pdf (1104 KB) - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg
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die es geschafft haben. Die Spuren des Krieges sind noch nicht getilgt, aber die<br />
Stimmung ist dank des „Wirtschaftswunders“ prächtig. Moskau läßt auf Initiative von<br />
Konrad Adenauer die letzten 10.000 Kriegsgefangenen wieder frei, eine humanitäre<br />
Aktion, die auch 12 Jahre später in repräsentativen Umfragen als die herausragende<br />
Leistung des Kanzlers benannt wird. Am 4. Juli 1954 wird das auf dem Schlachtfeld des<br />
Krieges geschlagene Deutschland Fußballweltmeister. Die Nation torkelt im Fußballglück,<br />
die britische Presse mutmaßt in ihren Schlagzeilen eine heimliche „Rache für Stalingrad“.<br />
Die sich formierende Freizeit-Nation sublimiert auf dem Rasen den verlorenen Krieg und<br />
zeigt ihre Zähne. Die Sprache der Fußballmatadore ist verräterisch wie eh und je. Was<br />
der Krieg verwehrt hat, erlaubt das runde Leder: dem Rest der Welt zu zeigen, daß die<br />
Nation (mindestens) in einer Disziplin unbesiegbar ist. Die Schlachtenbummler verstehen<br />
es so, der martialisch sprechende Reporter des Tages, Herbert Zimmermann, ohnehin,<br />
und die hypnotisierten Fußballer auf dem Platz ebenfalls.<br />
Fritz Walter erinnert sich:<br />
Auf engstem Raum spielen wir einander zu. Vergeblich warten die Ungarn auf Steilpässe oder<br />
weite Flanken. Nur wenn wir angegriffen werden, geben wir den Ball zu einem freistehenden<br />
Mann, nach vorn, zur Seite oder auch zurück. Eine sportlich durchaus korrekte Form, gut über<br />
die Zeit zu kommen. Niemand wird uns das verdenken. Natürlich erkämpfen sich auch die<br />
Ungarn den Ball wieder und stürmen dann mit letzter Kraft noch einmal gegen das Tor.<br />
Zwei Minuten noch. Eine Minute noch. Da bekommt Czibor bei einem überraschenden<br />
Flankenwechsel halbrechts in Strafraumhöhe den Ball. Er wird ihm direkt auf den Fuß serviert.<br />
Mir steht vor Schreck fast das Herz still. Jetzt, jetzt ist es passiert! denke ich, als Czibor aus<br />
sieben, acht Metern einen Mordsschuß losläßt. Er zielt in die kurze Ecke, auf die sich Toni zum<br />
Glück konzentriert. Blitzschnell geht unser Düsseldorfer zu Boden und befördert in fliegender<br />
Parade den Ball mit beiden Fäusten in Richtung Eckfahne. Ebenso schnell setzt Werner<br />
Kohlmeyer hinterher und will das Leder zum Linksaußen schlagen. In der Drehung rutscht es<br />
ihm ab ins Aus. In diesen Sekunden stand unser Sieg auf des Messers Schneide. Einwurf der<br />
Ungarn. Ich fange den Ball ab, versuchte ihn nach vorn zu schlagen. Aber das nasse Leder<br />
rutscht wieder ins Aus. Ist denn noch nicht Schluß? Schiedsrichter Ling müßte jetzt abpfeiffen.<br />
Ob er wegen Tonis Verletzung nachspielen läßt? Die Ungarn führen den Einwurf aus. In diesem<br />
Augenblick höre ich - Mister Ling steht nur ein paar Meter von mir entfernt - den ersehnten<br />
Schlußpfiff. Das Spiel ist aus! Das Unglaubliche ist wahr, das Unerwartete Wirklichkeit! Der<br />
Fußball-Weltmeister 1954 heißt Deutschland. 119<br />
119Zitiert in:Siepmann, Eckhard (Hrsg.), 1988, S. 441.<br />
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