AnwBl_2013-02 43..98 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
AnwBl_2013-02 43..98 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
AnwBl_2013-02 43..98 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Abhandlungen<br />
unbeteiligten Dritten und anderen Klienten abzusichern.<br />
55)<br />
Ein objektiv zunächst begründbarer Mittäter-Verdacht<br />
gegen den Anwalt, weswegen eine Hausdurchsuchung<br />
in einer Anwaltskanzlei zulässigerweise angeordnet<br />
werden kann, kann sich als unbegründet erweisen;<br />
die Erteilung von Rechtsrat im Zusammenhang mit<br />
Fragen oder Sachverhalten, die später Gegenstand behördlicher<br />
oder gerichtlicher Untersuchungen werden,<br />
darf für sich genommen noch nicht eine Beitragstäterschaft<br />
des Anwaltes begründen. Es ist sorgsam abzugrenzen,<br />
dass durch ein Unter-Verdacht-Stellen eines<br />
Rechtsanwalts durch Ermittlungsbehörden weder in einem<br />
Verfahren nach europäischem Recht noch in einem<br />
Verfahren nach nationalem Recht letztlich unumkehrbare<br />
Eingriffe in den Grundrechtekern des Berufsgeheimnisschutzes<br />
oder Umgehungen desselben stattfinden.<br />
Jegliche Einschränkung erfordert zwingend<br />
eindeutige, klare, vorhersehbare gesetzliche Sicherstellungsmechanismen<br />
unter Beiziehung unabhängiger<br />
Geheimnisschutzzeugen mit gerichtlicher Nachprüfbarkeit<br />
und mit entsprechenden Beweisverwertungsverboten<br />
im Falle eines unzulässigen Eingriffs.<br />
IV. Folgen der Akzo Nobel-<br />
Entscheidung?<br />
Da die – grundlegenden – Aussagen des EuGH in der<br />
Rechtssache Akzo Nobel zu Nachprüfungsbefugnissen<br />
der Kommission im Konflikt mit dem anwaltlichen<br />
Vertraulichkeitsschutz das spezifische unionsrechtliche<br />
Kartellverfahren betreffen, ergibt sich wegen des<br />
Grundsatzes der nationalen Verfahrensautonomie<br />
mangels einer einschlägigen Unionsregelung keine unmittelbare<br />
rechtliche Folgewirkung für das nationale<br />
Kartellverfahren. Auch nicht, darüber hinausgehend,<br />
für das nationale Recht betreffend den Schutz des Berufsgeheimnisses.<br />
Der EuGH weist ausdrücklich darauf<br />
hin, dass der Vollzug des Wettbewerbsrechtes der<br />
Union und das nationale Kartellrecht unter unterschiedlichen<br />
Aspekten beurteilt würden, sodass die Regelungen<br />
betreffend den Schutz der Vertraulichkeit der<br />
Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant nach<br />
Maßgabe dieser Zuständigkeitsverteilung und der für<br />
den jeweiligen Bereich geltenden Regelungen Unterschiede<br />
aufweisen. 56) Unterschiede, zu welchen sich die<br />
betroffenen Unternehmen nach Auffassung des EuGH<br />
„nach Maßgabe der Zuständigkeiten dieser Behörden und<br />
ihrer konkreten Befugnisse hinsichtlich der Beschlagnahme<br />
von Unterlagen sachgerecht orientieren“ könnten, sodass<br />
der Grundsatz der Rechtssicherheit es nicht gebiete,<br />
auf die beiden parallelen Verfahrensschienen in Bezug<br />
auf die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen<br />
Rechtsanwalt und Mandant die gleichen Kriterien anzuwenden.<br />
57)<br />
Freilich löst diese aus Sicht des Unionsrechtes korrekte,<br />
dem Subsidiaritätsprinzip und der nationalen<br />
Verfahrensautonomie entsprechende Abgrenzung, die<br />
den Ball für den nationalen Verschwiegenheitsschutz<br />
zurück ins nationale Recht spielt, nicht die aus innerstaatlichem<br />
Verfassungsrecht und der Grundrechteüberlagerung<br />
folgende Frage, inwieweit bei einem im<br />
Wesentlichen mit dem Unionsrecht identischen materiellen<br />
Sach-(Kartell-)recht eine Schutzdivergenz, insbesondere<br />
eine allfällige Unterschreitung im Schutzniveau,<br />
Bestand haben kann. Nationale Schutzkonzepte<br />
haben Konvergenzprobleme aus Sicht des Grundrechterahmens<br />
zu lösen.<br />
In Bezug auf die verfahrensrechtliche Absicherung<br />
des Berufsgeheimnisses ist für Österreich allgemein anzumerken,<br />
dass zwar grundsätzlich „Deckungsgleichheit“<br />
zwischen der Verschwiegenheitspflicht des § 9<br />
RAO und der verfahrensrechtlich korrespondierenden<br />
Absicherung des Aussageverweigerungsrechtes (– und<br />
den weiteren, davon abgeleiteten Aspekten wie die Beschlagnahmeimmunität<br />
–) besteht, 58) sich jedoch bedingt<br />
durch unterschiedliche historische Entwicklung<br />
und Besonderheiten der einzelnen Verfahrensordnungen<br />
das grundsätzlich insgesamt hohe Schutzniveau<br />
als ein Puzzle unterschiedlich formulierter, nach dem<br />
jeweiligen Wortlaut der Formulierung möglicherweise<br />
unterschiedlich weit reichender, insoweit auslegungsund<br />
analogiebedürftiger Regeln darstellt. 59)<br />
Im österreichischen Kartellverfahren zeigen sich in<br />
Bezug auf Beschlagnahmesicherheitsschutzmechanismen<br />
und generell in Bezug auf den Schutz des Berufsgeheimnisses<br />
Defizite: Sowohl im KartG als auch im<br />
WettbG fehlen eindeutige Vorschriften, wie dem Erfordernis<br />
des Schutzes der anwaltlichen Verschwiegenheit<br />
Rechnung zu tragen ist; auch Vorschriften, welche<br />
zumindest das LLP iS der Rsp der EuGH sichern.<br />
Hinzu kommt, dass zwei verschiedene Verfahrensordnungen<br />
zu beachten sind: das Verfahren außer Streitsachen,<br />
soweit unmittelbar der Anwendungsbereich des<br />
KartG betroffen ist (§ 38 KartG), und (eingeschränkt)<br />
das AVG für Ermittlungen der Kartellbehörde (§ 11<br />
Abs 2 WettbG). Es fehlt in § 12 WettbG für die Hausdurchsuchung<br />
in den Räumen einer Anwaltskanzlei<br />
eine ausdrückliche § 121 Abs 2 StPO korrespondierende<br />
Regelung, wonach bei einer solchen Durchsuchung<br />
in den der Berufsausübung gewidmeten Räumen<br />
von Amts wegen ein Vertreter der Rechtsanwaltskammer<br />
beizuziehen ist. § 12 WettbG verweist in Abs 4<br />
nur auf einzelne, seit der Strafprozessreform 2004<br />
überdies nicht mehr in Geltung stehende Bestimmun-<br />
55) Vgl EGMR in Petri Sallinen/Finland; Iliya Stefanov/Bulgarien.<br />
56) Erwägungsgründe 1<strong>02</strong> f Urteil EuGH 14. 9. 2010, C-550/07 P.<br />
57) Erwägungsgründe 104 f Urteil EuGH 14. 9. 2010, C-550/07 P.<br />
58) Siehe dazu ausf Prochaska-Marchried, aaO 138.<br />
59) Ähnlich Schur, aaO.<br />
64<br />
„Legal Professional Privilege“ vs Schutz der anwaltlichen Verschwiegenheit<br />
Autorin: RA Dr. Marcella Prunbauer-Glaser, Wien<br />
Österreichisches Anwaltsblatt <strong>2013</strong>/<strong>02</strong>