AnwBl_2013-02 43..98 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
AnwBl_2013-02 43..98 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
AnwBl_2013-02 43..98 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Abhandlungen<br />
ischen Union beim Schutz des Anwaltsgeheimnisses<br />
übereinstimmen oder divergieren und worauf Unterschiede<br />
beruhen. 6) Diese Evaluierung ist noch nicht abgeschlossen.<br />
Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache<br />
„Akzo Nobel“ 7) betrifft im Zusammenhang mit einem<br />
spezifischen unionsrechtlichen Verfahren, dem europäischen<br />
Kartellverfahren, den bei Hausdurchsuchungen<br />
(Nachprüfungen) durch Kartellbehörden praxisbedeutsamen<br />
Teilbereich der Abgrenzung beschlagnahmeimmuner<br />
Unterlagen, die iwS auf Kommunikation zwischen<br />
Rechtsanwalt und Mandanten zurückgehen und<br />
sich in der Gewahrsame des durchsuchten Unternehmens<br />
befinden. Der EuGH nimmt rund 30 Jahre nach<br />
seiner Grundsatzentscheidung in der Rechtssache<br />
AM&S 8) wesentliche Klarstellungen zum persönlichen<br />
Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Schutzes der<br />
Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und seinem<br />
Mandanten vor. Der Gerichtshof bestätigt den schon<br />
in der AM&S-Entscheidung festgehaltenen Grundsatz,<br />
dass die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen<br />
Rechtsanwalt und Mandant auf der Ebene der Europäischen<br />
Gemeinschaft geschützt werden muss. Dies,<br />
wenn die vom EuGH geforderten zwei kumulativen<br />
Kriterien vorliegen, dass nämlich der Schriftwechsel<br />
mit dem Rechtsanwalt zum einen mit der Ausübung<br />
des „Rechts des Mandanten auf Verteidigung“ in Zusammenhang<br />
stehen und es sich zum anderen um einen<br />
Schriftwechsel handeln muss, der von unabhängigen<br />
Rechtsanwälten ausgeht, die nicht durch einen Dienstvertrag<br />
an den Mandanten gebunden sind. 9) Auf unternehmensinternen<br />
Schriftverkehr von angestellten<br />
Unternehmensjuristen (inhouse counsel, Syndikusanwälte),<br />
seien diese auch, wie dies nach der Rechtsordnung<br />
einiger Mitgliedstaaten der Union möglich ist,<br />
Mitglied einer Rechtsanwaltskammer, mit der Geschäftsführung<br />
des Unternehmens, dessen Dienstnehmer<br />
sie sind, erstreckt sich der unionsrechtliche Anwaltskommunikationsschutz<br />
nicht. 10)<br />
Ausgehend von den an den EuGH in den Rechtssachen<br />
AM&S und Akzo Nobel jeweils aus dem Vereinigten<br />
Königreich herangetragenen Sachverhalten hat<br />
in Bezug auf die Beschlagnahmeimmunität von Dokumenten<br />
der Vertraulichkeitsschutz gemäß dem common-law-Konzept<br />
des „Legal Professional Privilege“<br />
Eingang in den unionsrechtlichen Schutz der anwaltlichen<br />
Verschwiegenheit gefunden. Gegenstand der<br />
folgenden Überlegungen soll nicht die in der Literatur<br />
überwiegend diskutierte, vom EuGH verneinte<br />
Erstreckung des Berufsgeheimnisschutzes materiae<br />
personae auf Syndikusanwälte 11) sein, sondern mit einem<br />
Blick auf die näheren Konturen eines eventuellen<br />
„acquis communautaire des Berufsgeheimnisschutzes“<br />
die Frage nach Folgerungen für den Schutz der<br />
anwaltlichen Verschwiegenheit nach österreichischem<br />
Recht.<br />
II. „Legal Professional Privilege“/<br />
anwaltliches Berufsgeheimnis<br />
1. Vorbemerkung<br />
Wie Hellwig frühzeitig analysiert hat, 12) geht hinsichtlich<br />
der Grundlagen der Berufsrechte und -pflichten<br />
der Rechtsanwälte der englische Rechtskreis von einer<br />
fundamental unterschiedlichen Position gegenüber jener<br />
des romanischen Rechtskreises, aber auch des deutschen<br />
und österreichischen Rechts aus. Während das<br />
englische Recht in Bezug auf die Verschwiegenheitspflicht<br />
entscheidend auf die vertraglich disponible Basis<br />
des Mandatsvertrags abstellt und nicht zuletzt deshalb<br />
Einschränkungen durch den Gesetzgeber in Form<br />
von Meldepflichten oder Melderechten der Anwälte liberaler<br />
gesehen werden, steht in den kontinentaleuropäischen<br />
Rechtsordnungen die spezifische institutionelle<br />
Funktion des Anwaltes als Garant des Rechtsstaates<br />
und „Mitgestalter der Rechtspflege“ 13) im Vordergrund,<br />
und daraus resultierend, eine Verortung der<br />
Pflicht – mit daraus resultierenden Rechten – beim An-<br />
6) Siehe dazu in Dal (Hrsg), Le Secret Professionel de l’avocat dans la<br />
jurisprudence Européenne – Legal professional privilege and European<br />
Case Law [Larcier 2010], die aus Anlass des 50-jährigen Bestehens<br />
des CCBE veröffentlichte Zusammenstellung der Rechtslage in<br />
20 Mitgliedsländern der EU einschließlich der Schweiz.<br />
7) EuGH 14. 9. 2010, C-550/07 p ÖKZ 2011, 43 = d<strong>AnwBl</strong> 2010, 796.<br />
8) Siehe FN 4.<br />
9) Erwägungsgründe 40 und 41 des Urteils FN 7; s auch Erwägungsgründe<br />
54 ff der Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom<br />
29. 4. 2010.<br />
10) Siehe Erwägungsgrund 57 des Urteils in FN 7: Der formale Akt der<br />
Zulassung eines unternehmensangehörigen Juristen als Rechtsanwalt<br />
und die standesrechtlichen Bindungen, die für diesen aus dieser<br />
Zulassung folgen, würden nichts an der wirtschaftlichen Abhängigkeit<br />
und an der persönlichen Identifizierung des in einem Beschäftigungsverhältnis<br />
stehenden Anwaltes mit seinem Unternehmen ändern.<br />
Die Nichterstreckung des persönlichen Anwendungsbereiches<br />
des Berufsgeheimnisschutzes auf angestellte Unternehmensjuristen<br />
ist in Österreich im Hinblick auf § 21 g RAO und § 5 RL-BA anders<br />
als in Ländern, nach deren System Rechtsanwälte, freilich stets unter<br />
eingeschränkten Bedingungen, ein Dienstverhältnis mit einem Klienten<br />
eingehen dürfen, bislang nicht kontroversiell diskutiert. Dem vermittelnden<br />
Kompromissvorschlag des CCBE (Rat der Europäischen<br />
Anwaltschaften), die Beurteilung des Vertraulichkeitsschutzes nach<br />
dem jeweiligen Recht des zugelassenen Rechtsanwaltes auszurichten,<br />
soweit eine nationale Rechtsordnung eben Syndikusanwälte zulässt,<br />
folgte der Gerichtshof nicht; s dazu auch Saupe, Der Fall Akzo<br />
Nobel – ein EuG-Urteil zum anwaltlichen Berufsgeheimnis, <strong>AnwBl</strong><br />
2007, 512; Marx, Der EuGH und das Berufsgeheimnis der Syndici,<br />
d<strong>AnwBl</strong> 4/2010, VI.<br />
11) Zu Fragen der persönlichen Reichweite des „Anwaltsprivilegs“ infolge<br />
des Urteiles Akzo Nobel des EuGH s etwa Schnichels/Resch, Das Anwaltsprivileg<br />
im europäischen Kontext, EuZW 2011, 47 mwN;<br />
Gruber, Das „Anwaltsprivileg“ im Wettbewerbsrecht, ÖZK 2010,<br />
103; Hummer, Akzo: Keine wirkliche Erweiterung des Anwaltsprivilegs,<br />
ecolex 2007, 871.<br />
12) Hellwig, Unterschiede der nationalen Berufsrechte, <strong>AnwBl</strong><br />
20<strong>02</strong>,190 ff, 194 ff.<br />
13) Erwägungsgrund 48 der Schlussanträge der Generalanwältin Kokott<br />
vom 29. 4. 2010, C-550/07 P.<br />
Österreichisches Anwaltsblatt <strong>2013</strong>/<strong>02</strong><br />
„Legal Professional Privilege“ vs Schutz der anwaltlichen Verschwiegenheit<br />
Autorin: RA Dr. Marcella Prunbauer-Glaser, Wien<br />
57