Archivar 2/2013 (3 MByte) - Archive in NRW
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bau des Lebens bewusst. Solch persönliche Begegnungen <strong>in</strong> den<br />
Katastrophengebieten führte die Aktivität des Shiryõ-Nets <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
neue Richtung. In se<strong>in</strong>en Aktivitäten orientierte das Netzwerk<br />
sich nun mehr und mehr an der Frage, wie man die eigene Geschichte<br />
gesellschaftlich verankern kann: z. B. <strong>in</strong> der Zusammenarbeit<br />
mit den E<strong>in</strong>wohnern bei der Untersuchung und Archivierung<br />
der geretteten Quellen oder durch die Veröffentlichung der<br />
Ergebnisse <strong>in</strong> Vortragsreihen oder Workshops. Oder es wurde der<br />
Versuch unternommen, für den Wiederaufbau nach der Katastrophe<br />
historische Informationen über die Geme<strong>in</strong>de anzuwerten.<br />
Man gelangte schließlich zu der Erkenntnis, dass ohne solche<br />
gesellschaftlichen Beiträge die Quellen sowohl im Alltag als auch<br />
im Katastrophenfall weder aufbewahrt noch benutzt werden und<br />
somit die Geschichtswissenschaft und ihr Engagement für die<br />
Quellen- und Kulturschatzaufbewahrung ihre Dase<strong>in</strong>sberechtigung<br />
verlieren würden.<br />
Unter den vier Aspekten der Quellenrettungsmaßnahmen<br />
be<strong>in</strong>halteten besonders der zweite und vierte Anregungen zum<br />
Konzept des Bürgerarchivs. Die Quellenaufbewahrung und<br />
-nutzung sollte nicht nur von <strong>Archive</strong>n und <strong>Archivar</strong>en getragen<br />
werden. Viel mehr können sie erst <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit Historikern<br />
und der breit <strong>in</strong>teressierten Bürgerschaft wirksam werden.<br />
Erforderlich für die Realisierung ist e<strong>in</strong> breites gesellschaftliches<br />
Verständnis für die Wichtigkeit, den Gebrauchswert und die<br />
Bedeutung der Quellen sowie deren tatsächliche Benutzung. Dies<br />
führt zur Notwendigkeit e<strong>in</strong>es neuen Verständnisses von Archiv:<br />
das Konzept e<strong>in</strong>es Bürgerarchivs, welches tief <strong>in</strong> der Gesellschaft<br />
verwurzelt ist und sich auf das Verständnis und die Mitarbeit der<br />
Zivilgesellschaft stützt.<br />
3. Praxis e<strong>in</strong>es Bürgerarchivs:<br />
Das sTAdtarchiv Amagasaki 13<br />
Das Stadtarchiv Amagasaki versteht sich als e<strong>in</strong> typisches „Lokalarchiv“.<br />
Hier werden nicht nur die städtischen Verwaltungsakten,<br />
sondern auch historische Handschriften, Dokumente der neueren<br />
Zeit, Publikationen, Stadtpläne, Fotos, Filme sowie Plakate möglichst<br />
vielfältig gesammelt, aufbewahrt und veröffentlicht. Die<br />
Schwerpunktsetzung auf der Bereitstellung und der Benutzung<br />
war allerd<strong>in</strong>gs das Ergebnis der Dienstreform <strong>in</strong> der ersten Hälfte<br />
der 1990er-Jahre. Vor der Dienstreform war die Benutzerquote des<br />
Archivs sehr ger<strong>in</strong>g. Das Archiv selbst h<strong>in</strong>terließ e<strong>in</strong>en verschlossenen<br />
E<strong>in</strong>druck, als ob man dort auf die Beratung der Benutzer<br />
kaum Wert gelegt hatte. Die meisten Benutzer, die selbst ke<strong>in</strong>e<br />
Geschichtswissenschaftler waren, zögerten, als Laien <strong>in</strong>s Archiv<br />
zu gehen. Auch wenn sie tatsächlich das Archiv besucht hätten,<br />
wären sie schon mit der Aushändigung des F<strong>in</strong>dbuches überfordert<br />
gewesen. Darüber h<strong>in</strong>aus war der Umgang der Archivmitarbeiter<br />
mit den Benutzern so bürokratisch und unfreundlich,<br />
dass nicht nur Bürger, sondern auch Beamte der Stadt und der<br />
Präfektur selten dort waren. Aufgrund des zunehmend schlechten<br />
Rufs wurde schließlich <strong>in</strong>nerhalb der Kommunalverwaltung die<br />
Existenz des Archivs <strong>in</strong> Frage gestellt.<br />
Zu Beg<strong>in</strong>n der 1990er Jahre führte diese <strong>in</strong>stitutionelle Stagnation<br />
zu e<strong>in</strong>er stockenden Herausgabe der Stadtgeschichte. E<strong>in</strong>e Änderung<br />
gab es mit dem Personalwechsel <strong>in</strong> der Archivleitung. Der<br />
neue Leiter des Archivs griff auf den Benutzungsservice für die<br />
Bürger zurück, der bereits ansatzweise durch diejenigen Mitarbeiter<br />
im Gang gesetzt worden war, welche die alte Lage kritisch<br />
betrachtet hatten. Von nun an stand, um die Benutzerquote zu<br />
verbessern, die Durchführung dieses Dienstes im Zentrum der<br />
Reformmaßnahmen. Der Schwerpunkt bei der Recherche und<br />
Nutzung des Archivs liegt auf e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>gehenden Beratung der<br />
e<strong>in</strong>zelnen Benutzer. Es kl<strong>in</strong>gt recht simpel, aber diese Dienstleistung<br />
wurde zum Grundsatz des Archivs gemacht und alle<br />
Mitarbeiter setzten sich damit ause<strong>in</strong>ander.<br />
Durch diese Dienstreform vermehrte sich die Anzahl der Anfragen<br />
und Besucher aus allen Schichten im Vergleich zum<br />
Beg<strong>in</strong>n der 1990er-Jahre um etwa 40 %. Diese Statistik ist der<br />
E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es Formulars zu verdanken, das im Rahmen der<br />
Dienstreform verpflichtend wurde. In diesem Formular werden<br />
bei e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Beratung Informationen wie der Name des<br />
Benutzers, dessen Kontaktdaten, Zugehörigkeit, Zweck sowie Inhalt<br />
der Beratung und Liste der benutzten Bestände e<strong>in</strong>getragen.<br />
Diese Daten werden jetzt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Datenbank elektronisch erfasst,<br />
so dass die Mitarbeiter des Archivs je nach Bedarf aus dieser Datenbank<br />
recherchieren und die Daten für den Dienst verwenden<br />
können. Das anfängliche Ziel der E<strong>in</strong>führung dieses Formulars<br />
war die Quantifizierung der Dienstleistung. Die Dokumentation<br />
motiviert ferner den e<strong>in</strong>zelnen Mitarbeiter, mehr Aufmerksamkeit<br />
auf den Besucherservice zu richten. Dass die <strong>in</strong> dieser Weise<br />
kumulierten Daten allen Mitarbeitern zugänglich s<strong>in</strong>d, führt zur<br />
qualitativen Verbesserung und Vere<strong>in</strong>heitlichung des Besucherdienstes.<br />
Ferner ermöglicht das System e<strong>in</strong>en Rückgriff auf ältere<br />
Rechercheergebnisse, aus denen man nicht selten Nutzen für die<br />
aktuelle Beratung ziehen kann.<br />
Angesichts diverser Nachfragen und Zwecke bei der Benutzung<br />
des Archivs sche<strong>in</strong>t es mir nicht ausreichend, wenn das Archiv<br />
e<strong>in</strong>er Gebietskörperschaft se<strong>in</strong>e Funktion nur auf die Aufbewahrung<br />
und Veröffentlichung der älteren Verwaltungsakten zur<br />
Herstellung adm<strong>in</strong>istrativer Transparenz beschränkt. Es sollte<br />
vielmehr nach der Vielfalt und dem Umfang der Sammlungen<br />
gefragt werden, die unterschiedlichen Benutzungszwecken entsprechen<br />
können.<br />
Die Tatsache, dass sich die meisten Bürger nur schwer vorstellen<br />
können, <strong>in</strong>wieweit e<strong>in</strong> Archiv für sie von Bedeutung ist, hält sie<br />
von der Benutzung des Archivs ab und erschwert das Verständnis<br />
und die Akzeptanz des Archivbetriebs. Dann ist es s<strong>in</strong>nvoll,<br />
die Bürgerschaft über verschiedene Benutzungsmöglichkeiten<br />
zu <strong>in</strong>formieren. In Amagasaki ist aus Datenschutzgründen die<br />
Benutzung der Datenbank von Benutzeranfragen nur im Lesesaal<br />
12 Toshihiko Takamoku: Rekishi kenkyūsha wa mazu ãkibisuto tare (Historiker<br />
sollen zugleich <strong>Archivar</strong> se<strong>in</strong>!). In: Chihõshi Kenkyū 275 (1998), S. 94-97.<br />
13 Me<strong>in</strong>e bisherigen Veröffentlichungen zu diesem Thema: vgl. Atsushi Tsujikawa:<br />
Chiiki shakai ni okeru monjokanjigyõ no yakuwari. Jidai no nīzu seisaku<br />
teki ichizuke (Die Rolle des Archivs <strong>in</strong> der Lokalgesellschaft. Nachfrage<br />
der Zeit, Positionierung <strong>in</strong> Bezug auf Politik). In: Kiroku to Shiryõ 5 (1994),<br />
S. 4-12; Ders., Jichitai shi hensan no sai kentõ. Amagasaki no jirei kara (Die<br />
nochmalige Überprüfung der Herausgabe der Kommunalgeschichte. Aus<br />
den Beispielen <strong>in</strong> Amagasaki). In : Rekishi Hyrõn 598 (2000), S. 36-50; Ders.<br />
zusammen mit Hiroshi Okumura und Yoshihiro Baba: Shim<strong>in</strong> shakai ni<br />
okeru shirõhozon to rekishigaku. Hansh<strong>in</strong> Awaji dai sh<strong>in</strong>sai to rekishigaku<br />
(Quellenaufbewahrung und Geschichtsforschung <strong>in</strong> der Zivilgesellschaft.<br />
Hansh<strong>in</strong>-Awaji-Katastrophe und Geschichtsforschung). In: Rekishigaku<br />
Kenkyū 738 (2000), S. 33-45; Ders., Shim<strong>in</strong> ga tsudou shiryõ kann. Amagasaki<br />
shiritsu chiiki kenkyū shiryõ kann ni manabu (Das Archiv, wo Bürger<br />
sich treffen). In: Samukawa chõ shi kenkyū 22 (2009), S. 90-104; Ders., Amagasaki<br />
no shiryõ kann jigyõ to henshū jigyõ (Der Betrieb des Stadtarchivs<br />
<strong>in</strong> Amagasaki und die Herausgabe der Stadtgeschichte). In: Dai ikkai chiiki<br />
shi sõyoriai hõkoku shū (Bericht über das erste Treffen zur Erforschung der<br />
Lokalgeschichte). Hg. v. Iida shi rekishi kenkyū sho. Iida 2010, S. 53-62.<br />
<strong>Archivar</strong> 66. Jahrgang Heft 02 Mai <strong>2013</strong>