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pdf (1104 KB) - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Das Kabarett verfolgt als Gattung keine Doktrin. Es ist gemütvoll, eifernd, ätzend, auch<br />

langweilig, wenn die Sprache versagt. Es gibt sich oft parteilich und mit Bedacht<br />

weltverbessernd. Dort, wo bestallte oder unbestallte Zensoren mit der Schere Hand<br />

anlegen, lohnt es sich allemal zuzuhören. Der Griff nach dem freien Wort, unter den<br />

Bedingungen der Diktatur üblich, beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk keineswegs<br />

abgeschafft und durch den Begriff „Ausgewogenheit“ entschuldigt, hat unter allen<br />

Regierungsformen Tradition. Das obrigkeitsstaatliche Verbot der spöttelnden oder<br />

kritischen Nachricht, der Eingriff in den literarischen und künstlerischen Prozeß, in letzter<br />

Konsequenz Berufsverbot oder gar Inhaftierung in Gefängnis oder Konzentrationslager,<br />

gehören zum extremsten Risiko für die Künstler. Die Nationalsozialisten haben die Kritiker<br />

der braunen Herrschaft und die Herolde der Freiheit unversöhnlich verfolgt, geschunden<br />

und eingepfercht. Dort, im Angesicht der Todesfabriken, hatten die inhaftierten<br />

Kabarettisten, Komiker, Coupletsänger und Varietékünstler ihre Peiniger und Schlächter<br />

zu unterhalten. Die Gedemütigten haben es getan, weil der makabre Totentanz zumindest<br />

für die Dauer des Vortrags vor den Nachstellungen der Wachmannschaften schützte.<br />

Überlebende Kabarettisten aus Theresienstadt oder Auschwitz berichten<br />

übereinstimmend von dieser allerletzten Möglichkeit, sich der Identität und eigenen<br />

Menschenwürde durch das Spiel auf der Lagerbühne zu versichern. Das Kabarett in<br />

Ketten zeigt in einem verheerenden Umkehrschluß den Zusammenstoß von<br />

blutgewordener Politik und entlarvender Menschlichkeit. Die Henker besahen sich<br />

genüßlich den Spiegel, den die Sänger im grausigen End-Spiel ihnen vorhielten.<br />

Die Wirkung gefesselter Diseusen, Kabarettisten und satirischer Gedanken ist im 20.<br />

Jahrhundert niemals fataler unter Beweis gestellt worden. Der Zug der Komödianten hat<br />

unter den Bedingungen des Schafotts die brutalste Verschränkung von Gewaltpolitik und<br />

Literatur durchlitten. Das aufklärende, liberale und freie Wort, das unterhaltliche Lied, das<br />

Maskenspiel des Clowns, sie kulminieren hier in einem deutschen Extrem. Jede<br />

Auseinandersetzung mit dem Genre hat daran zu erinnern. Die Abrechnung heutiger<br />

Kabarettisten mit Mißständen in Politik und Gesellschaft verkümmerte ohne diesen<br />

notwendigen Reflex zur folgenlosen Unterhaltungskunst saturierter Spaßvögel im<br />

Windschatten des Fernsehens. Die Verschränkung von Krieg und Humanitas, Gewalt und<br />

oppositioneller Arbeit für Frieden und Menschenwürde ist in der kurzen Geschichte des<br />

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