br />

Die nächste Ausgabe der ÖVH<br />

erscheint Ende März/Anfang April<br />

und wird sich dem Schwerpunkt<br />

Qualität im Unterricht widmen.<br />

Redaktionsschluss ist Anfang<br />

März 2014.<br />

DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 12-2013 · NR. 250 — 55

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