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AnwBl_2013-02 43..98 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

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Rechtsprechung<br />

lich. Beschränkungen des Anspruchs auf Geheimhaltung<br />

sind weiters nur zulässig, sofern sie zur Wahrung<br />

überwiegend berechtigter Interessen eines anderen dienen,<br />

und zwar bei Eingriffen einer staatlichen Behörde<br />

nur aufgrund von Gesetzen. Über Art 8 EMRK hinausgehend<br />

wird in § 1 Abs 2 DSG gefordert, dass schutzwürdige<br />

Daten nur verwendet werden dürfen, wenn<br />

dies zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen<br />

notwendig ist. Gleichzeitig müssen angemessene Garantien<br />

für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen<br />

des Betroffenen geschaffen werden. Der Eingriff in dieses<br />

Grundrecht darf nur das gelindeste Mittel sein.<br />

In den Anträgen der Kärntner Landesregierung und<br />

der Individualantragsteller wird die Verhältnismäßigkeit<br />

der in der RL vorgesehenen Speicherungspflicht<br />

von mindestens sechs Monaten mit Blick auf Art 8<br />

der Charta der Grundrechte der EU in Abrede gestellt.<br />

Treffen die Bedenken zu, so fordert das Unionsrecht<br />

die Umsetzung einer RL, die als Bestandteil des Sekundärrechts<br />

Vorrang gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht<br />

genießt. Davon wäre auch das Grundrecht<br />

des § 1 DSG 2000 betroffen, so dass dem VfGH wegen<br />

des Vorranges der RL vor dem innerstaatlichen Datenschutzgrundrecht<br />

eine Prüfung des § 1<strong>02</strong> a TKG 2003<br />

am Maßstab des § 1 DSG 2000 verwehrt wäre.<br />

2. Weiters ist die Vereinbarkeit der gegenständlichen<br />

RL mit Art 8 Grundrechte-Charta nicht geklärt. Der<br />

EuGH war zwar bereits hinsichtlich der Gültigkeit<br />

mit der Vorratsdatenspeicherungs-RL befasst, jedoch<br />

nur hinsichtlich der Wahl der Rechtsgrundlage, nicht<br />

jedoch iZm der allfälligen Verletzung von Grundrechten<br />

(EuGH 10. 2. 2009, C-301/06, Irland/Europ. Parlament<br />

u. Rat Slg 2009, I-00593). Art 8 der Grundrechte-<br />

Charta sieht vor, dass jede Person das Recht auf Schutz<br />

der sie betreffenden personenbezogenen Daten hat<br />

(Art 8 Abs 1) und diese nur nach Treu und Glauben<br />

für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen<br />

Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten<br />

legitimen Grundlage verarbeitet werden. Darüber<br />

hinaus hat jede Person das Recht, Auskunft über<br />

die sie betreffenden Daten zu erhalten und deren Berichtigung<br />

zu erwirken (Art 8 Abs 2). Auch hier ergibt<br />

sich die Frage, ob die Vorratsdatenspeicherungs-RL<br />

mit den Grundsätzen des Art 8 der Grundrechte-<br />

Charta und über deren Art 52 mit Art 8 EMRK vereinbar<br />

ist.<br />

3. Bedenken ergeben sich für den VfGH überdies aus<br />

der Pflicht der Netzbetreiber zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung<br />

und der mit ihr notwendig verbundenen<br />

Folgen sowie der hohen Eingriffsintensität. Die<br />

Speicherdauer reicht von sechs Monaten bis zu zwei<br />

Jahren (Art 6 der RL); der VfGH hegt auch diesbezüglich<br />

erhebliche Bedenken.<br />

Aus dem Umfang der Vorratsdatenspeicherung ergeben<br />

sich für den VfGH Zweifel an der Grundrechtskonformität.<br />

Unter Bezugnahme auf das Gutachten<br />

von Walter Berka für die Verhandlungen des 18. Österreichischen<br />

Juristentages 2012 erweckt die Streubreite<br />

des datenschutzrelevanten Eingriffs für den VfGH<br />

Zweifel, zumal der Zugriff auf Daten und der von diesem<br />

betroffene Personenkreis samt deren Verknüpfung<br />

alle vom VfGH bisher zu beurteilenden Grundrechtseingriffe<br />

bei weitem übertrifft (vgl Berka, Das Grundrecht<br />

auf Datenschutz im Spannungsfeld zwischen<br />

Freiheit und Sicherheit 112 f).<br />

Zur Vorratsdatenspeicherung geben fast alle davon<br />

Betroffenen keinen Anlass. Sie werden zum Objekt<br />

staatlicher Überwachung gemacht, so dass ein schwerwiegender<br />

Grundrechtseingriff vorliegt (Berka, aaO<br />

113). Behörden haben die Möglichkeit, Daten über Privatpersonen,<br />

die keinerlei Anlass für die Datenspeicherung<br />

gegeben haben, zu sammeln. Durch diese Daten<br />

können sich die Behörden über das private Verhalten<br />

solcher Personen informieren und diese Daten für andere<br />

Zwecke weiterverwenden.<br />

In diesem Zusammenhang verweist der VfGH auch<br />

auf das erhöhte Risiko des Missbrauchs. Aufgrund der<br />

Vielzahl der Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen<br />

und somit Speicherungsverpflichteten hat<br />

ein nicht überblickbarer Kreis von Personen Zugriff<br />

auf diese Art von Daten. Insbesondere kleinere<br />

Diensteanbieter sind wegen ihrer geringen Größe im<br />

Hinblick auf die Sicherung vor Missbrauch nur begrenzt<br />

leistungsfähig (vgl BVerfG 2. 3. 2010, 1 BvR<br />

256/08 ua)<br />

Letztlich geht der VfGH davon aus, dass die Eignung<br />

zur Zielerreichung zweifelhaft erscheint und der<br />

Eingriff in das Grundrecht daher unverhältnismäßig ist.<br />

4. Zur Auslegung der Verträge sieht sich der VfGH<br />

veranlasst, an den EuGH Fragen betreffend das Verhältnis<br />

des Grundrechts zum Unionsrecht einschließlich<br />

des Sekundärrechts, zur EMRK und zu den Verfassungen<br />

der Mitgliedstaaten zu richten.<br />

So scheint dem VfGH derzeit nicht geklärt, in welchem<br />

Verhältnis das in den Erläuterungen der Grundrechte-Charta<br />

ausdrücklich bezeichnete Sekundärrecht<br />

zu den in den Art 8 Abs 2 und Art 52 Abs 1 und 3<br />

Grundrechte-Charta enthaltenen Schranken (vgl Frage<br />

2.1.) bzw zu Richtlinien im selben Regelungsbereich<br />

(vgl Fragen 2.2. und 2.3.) steht.<br />

Mit Frage 2.4. soll geklärt werden, ob für den Fall,<br />

dass einzelne Verfassungen der Mitgliedstaaten im Bereich<br />

des Datenschutzes weitergehenden Schutz gewähren<br />

als Art 8 der Grundrechte-Charta, bei der Beurteilung<br />

von Handlungen der Mitgliedstaaten in<br />

Durchführung von Unionsrecht bzw der Gültigkeit<br />

von Sekundärrecht den Schranken vorgehen, die sich<br />

aus der Grundrechte-Charta selbst ergeben. Der VfGH<br />

geht davon aus, dass im Anwendungsbereich der<br />

Grundrechte-Charta zwar nicht ein einzelnes Grundrecht<br />

der Verfassung eines einzigen Mitgliedstaates<br />

maßgeblich sein und die uneingeschränkte Anwendbar-<br />

Österreichisches Anwaltsblatt <strong>2013</strong>/<strong>02</strong><br />

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