28.02.2014 Aufrufe

Archivar 2/2013 (3 MByte) - Archive in NRW

Archivar 2/2013 (3 MByte) - Archive in NRW

Archivar 2/2013 (3 MByte) - Archive in NRW

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

161<br />

„Ich möchte e<strong>in</strong>en solchen Gedanken als die Idee e<strong>in</strong>es Graswurzelarchivs<br />

nennen, <strong>in</strong> dem es als ‚Kultur’ 5 gilt, dass verschiedene<br />

Gruppen vor Ort aus eigener Initiative ihre eigenen Quellen<br />

aufbewahren.“<br />

Um die Hervorhebung des Wortes „selbst“ oder „eigen-“ durch<br />

Andõ zu verstehen, sche<strong>in</strong>t es hier geboten, kurz auf die Erfahrung<br />

se<strong>in</strong>er Generation <strong>in</strong> den 1980er-Jahren e<strong>in</strong>zugehen. Denn<br />

damals galt das Wort „selbst“ bzw. „eigen“ als Schlüsselwort, mit<br />

dem e<strong>in</strong> entscheidender Paradigmenwechsel <strong>in</strong> der Theorie des<br />

Archivwesens <strong>in</strong> Japan <strong>in</strong> Gang gebracht wurde. Nach diesem<br />

neuen Ansatz ist der eigentliche Charakter e<strong>in</strong>es Archivs pr<strong>in</strong>zipiell<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Funktion für die Aufbewahrung und Veröffentlichung<br />

der Dokumente se<strong>in</strong>er Mutterorganisation zu sehen. Demzufolge<br />

besteht die Aufgabe und Funktion e<strong>in</strong>es Kommunalarchivs <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie dar<strong>in</strong>, für die Aufbewahrung und Veröffentlichung<br />

der amtlichen Dokumente der Gebietskörperschaft zu sorgen.<br />

Das Konzept e<strong>in</strong>es „Graswurzelarchivs“ von Andõ geht von dieser<br />

pr<strong>in</strong>zipiellen Funktionszuschreibung des Kommunalarchivs aus.<br />

Die Aufbewahrung und Veröffentlichung der lokal vorhandenen,<br />

verschiedenen historischen Dokumente sollte am ursprünglichen<br />

Ort der Dokumente der Eigen<strong>in</strong>itiative ortsansässiger kle<strong>in</strong>erer<br />

Geme<strong>in</strong>den bzw. Gruppen überlassen se<strong>in</strong>.<br />

Auf der e<strong>in</strong>en Seite stimmte se<strong>in</strong>e Idee e<strong>in</strong>es Graswurzelarchivs<br />

mit jenem pr<strong>in</strong>zipiellen Konzept übere<strong>in</strong> und lieferte somit<br />

konkrete Beweise zur Rechtfertigung für das Konzept nach dem<br />

Paradigmenwechsel. Auf der anderen Seite musste er die Realität<br />

erkennen, dass sich die vorgesehene Gründung der Kommunalarchive<br />

immer weiter verzögerte. In den 1990er-Jahren, als Andõ<br />

se<strong>in</strong> Konzept behauptete, besaßen unter ca. 3.200 Gebietskörperschaften<br />

<strong>in</strong> Japan lediglich etwa 10 ihre eigenen <strong>Archive</strong>. 6 Es<br />

fiel Andõ schwer, große Hoffnung auf die E<strong>in</strong>richtung weiterer<br />

Kommunalarchive zu setzen. Angesichts dieser Realität suchte<br />

er e<strong>in</strong>e alternative Möglichkeit <strong>in</strong> den graswurzelartigen Unternehmungen<br />

der Bürgerschaft aus Eigen<strong>in</strong>itiative. Gegen se<strong>in</strong>e<br />

Erwartung führte dies jedoch nicht dazu, dass sich Graswurzelarchive<br />

wie e<strong>in</strong> Lauffeuer <strong>in</strong> ganz Japan verbreiteten. In den 2000er-<br />

Jahren unternahm er deshalb e<strong>in</strong>e Korrektur se<strong>in</strong>es Konzepts<br />

und versuchte dessen Verwirklichung <strong>in</strong> der Praxis des Kommunalarchivs,<br />

7 so dass e<strong>in</strong>e Überschneidung mit dem Konzept e<strong>in</strong>es<br />

„Lokalarchivs“ festzustellen ist.<br />

Das Konzept e<strong>in</strong>es „Lokalarchivs“, wofür <strong>in</strong> den 1980er-Jahren<br />

Tadashi Endõ oder Osamu Takano plädierten, gilt als e<strong>in</strong> bedeutender<br />

Ansatz für das Konzept e<strong>in</strong>es Bürgerarchivs <strong>in</strong> Japan. 8<br />

Hier war e<strong>in</strong> „Lokalarchiv“ als e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>richtung def<strong>in</strong>iert, wo<br />

sämtliche lokalen Dokumente, sowohl privaten als auch amtlichen<br />

Ursprungs, die das Leben der E<strong>in</strong>wohner dokumentierten,<br />

gesammelt, aufbewahrt und für die Nutzung zugänglich gemacht<br />

werden sollten. Darüber h<strong>in</strong>aus wurde das Vorantreiben der<br />

Lokalforschung und die dauerhafte Herausgabe der lokalen<br />

Geschichte ebenso der Funktion des Lokalarchivs zugeschrieben.<br />

M<strong>in</strong>oru Takahashi, Professor am National Institute of Japanese<br />

Literature, bewertet dieses Konzept des Lokalarchivs <strong>in</strong>sofern<br />

positiv, <strong>in</strong>dem das „Lokalarchiv“ bis zum vollständigen Ausbau<br />

der Archivlandschaft <strong>in</strong> ganz Japan e<strong>in</strong>e aktive Rolle bei der<br />

Aufbewahrung und Bereitstellung zur Nutzung der vielschichtigen<br />

Dokumente <strong>in</strong> der lokalen Gesellschaft übernehmen könne. 9<br />

Ihm zufolge sei als erstes überhaupt durch die E<strong>in</strong>richtung von<br />

eigenen <strong>Archive</strong>n der zahlreichen öffentlichen und privaten<br />

Organisationen oder Körperschaften und deren Vernetzung e<strong>in</strong><br />

funktionierendes Archivwesen zu etablieren. Diese begrenzte<br />

Bewertung des Lokalarchivkonzepts sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> gängiger Konsens<br />

unter den japanischen <strong>Archivar</strong>en zu se<strong>in</strong>. 10<br />

2. Quellenaufbewahrung nach<br />

der Hansh<strong>in</strong>-Awaji-KATAstrophe 11<br />

Zur Konzeptualisierung des Bürgerarchivs waren die Erfahrungen<br />

aus der Rettungsaktivität der historischen Dokumente nach der<br />

Hansh<strong>in</strong>-Awaji-Katastrophe e<strong>in</strong>s der wichtigsten Ereignisse, welches<br />

die Aufgabe des Bürgerarchivs verdeutlichte. Am 17. Januar<br />

1995 verursachte das Großerdbeben e<strong>in</strong>e Katastrophe mit 6.437<br />

Toten und Vermissten <strong>in</strong> dem Kõbe-Hansh<strong>in</strong> Gebiet sowie auf der<br />

Awaji-Insel der Präfektur Hyõgo. Insgesamt wurden 250.000 Häuser<br />

zerstört. Ebenfalls zugrunde g<strong>in</strong>gen Quellen und Kulturschätze<br />

aus Privatbesitz. Da sich jedoch die zuständigen Abteilungen<br />

für die Quellen und Kulturschätze der kommunalen Verwaltungen<br />

zuallererst für die Inbetriebnahme der E<strong>in</strong>richtungen und die<br />

Aufrechterhaltung des allgeme<strong>in</strong>en Verwaltungsdienstes e<strong>in</strong>setzen<br />

mussten, war es extrem schwierig, Maßnahmen für die betroffenen<br />

privaten Dokumente und Kulturschätze zu veranlassen.<br />

1 Hideyuki Takatsu: Kerun shiritsu rekisi monjokan no tõkai ni tsuite (Über<br />

den E<strong>in</strong>sturz des historischen Archivs der Stadt Köln). In: Rekishigaku<br />

Kenkyū 856 (2009), S. 33-38, 58; Hideto Hiramatsu/Shūhei Inoue: Kerun shi<br />

rekiji monjokan no tõkai to sonogo. Fukkõ e no michisuji to „shim<strong>in</strong> ãkaibu<br />

kõsõ (Der E<strong>in</strong>sturz des historischen Archivs der Stadt Köln und danach.<br />

Der Weg zum Wiederaufbau und die Konzeption des „Bürgerarchivs“. In:<br />

Rekishi Hyõron 714 (2009), S. 88-97; Yuki Ikari: Kerun shi rekisi monjokan<br />

tõkai kara ich<strong>in</strong>en han. Korekara no kanõsei o chūsh<strong>in</strong> ni (Das Historische<br />

Archiv der Stadt Köln. E<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahre seit dem E<strong>in</strong>sturz. Möglichkeiten <strong>in</strong><br />

der Zukunft im Brennpunkt). In: Gendaishi Kenkyū 56 (2010), S. 71-79.<br />

2 Am 13.11.2009 wurde an der Universität Kõbe e<strong>in</strong> Workshop über den E<strong>in</strong>sturz<br />

des Historischen Archivs der Stadt Köln durch die von Prof. Hiroshi<br />

Okumura an der Universität Kõbe geleitete Forschergruppe zum Thema<br />

„Construction of Local History Document Studies Based on Historical<br />

Materials. Ma<strong>in</strong>tenance Theory at The Time of The Largescale Natural<br />

Disaster” veranstaltet. Die Beiträge des Workshops s<strong>in</strong>d bereits erschienen<br />

<strong>in</strong>: Hiroshi Okumura (Hg.): Dai nikai chiiki rekishi shiryõgaku kenkyūkai<br />

hõkoku sho (Beiträge der zweiten Sitzung des Arbeitskreises für „Chiikirekishi-shiryo-gaku“<br />

vom 13. November 2009. Zu Rettungs- und Schutzmaßnahmen<br />

von Archivalien bei Katastrophen. Deutschland und Japan im<br />

Vergleich). Kõbe 2010.<br />

3 Hiramatsu/Inoue (s. Anm. 1).<br />

4 Masato Andõ: Kusanone monjokan no shisõ (Die Idee e<strong>in</strong>es Graswurzelarchivs).<br />

Tokio 1998 (= Iwata Booklet 3).<br />

5 Ebd., S. 2.<br />

6 Andō (s. Anm. 4), S. 66. Diese Lage verändert sich bis heute nur wenig. Heute<br />

besitzen lediglich 28 von ca. 1.700 Gebietskörperschaften ihr eigenes Archiv.<br />

7 Masato Andõ: Chiiki shiryõ no katsuyõ kakudai no tameno kadai ni tsuite.<br />

„Kusanonemonjyokan“ ron sairon (Über die Erweiterung der Benutzungsmöglichkeit<br />

der lokalen Dokumente. E<strong>in</strong> neues Argument für das Graswurzelarchiv).<br />

In: Ajia no ãkaibuzu to nihon. Kiroku o mamori kioku o tsutaeru<br />

(<strong>Archive</strong> <strong>in</strong> Asien und Japan. Dokumente zu schützen, Er<strong>in</strong>nerung mitzuteilen).<br />

Tokio 2009 (= Iwata Booklet: Reihe Archiv A-13).<br />

8 Saitama ken shichõson shi hensan renraku kyõgikai (Hg.): Chiiki monjo<br />

kann setsuritsu ni mukete (Zur Gründung des Lokalarchivs). Saitama 1987.<br />

9 M<strong>in</strong>oru Takahashi: Monjokan undõ no shūhen (Umgebung der Archivbewegung).<br />

Tokio 1996.<br />

10 Gegenüber diesem beschränkten Verständnis plädierte der Verfasser <strong>in</strong> den<br />

1990er-Jahren für das Konzept des Lokalarchivs aufgrund se<strong>in</strong>er Erfahrung<br />

bei der Reform des Stadtarchivs <strong>in</strong> Amagasaki, auf die im Folgenden e<strong>in</strong>gegangen<br />

wird. Atsushi Tsujikawa: Shiryõ hozon no tameno teigen. Riyõ kõkai<br />

o jiku toshita monjokan jigyõ tenkai no kanõsei (Vorschläge zur Realisierung<br />

der Quellenaufbewahrung. Möglichkeiten für die Entfaltung e<strong>in</strong>es auf<br />

Veröffentlichung und Aufbewahrung der Quellen zentrierten Archivbetriebes).<br />

In: Rekishikagaku 136 (1994), S. 15-28.<br />

11 Es gibt viele Veröffentlichungen über die Quellenrettungsaktion <strong>in</strong> der<br />

Hansh<strong>in</strong>-Awaji-Katastrophe. Zur Aktivität des Shiryo-Nets siehe Rekishi<br />

shiryõ nettowãku: Rekishi shiryõ nettowãku katsudõ hõkokusho (Bericht<br />

über die Aktivität des Rekishi-Shiryo-Nets), Kõbe 2002.<br />

<strong>Archivar</strong> 66. Jahrgang Heft 02 Mai <strong>2013</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!