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AnwBl_2013-02 43..98 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

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Abhandlungen<br />

chen Grundlage erfolgt, ein „legitimes Ziel“ verfolgt<br />

und in einer „demokratischen Gesellschaft notwendig“<br />

ist, wobei in der bisherigen Judikatur des EGMR der<br />

letzteren Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit besonderes<br />

Gewicht zukommt. Sieht eine nationale<br />

Rechtsordnung für den Fall der Durchsuchung anwaltlicher<br />

Korrespondenz keinen entsprechenden Schutz<br />

des Verhältnisses zwischen Rechtsanwalt und seinem<br />

Mandanten vor, fehlt es bereits an der gesetzlichen<br />

Grundlage iSd Art 8 Abs 2 EMRK. 48) Daneben ist sowohl<br />

in der Anordnung als auch bei Durchführung einer<br />

Hausdurchsuchung in einer Anwaltskanzlei zwingend<br />

das Berufsgeheimnis durch begleitende Sicherungsmaßnahmen<br />

zu wahren, insbesondere durch die<br />

klar formulierte Anordnung, in welcher Form anwaltliche<br />

Kommunikation zu schützen ist; weiters durch Beiziehung<br />

unabhängiger Zeugen mit entsprechender juristischer<br />

Qualifikation als Teil der notwendigen begleitend<br />

schützenden Verfahrensgarantien. 49) Dieser<br />

Schutz der anwaltlichen Kommunikation durch grundrechtlich<br />

zwingend notwendige Verfahrensgarantien<br />

erstreckt sich auch auf elektronische Daten, 50) Daten<br />

auf dem Computer eines Rechtsanwaltes 51) und ist nicht<br />

auf die Kanzleiräumlichkeiten des Anwaltes beschränkt,<br />

sondern erstreckt sich insbesondere auch auf dessen<br />

Wohnung und Räumlichkeiten des Klienten. 52)<br />

Der Rsp des EGMR, insbesondere jener unter Art 8<br />

EMRK, wird nach dem Beitritt der Union zur EMRK<br />

infolge des Vertrages von Lissabon neben der Rsp des<br />

EuGH noch stärkere Bedeutung für die einzuhaltenden<br />

Mindestschutzgarantien und die Schärfung eines<br />

unionsweiten Schutzstandards des anwaltlichen Berufsgeheimnisses<br />

zukommen.<br />

2. Exkurs: Wegfall des „legal privilege“ bereits<br />

bei Verdachtslage gegen den Rechtsanwalt?<br />

Die österreichische kartellrechtliche Judikatur hat sich,<br />

soweit ersichtlich, bislang erst einmal mit der Frage der<br />

Geltung des „legal privilege“ nach der Judikatur des<br />

EuGH in einem Verfahren nach nationalem österreichischem<br />

Kartellrecht befasst. 53)<br />

Hintergrund der E 16 Ok 2/10, Feuerwehrfahrzeuge<br />

II, war der Vorwurf einer horizontalen Kartellabsprache,<br />

wonach die beteiligten Unternehmen Marktquotenabsprachen<br />

getroffen und ein Marktinformationssystem<br />

installiert haben sollen, welches über einen<br />

Schweizer Wirtschaftstreuhänder abgewickelt wurde.<br />

Dieser fungierte gemäß dem Vorwurf der deutschen<br />

Kartellbehörde als „Kartellwächter“, indem er Treffen<br />

der Kartellanten organisierte, deren Quoten berechnete<br />

und als „kartellbuchhhaltende Stelle“ fungierte.<br />

Dieser „Kartellwächter“ stellte für angeblich bloß fiktive<br />

Leistungen Honorarnoten auf eine in Österreich<br />

ansässige Rechtsanwaltskanzlei aus, die von dieser anstandslos<br />

bezahlt wurden, weswegen nach dem Vorwurf<br />

der Kartellbehörden von diesen ein Beitrag zur Stabilisierung<br />

des Kartells geleistet wurde, indem Zahlungsströme<br />

und Verbindungen zwischen den kartellbeteiligten<br />

Unternehmen und der kartellbuchhhaltenden<br />

Stelle vertuscht worden seien. Der OGH als KOG bejahte<br />

eine objektive Verdachtslage, dass die betroffene<br />

Anwaltskanzlei zumindest in den Grundzügen von<br />

den kartellrechtswidrigen Vorgängen informiert gewesen<br />

sei, ihren Kartellunterstützungsbeitrag hätte erkennen<br />

können und bestätigte den beantragten Hausdurchsuchungsbefehl<br />

in den Räumlichkeiten der Anwaltskanzlei.<br />

Die Frage allfälliger Wahrung von Berufsgeheimnissen<br />

bzw des „legal privilege“ in Bezug auf die Judikatur<br />

des EuGH müsse nach Ansicht des OGH allerdings<br />

schon deshalb nicht erörtert werden, weil sich das Verfahren<br />

des Bundeskartellamtes auch gegen die Anwälte<br />

richte, die im Verdacht stünden, als Mittäter oder Gehilfen<br />

am Kartellverstoß mitgewirkt zu haben. Dieses in<br />

Bezug auf das LLP verkürzende obiter dictum bedarf<br />

aus zweierlei Gründen einer Klarstellung: Zunächst<br />

kommt für die in Frage stehenden Urkunden (angeblich<br />

kartellfördernde fiktive Honorarnoten eines Wirtschaftstreuhänders<br />

an den Anwalt) von vornherein weder<br />

das LLP iS des englischen Rechtskreises noch unter<br />

dem Akzo Nobel-Rechtssatz des EuGH, wonach es sich<br />

um ausschließlich zu dem Zweck erstellte Unterlagen<br />

handeln müsse, „um im Rahmen der Ausübung der Verteidigerrechte<br />

eine rechtliche Beratung eines Rechtsanwaltes<br />

einzuholen“, in Betracht. Aus diesem Grund erübrigte<br />

sich in der Tat eine nähere Erörterung. Andererseits<br />

und maßgeblich ist allerdings das LLP nicht davon abhängig,<br />

dass ein Anwalt frei von Tatverdacht ist. Rosbaud<br />

54) weist unter Hinweis auf die Rsp des EGMR<br />

überzeugend nach, dass eine für die Anordnung einer<br />

Hausdurchsuchung in einer Rechtsanwaltskanzlei (zunächst)<br />

objektiv argumentierbare Verdachtslage gegen<br />

einen Rechtsanwalt als vermuteten Beitragstäter zu einem<br />

in Untersuchung stehenden angeblichen Kartellverhalten<br />

seines Mandanten nicht automatisch das „Anwaltsprivileg“<br />

beseitigt und nicht von der Einhaltung<br />

der aus Gründen der Art 6 und 8 EMRK notwendigen<br />

verfahrensrechtlichen Sicherungsmaßnahmen zum<br />

Schutz der anwaltlichen Verschwiegenheit entbindet.<br />

Das Berufsgeheimnis ist somit aus Grundrechtserwägungen<br />

auch in Verdachtssituationen gegen einen<br />

Rechtsanwalt zu beachten, insbesondere gegenüber<br />

48) Siehe zutreffend Rosbaud, aaO 441 mwN.<br />

49) FN 44 mwN.<br />

50) Wieser und Bicos Beteiligungen GmbH/Österreich, Nr 74336/01<br />

CEDH 2007–XI ÖJZ 2008, 246.<br />

51) Roemen et Schmit/Luxemburg, Nr 51772/99 CEDH 2003–IV; Spielmann,<br />

aaO 351.<br />

52) Xavier da Silveira/Frankreich, Nr 43757/05; Spielmann, aaO 348.<br />

53) 16 Ok 2/10 wbl 2010,179, Feuerwehrfahrzeuge II.<br />

54) AaO 442 f mwN.<br />

Österreichisches Anwaltsblatt <strong>2013</strong>/<strong>02</strong><br />

„Legal Professional Privilege“ vs Schutz der anwaltlichen Verschwiegenheit<br />

Autorin: RA Dr. Marcella Prunbauer-Glaser, Wien<br />

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