http://www.mediaculture-online.de Ich habe folgende Beobachtung gemacht ... muß ich Ihnen schildern, weil - das ist interessant: Ein Russe, ein weiblicher, beugt sich über einen so winzigen, klitzekleinen Russen ... So a gewindelter Russe, net wahr. Und ich mein, sprachlich kann ichs nicht so, aber ich versuchs. Er sagt da zu dem kleinen Russen: „Guggugguggug, dadadada“. Und dieser kleine Russe, der hat gestrahlt! Dem is der Diezl ausm Mund gfalln. Der war restlos begeistert. Was er nicht mag, der Russe, des is der Krieg, den mag er gar net - interessanterweise. Den lehnt er direkt ab. Ma könnt sagn, er hat Angst davor. Aber wissen Sie, des is des, was ma dazu sagn kann. Die haben Angst. Und drum frag ich Sie: Wenn dieser Russe kommt ... verstehn Sie ... wissen Sie, was dann los ist? - Der Russe, wenn er kommt, dann is er da. Gerhard Polt, 1984 172 Das Gespenst des Pazifismus Vitus Maria Deutelmoser entnimmt seiner Mappe einen Apfel, beißt hinein und räsoniert. Deutelmoser: Jetzt werd ich doch A 13, im Staatsdienst, gel. Da is überraschend eine Stelle freiworden, weil, es hat sich herausgestellt, daß der ander a Pazifist gwesen waar. Der hat sich öffentlich dazu bekannt, ohne das geringste ah, Schamgefühl, sagn mir mal. Ja, des hat doch keinen Sinn, daß man so jemand hinläßt. A 13, diese Position, und dann so a Einstellung, des geht doch net, da is doch der Pazifismus fehl am Platz. Weil simmer uns doch amal ganz ehrlich: Unsere Friedenssituation, des is doch eindeutig nur das Verdienst vom Militär. - Im Osten genauso. I will da gar nichts beschönigen. Da werd der Pazifist sogar - huit, Sie verstehen, de wissen genau, warumsn eisperrn, i muaß sagn, da kimmt er bei uns no direkt guat weg. Jetzt stelln Sie sich amal vor, mir hätten in der gesamten Welt lauter so Pazifisten, und nacherd kimmt der Ernstfall: Dann stehen sich Ost und West einander praktisch wehrlos gegenüber und dann bumsts, dann hammem Krieg. Denn diese Pazifisten habn ja noch nie an Krieg verhindert. Oder können Sie mir irgend einen Krieg nennen, den wo die verhindert hätten? - Eben. Und im Krieg selber sans praktisch so gut wie ein Ausfall, direkt eine Schwächung, und hinterher schlau daherreden, net, des kann ajeder. I moan, was so einer privat macht, des is dem seine Privatsache, gut, Schwamm drüber. Aber im öffentlichen Dienst waar er annähernd ein Schädling, und des haben die im Verwaltungsgericht ihm auch prompt anerkannt. - Er soll ja gsagt habn. Ost und West waar net desselbe, aber er hat überhaupt nix Eindeutiges gegan Osten direkt gsagt, und des is doch eine gefährliche Tendenz, wenn man so einen dann hi laßt. Bitte, ich mein, als Entschuldigung hat er angführt, daß sei Vater a Pfarrer war oder so, aber wenn die Kirche schon solche Gedanken aussprengt, na muaß ich ihm darauf verweisen, daß mir hier leben, hier, net in Wolkenkuckucksheim - Sie sehng ja, wer den Posten kriagt hat. Also i muaß schon sagn, mit diesem Pazifismus kimmr er net weit, jedenfalls nicht zum Staat. Gerhard Polt, Hanns Christian Müller: Da schau her, 1984 173 172Polt, Gerhard/Biermösl Blosn, CD 33.624; auch in: Hildebrandt, Dieter, Müller, Hanns - Christian, Krieger Denkmal, 1984, S. 78ff. 173Polt, Gerhard, Müller, Hanns-Christian, Da schau her, 1984, S. 23f 214
http://www.mediaculture-online.de Die Ansprache im Dialekt - als Berliner Schnauze wie Günter Neumann, als „Schlesischer Schwan“ wie Ludwig Manfred Lommel, als schwäbischer Nörgler wie Willy Reichert, als kritische Instanz wie Polt oder Keuler - läßt sich für die Ablichtung subjektiv erlebten Unglücks oder sozialen Leids, in der Wirkung intensiv und „zudringlich“, ganz vorzüglich nutzen. Die Mundart demaskiert nicht nur Protagonisten, sie erlaubt auch den Blick in bedrohte Innenräume, auf den Zustand der psychischen Verunsicherung durch Arbeitslosigkeit zum Beispiel. In diesem Kontext haben Joana Emetz und Joy Fleming 1986 mit dem Chanson Butzekrampele ein ansprechendes Lied kreiert. Der Mannheimer Dialekt schafft Nähe, aus der das Bild einer anonymen und feindlichen Gesellschaft sich abhebt. Die Welt wird im Chanson als insgesamt dichotomisch erfahren: Der Idylle ist das drohende Schreckgespenst der Arbeitslosigkeit vermittelt, die von anonymen Kräften („was mache se bloß?“) gesteuert ist. Das Lied argumentiert nicht durch eine Geschichte, es überzeugt durch Emotionalität im vorgetragenen Ton. Seine Rationalität ist die Perfektion der Künstlerinnen Joana Emetz (Text und Musik) und Joy Fleming (Gesang), „ein musikalisches Gassenkind, das Musik nicht liest, nicht lesen kann, sondern hört, das Sprachen durch Singen gelernt hat, das nur ein paar Takte Rhythmus und eine Andeutung von Melodie wahrzunehmen braucht, um sofort in Musik zu verfallen“. 174 Butzekrampel 1. Do renne se moi kläne Butze, Vertreiwe drauß de Rege. Mache Wind bis in die Wolke, Daß die sich bewege. Lache, pfeife, mache Krach Un en Mordskrakeel, Un ich steh unner'm Regedach, Hab Wolke uff de Seel': Die werre bald groß, Was mache se bloß? 174Sack, Manfred, 1991, S. 62. 215