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Archivar 2/2013 (3 MByte) - Archive in NRW

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167<br />

gierung im Jahr 2002 auf „1 % des gesamten, <strong>in</strong> Landesbehörden<br />

anfallenden Schriftguts“festgelegt. 15 Die Kassationsquote im<br />

Landesarchiv <strong>NRW</strong> beträgt im Umkehrschluss 99%. Im RLA ist<br />

diese mit ca. 10 % deutlich ger<strong>in</strong>ger zu beziffern. 16 Die Akquise<br />

von Beständen verläuft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Literaturarchiv naturgemäß<br />

anders als <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em staatlichen Archiv. Im Geschäftsgang des<br />

RLA f<strong>in</strong>det ke<strong>in</strong>e automatische und regelmäßige Ablieferung von<br />

Archivgut durch e<strong>in</strong>e abgebende Stelle statt – im Erwerbungsprozess<br />

nimmt das Archiv e<strong>in</strong>e aktive Rolle e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>em Archiv auf<br />

kommunaler Ebene ist es mitunter möglich, die Arbeitsweise e<strong>in</strong>er<br />

Behörde exemplarisch anhand von Beispielakten abzubilden,<br />

da sich e<strong>in</strong>e solche Überlieferung oftmals aus Masseschriftgut<br />

zusammensetzt. Diese Überlieferungsform ist für e<strong>in</strong> Literaturarchiv<br />

undenkbar, da es sich bei Nachlassmaterial im Regelfall um<br />

e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>haltlich e<strong>in</strong>zigartige Überlieferung handelt. Anhand nur<br />

e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zigen Manuskripts ließe sich etwa die Arbeitsweise e<strong>in</strong>es<br />

Schriftstellers nur unzureichend herleiten.<br />

Untersucht man die Bestandsgruppen e<strong>in</strong>es Nachlass h<strong>in</strong>sichtlich<br />

ihres Kassationspotenzials, zeigt sich, dass dies lediglich im Bereich<br />

der Sammlung vorhanden ist. 17 Typische Bestandteile dieser<br />

Nachlassebene s<strong>in</strong>d z. B. Zeitungsausschnittsammlungen, Programmhefte<br />

oder Recherchematerial. Bei e<strong>in</strong>igen dieser Materialien<br />

ist davon auszugehen, dass sie an anderer Stelle bereits überliefert<br />

s<strong>in</strong>d; so werden etwa Ausgaben e<strong>in</strong>er regionalen Zeitung<br />

<strong>in</strong> der Stadtbibliothek oder im Stadtarchiv zu f<strong>in</strong>den se<strong>in</strong>. Neben<br />

dem re<strong>in</strong>en Informationswert gibt der Sammlungsbereich jedoch<br />

Auskunft zu Forschungsschwerpunkten des Schriftstellers – der<br />

Evidenzwert e<strong>in</strong>er Mehrfachüberlieferung ist zu berücksichtigen.<br />

Sollten die Materialien handschriftliche Anmerkungen oder Widmungen<br />

enthalten, so ist die Aufbewahrung une<strong>in</strong>geschränkt zu<br />

empfehlen. In den weiteren Bestandsebenen ist e<strong>in</strong>e Kassation <strong>in</strong><br />

den seltensten Fällen anzuwenden: Manuskripte stellen <strong>in</strong> puncto<br />

Entstehungsprozess e<strong>in</strong>e unverzichtbare Quelle dar, unveröffentlichte<br />

Werke komplettieren das Œuvre e<strong>in</strong>es Schriftstellers.<br />

Im RLA ist die Korrespondenz der am häufigsten nachgefragte<br />

Nachlassbestandteil. 18 Nicht zuletzt die umfangreichen biographischen<br />

Informationen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Briefwechsel enthalten<br />

s<strong>in</strong>d, stellen e<strong>in</strong>e ergiebige Quelle für die Forschung dar. 19 Im<br />

Bereich der Lebensdokumente s<strong>in</strong>d persönliche Unterlagen<br />

e<strong>in</strong>es Schriftstellers – Urkunden, Ausweise, Tagebücher, Notizhefte,<br />

Quittungen, Fotos etc. – überliefert. Anhand statistischer<br />

Erhebungen lässt sich die Benutzungsfrequenz e<strong>in</strong>es Nachlass<br />

nachvollziehen. Das RLA verwahrt circa 160 Vor- und Nachlässe,<br />

wobei etwa e<strong>in</strong> Drittel der Bestände seit Bestehen des Archivs<br />

nie oder nur selten genutzt wurde 20 . E<strong>in</strong>e Ursache kann dar<strong>in</strong><br />

bestehen, dass e<strong>in</strong>ige Bestände unzureichend erschlossen s<strong>in</strong>d.<br />

Bevor e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem Thema Nachkassation<br />

e<strong>in</strong>setzt, muss sichergestellt se<strong>in</strong>, dass die Nachlässe sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

angemessenen Erschließungszustand bef<strong>in</strong>den. Die Ordnung und<br />

Erschließung e<strong>in</strong>es Nachlasses ist die Grundvoraussetzung für<br />

e<strong>in</strong>e externe Nutzung.<br />

Kassationspraxis <strong>in</strong> deutschen<br />

LiterATurarchiven<br />

In diesem Kapitel werden die Anwendungsformen der Kassation<br />

<strong>in</strong> deutschen Literaturarchiven zusammengetragen. E<strong>in</strong> spezifischer<br />

Fragenkatalog wurde hierzu sieben Literaturarchiven<br />

zur Beantwortung übergeben. 21 Der Fragebogen umfasst fünf<br />

Fragen, die e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die dortigen Kassationsabläufe<br />

gewährleisten. Die erste Frage diente der Feststellung, ob <strong>in</strong> den<br />

befragten Literaturarchiven generell Kassation von Nachlassmaterial<br />

stattf<strong>in</strong>det. Wenn möglich, sollte der Umfang des kassierten<br />

Materials angegeben werden. Bei der Auswertung der Antworten<br />

wird deutlich, dass e<strong>in</strong>e Kassation von allen Literaturarchiven<br />

verantwortungsbewusst und zurückhaltend praktiziert wird. Im<br />

Fritz-Hüser-Institut (FHI) wird extrem selten kassiert, „wirklich<br />

nur absolut Marg<strong>in</strong>ales, und bei ger<strong>in</strong>gstem Zweifel entweder<br />

der Nachlasser gefragt oder dann doch e<strong>in</strong>fach aufbewahrt“. 22<br />

Kathar<strong>in</strong>a Tiemann gibt den Kassationsumfang im Westfälischen<br />

Literaturarchiv (WLA) als relativ kle<strong>in</strong> an. 23 Auch im Literaturarchiv<br />

der Akademie der Künste (ADK) „gibt es Situationen, <strong>in</strong><br />

denen man zunächst mehr Material übernimmt, als letztlich<br />

aufzubewahren ist“. 24 Für die Monacensia, das Literaturarchiv<br />

der Stadt München, ist die Kassation „e<strong>in</strong> dr<strong>in</strong>gend notwendiger<br />

Arbeitsschritt bei der Nachlasserschließung.“ 25 Der Umfang des<br />

kassierten Materials differiert stark: „Es gibt deshalb e<strong>in</strong>e Bandbreite<br />

von e<strong>in</strong>em bis zu fünf Prozent.“ 26 Im Goethe- und Schiller-<br />

Archiv (GSA) f<strong>in</strong>det ke<strong>in</strong>e Kassation im eigentlichen S<strong>in</strong>ne statt.<br />

Lediglich im Vorfeld der Bewertung e<strong>in</strong>er Schenkung oder e<strong>in</strong>es<br />

Ankaufs wird entschieden, „bestimmte Teile e<strong>in</strong>es Nachlass gar<br />

nicht erst <strong>in</strong>s Archiv zu übernehmen.“ 27<br />

3 Assmann, Aleida: Er<strong>in</strong>nerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen<br />

Gedächtnisses, 4. Aufl., München 2009, S. 345-346.<br />

4 Ebd.<br />

5 Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen (RNA), Berl<strong>in</strong> u.<br />

a., 2010, S. 9.<br />

6 Haase, Carl: Studien zum Kassationsproblem, <strong>in</strong>: Der <strong>Archivar</strong> 29 (1976), S.<br />

193.<br />

7 Vgl. Hanke, Ullrich Christoph: Nachkassationen. Überlegungen zu e<strong>in</strong>em<br />

archivischen Tabubruch, Marburg, 2006, S. 18.<br />

8 Vgl.: http://www.lwl.org/LWL/Kultur/liko/literaturarchiv/grundsaetze.<br />

9 Zeller, Bernhard: Die Nachlaß-Sammlung des Deutschen Literaturarchivs,<br />

<strong>in</strong>: Kussmaul, Ingrid: Die Nachlässe und Sammlungen des Deutschen Literaturarchivs<br />

Marbach am Neckar. E<strong>in</strong> Verzeichnis, Marbach am Neckar,<br />

1983, S. 12.<br />

10 Ebd.<br />

11 Schenk, Dietmar: Kle<strong>in</strong>e Theorie des Archivs, Stuttgart 2008, S. 81.<br />

12 Müller, Lothar: Don Quijote im Sortenlager. Der Pakt des Archivs mit dem<br />

Papier, <strong>in</strong>: Denkbilder und Schaustücke. Das Literaturmuseum der Moderne,<br />

Marbach, 2006, S. 55.<br />

13 Vgl. Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen (RNA), Berl<strong>in</strong><br />

u. a., 2010, S. 11-12.<br />

14 Haase, Kassationsproblem (s. Anm. 6), S. 193.<br />

15 Re<strong>in</strong><strong>in</strong>ghaus, Wilfried: Das Landesarchiv Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen. Entstehung,<br />

<strong>in</strong>terne Organisation, Aufgaben und aktuelle Ziele, <strong>in</strong>: Der <strong>Archivar</strong> 57<br />

(2004), S. 296.<br />

16 Vgl. Pilger, Andreas: Interview mit der Leiter<strong>in</strong> des He<strong>in</strong>rich-He<strong>in</strong>e-Instituts<br />

Sab<strong>in</strong>e Brenner-Wilczek zum archivischen Berufsbild, <strong>in</strong>: <strong>Archivar</strong> 63 (2010),<br />

S. 388.<br />

17 Vgl. Moisy, „Werft jenen Wust verblichner Schrift <strong>in</strong>s Feuer…“ (s. Anm. 1), S.<br />

141-144.<br />

18 Circa 90 Prozent der Benutzeranfragen beziehen sich auf Korrespondenzen,<br />

die <strong>in</strong> den Beständen des RLA überliefert s<strong>in</strong>d.<br />

19 Im Nachlass des Düsseldorfer Schriftstellers und Dramatikers Herbert Eulenberg<br />

(1876-1949) s<strong>in</strong>d etwa Briefe von über 450 verschiedenen Absendern<br />

überliefert, darunter so bedeutende Schriftsteller wie Thomas Mann, Lion<br />

Feuchtwanger oder Gerhart Hauptmann.<br />

20 Das RLA bef<strong>in</strong>det sich im He<strong>in</strong>rich-He<strong>in</strong>e-Institut der Landeshauptstadt<br />

Düsseldorf, welches 1970 aus der Handschriftenabteilung der ehemaligen<br />

Landes -und Stadtbibliothek Düsseldorf hervorgegangen ist.<br />

21 Auf den Fragebogen reagierten fünf von sieben Literaturarchiven: Das Goethe-<br />

und Schiller-Archiv der Klassik Stiftung Weimar, das Fritz-Hüser-Institut<br />

für Literatur und Kultur der Arbeitswelt, das Literaturarchiv der Akademie<br />

der Künste, das Westfälische Literaturarchiv des Landschaftsverband<br />

Westfalen-Lippe sowie das Literaturarchiv der Monacensia. Die Kassationspraxis<br />

im Deutschen Literaturarchiv Marbach sowie dem Literaturarchiv<br />

Sulzbach-Rosenberg e.V. konnte – mangels Reaktion auf den Fragenkatalog<br />

– leider nicht berücksichtigt werden.<br />

22 E-Mail von Johanna-Elisabeth Palm an den Verfasser, 5. Dezember 2012.<br />

23 E-Mail von Kathar<strong>in</strong>a Tiemann an den Verfasser, 22. November 2012.<br />

24 E-Mail von Sab<strong>in</strong>e Wolf an den Verfasser, 16. November 2012.<br />

25 E-Mail von Frank Schmitter an den Verfasser, 19. November 2012.<br />

26 Ebd.<br />

<strong>Archivar</strong> 66. Jahrgang Heft 02 Mai <strong>2013</strong>

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