Travel
Fotos: Edition Narrhalla Emilio ringt nach Luft. Seine Lungen sind ausgepumpt, sein Körper verschwitzt. Arme und Beine voll blauer Flecken. Noch ärger hat es Giovanni erwischt. Er blutet, eine Platzwunde über dem Auge. Mitten in Florenz kämpfen 54 Männer um den Sieg. „Calcio in Costume“ heißt die Schlacht. Ein historisches Fußballspiel, das den Florentinern Mitte Juni so lieb ist, wie den Münchnern ihr Oktoberfest. „Mit dem Spiel“, lehrt uns der Vorsitzende des Festkomitees, „halten wir eine alte Tradition am Leben“. Jahrhunderte kämpften Bür ger aus verschiedenen Stadtvierteln Jahr für Jahr um Sieg und Ehre. Heute ist der Calcio ein Massenspektakel, inszeniert wie Gladiatorenkämpfe mit großem Vor- und Nachspiel. Schon mittags treffen sich die Akteure nur ein paar Schritte neben dem Hauptbahnhof zum großen Festzug. Mit dabei ein kleines Kälbchen, der Preis für den Sieger. Vorbei an alten Adelspalästen schreiten die Kicker zur Arena. Im Gefolge uniformierte Truppen, Trommler und Trompeter, Hellebardenträger und Rittersleute. Stolz zeigen die florentinischen Zünfte ihre Fahnen. Kauf leute, Richter, Notare, Ärzte, Apotheker, Pelzhändler, Metzger, Schuster, Schmiede, Schlosser, Wirte und viele andere. 21 Gruppen, die einst das Leben hier bestimmten. Im Mittelpunkt aber stehen die Kämpfer. Weit sind ihre Hemden geschnitten, plüschig die Hosen. So spielte man im 16. Jahrhundert Fußball. Auch beim Calcio gibt es einen Torwart, Verteidiger, Läufer und Stürmer. Große Netze an der Breitseite bilden die Tore. Nicht weit weg steht ein kleines Zelt für Spielführer und Fähnrich. Erinnerung an die militärischen Ursprünge des Kampfes, den schon Griechen und Römer kannten. Genau betrachtet waren die Ballspiele näm- <strong>HahnAirport</strong> <strong>Magazin</strong> · Frühjahr/Sommer 2007 Travel CALCIO IN COSTUME CALCIO IN COSTUME | FLORENCE KICKS IT MEDIEVAL STYLE Florenz kickt wie im Mittelalter lich Wehrübungen, in deren Rahmen der junge Adel Kampfeslust und Heldenmut beweisen musste. Gewöhnlich fanden die Spiele zu Fastnacht statt, aber auch zu Staatsbesuchen und anderen Anlässen. Besonders bekannt wurde jenes Spiel im Jahr 1530, als kaiserliche Truppen Florenz belagert hatten. Damals wurde der Kick nur für den Feind vor den Stadttoren organisiert, dem man so zeigen wollte, dass man noch lange nicht erschöpft oder geschlagen sei. Genau 400 Jahre später wurde das alte Spiel in historischen Kostümen neu inszeniert, die im 18. Jahrhundert verschwundene Tradition des Calcio belebt. Wie immer gibt ein Kanonenschuss den Ball fürs Finale frei, Rot gegen Grün. Sekunden später schon landen die ersten im Sand, denn der Calcio ist mehr Rugby als Fußball, über weite Strecken gar reiner Ringkampf. Plötzlich aber zappelt der Ball im Netz. Seitenwechsel heißt das für die beiden Teams, so wie nach jedem Treffer. Langsam geht den Spielern die Luft aus. Immer häufiger greifen sie nach den Wasserflaschen. Der sportliche Wettkampf ist zum Prestigeduell zweier Stadtviertel geworden, so als erwarte den Sieger der Himmel, den anderen die Hölle. Auf den Zuschauerrängen ist der Teufel los. Noch einmal brüllen die Fans ihre Mannschaften nach vorn. Dann ein Tor, ein Schrei aus vielen tausend Kehlen. Ausgleich, es droht Verlängerung. Wer jetzt das nächste Tor schießt, ist Sieger. Die Roten sind es schließlich, was die Grünen nicht fassen wollen. Polizisten verhindern, dass die Hitzköpfe nach Spielschluss noch einmal aneinandergeraten. Vor allem aber, dass die Fans auf den Tribünen ruhig bleiben. Auch die Mannschaftsführer sind gefragt, müssen Trost spenden oder Übermut dämpfen. Denn der Calcio ist auch ein Bad für die Seele. Für Sieger und Verlierer - und für die vielen Italiener, welche die Schlacht vor dem Bildschirm verfolgen. 11