Zeitschr. 1+2/2002 - SVG Koblenz
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Arbeits- und Sozialrecht<br />
ARBEITS- UND SOZIALRECHT<br />
Bekenntnis zur Sozialen<br />
Marktwirtschaft<br />
Ludwig-Erhard-Lecture<br />
mit Kardinal Lehmann<br />
Die Soziale Marktwirtschaft ist mit<br />
der christlichen Soziallehre vereinbar<br />
und wird von der Kirche unterstützt –<br />
das betonte Karl Kardinal Lehmann,<br />
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz,<br />
bei der Ludwig-Erhard-Lecture<br />
am 13. Juni <strong>2002</strong> in Berlin. Er<br />
sprach auf Einladung der „Initiative<br />
Neue Soziale Marktwirtschaft – Chancen<br />
für alle“ und unterstrich vor allem<br />
die geistigen Grundlagen dieses Ordnungsmodells,<br />
das sich nicht zuletzt<br />
aus christlichen Impulsen heraus nach<br />
dem 2. Weltkrieg entwickelt hat.<br />
„Versöhnung“<br />
Die Enzyklika „Centesimus annus“<br />
von Papst Johannes Paul II. hat 1991<br />
die endgültige Annäherung zwischen<br />
der Sozialen Marktwirtschaft und der<br />
katholischen Soziallehre gebracht und<br />
geradezu eine Versöhnung herbeigeführt,<br />
erläuterte Lehmann. Sie bejaht<br />
den freien Markt und seine positive<br />
Rolle und anerkennt die freie Kreativität<br />
des Menschen im Bereich der Wirtschaft;<br />
sie würdigt die fundamentale<br />
Rolle des Unternehmers und stellt<br />
dem überdehnten Wohlfahrtstaat das<br />
Subsidiaritätsprinzip gegenüber. Es<br />
genüge nicht, zu meinen, Soziale<br />
Marktwirtschaft sei Marktwirtschaft<br />
plus Sozialpolitik, unterstrich der Kardinal:<br />
„Manche ziehen daraus die Konsequenz,<br />
die Marktwirtschaft sei um so<br />
sozialer, je mehr umverteilt werde.“<br />
Dies wäre aber ein unhaltbares Missverständnis:<br />
Das Leitbild der Sozialen<br />
Marktwirtschaft beinhaltet vorrangig<br />
die Grundsätze von Selbstverantwortung<br />
und Subsidiarität.<br />
Der Staat hilft dem Einzelnen, wenn<br />
dieser aus eigener Kraft nicht dazu in<br />
der Lage ist. Umgekehrt heißt dies jedoch<br />
auch, dass die sozialpolitische<br />
Unterstützung bei einem steigenden<br />
allgemeinen Wohlstand nicht wachsen<br />
kann, sondern eher zurückgenommen<br />
werden muss, führte Lehmann aus.<br />
Der moralische Wert der Sozialen<br />
Marktwirtschaft liegt darin, dass das<br />
einzelne Individuum mit seinen Fähigkeiten<br />
und seiner Verantwortung zur<br />
Geltung kommt, aber auch die soziale<br />
Gerechtigkeit des Gemeinwohls nicht<br />
aus dem Auge gelassen wird.<br />
Eigennutz = Egoismus?<br />
Außerdem dürfe der Markt nicht immer<br />
mit ethisch negativen Eigenschaften<br />
belegt werden. Eigennutz sei nicht<br />
dasselbe wie Egoismus: Der Einzelne<br />
will seine Existenz sichern und materiell<br />
und ideell verbessern. In diesem Sinne<br />
gehöre das Streben nach Existenzsicherung,<br />
Wohlstand und Anerkennung<br />
zur menschlichen Realität, sei<br />
aber ohne Wettbewerb nicht möglich,<br />
der auch Innovationen fördert. „Ein solches<br />
Selbstinteresse darf nicht einfach<br />
mit einer verwerflichen egoistischen<br />
Selbstliebe identifiziert werden.“ Lehmann<br />
forderte zu dem Vertrauen auf,<br />
„dass die Freiheit im ganzen mehr Dynamik<br />
zum guten als zum schlechten<br />
auslösen wird“. Dennoch müsse unserem<br />
Streben immer auch die sozialethische<br />
Verantwortung „eingeimpft“ werden.<br />
Hier setze die Verantwortung des<br />
Staates ein. Die ständige Bemühung<br />
um Ausgleich sei eine eminente geistige<br />
und ethische Aufgabe.<br />
Kein Neoliberalismus<br />
Lehmann warnte zum einen davor,<br />
die Marktwirtschaft für Fehlentwicklungen<br />
verantwortlich zu machen, die gerade<br />
nicht aus ihr selbst, sondern im<br />
Gegenteil aus eklatanten Verstößen<br />
gegen das Prinzip von Angebot und<br />
Nachfrage entspringen, z. B. durch die<br />
lähmende Wirkung vielfältiger Regulierungen.<br />
Er mahnte aber auch in die<br />
andere Richtung, die „Neue Soziale<br />
Marktwirtschaft“ solle nicht verwechselt<br />
werden mit einer Imprägnierung<br />
der ursprünglichen Sozialen Marktwirtschaft<br />
durch einen „kräftigen Schuss<br />
Neoliberalismus“. Der Reformeifer<br />
müsse sich auch auf Fehlentwicklungen<br />
in Bereichen der Globalisierung<br />
beziehen, vor allem mit Blick auf die<br />
Börsen, die Rolle der internationalen<br />
Finanzmärkte und die Shareholder-<br />
Value-Mentalität.<br />
Kirche und Wirtschaft<br />
Für das weitere Gespräch zwischen<br />
Kirche und Wirtschaft nannte Lehmann<br />
drei Punkte:<br />
1. Das Wahrnehmungsvermögen für<br />
die längerfristigen Folgen des technologisch-organisatorischen<br />
Fortschritts<br />
müsse geschärft werden.<br />
2. Die Wirtschaft lebe und wirke in<br />
einer Kultur und ihrer alltäglichen<br />
Lebenswelt und müsse deshalb<br />
auch Sorge tragen für „bewahrenswerte<br />
Überlieferungen und grundlegende<br />
Spielregeln menschlichen<br />
Lebens“.<br />
3. Die Arbeit sei nicht das Letzte; der<br />
Mensch brauche auch feste Maßstäbe<br />
jenseits des Herstellungsprozesses.<br />
Viele „Brücken“ zwischen Kirche<br />
und Wirtschaft, zwischen Ethik und<br />
Ökonomie seien neuerdings geschlagen<br />
worden, stellte der Kardinal fest<br />
und rief dazu auf, sie noch „entschlossener<br />
als bisher zu beschreiten“.<br />
Dieses uneingeschränkte Bekenntnis<br />
der Kirche zur Sozialen Marktwirtschaft<br />
wurde von den Zuhörern<br />
dankbar wahrgenommen. Konkretere<br />
Äußerungen zu einzelnen Reformschritten<br />
vermied Lehmann allerdings.<br />
Auch die drei Thesen zum Verhältnis<br />
von Kirche und Wirtschaft kamen über<br />
Andeutungen nicht hinaus. Das weitere<br />
Gespräch zwischen Kirche und<br />
Wirtschaft muss daher nun gesucht<br />
werden.<br />
Quelle: BDA-AK, Kirche und Wirtschaft 3/02<br />
Familienpolitik:<br />
vom Schattendasein zum<br />
gesellschaftspolitischen<br />
Megathema<br />
Familienpolitik ist unversehens zu<br />
einem gesellschaftspolitischen Megathema<br />
avanciert. Zahlreiche Entscheidungen<br />
des Bundesverfassungsgerichts<br />
in den letzten Jahren haben den<br />
Boden für diesen Sinneswandel bereitet,<br />
indem zum Beispiel die jeweilige<br />
Berücksichtigung von Kindern im<br />
Steuersystem. (Existenzminimum in<br />
der Einkommensteuer) und den Sozialsystemen<br />
(Kindererziehungsleistungen<br />
in der gesetzlichen Pflegeversicherung)<br />
als unzureichend und verfassungswidrig<br />
eingestuft wurden.<br />
Es ist daher nicht verwunderlich,<br />
dass sich nun im Vorwahlkampf sämtliche<br />
Parteien darin überbieten, neue<br />
22 <strong>SVG</strong>R 9+10/<strong>2002</strong>